Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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erwartete, ich hätte mir Flügel gewünscht. Rauch war das erste, was mir in die Nase stieg. Dann gegrilltes Fleisch, nein, verbranntes Fleisch. Der Himmel färbte sich schwarz, braungelb und rotflackernd. Als würde ein unvorstellbares Unwetter aufziehen. Eine Katastrophe musste Gullorway heimgesucht haben, da war ich mir sicher. Verdammt, wie weit war der Weg denn noch? Ich lief die Strecke nicht zum ersten Mal, aber heute schien sie nicht enden zu wollen. Keuchend stolperte ich aus dem Wald heraus und sah überall niedergebrannte Felder. Als ich näher kam wurde der Brandgeruch so unerträglich, dass ich würgen musste. Tierkadaver von Pferden und Rindern lagen überall verstreut und dazwischen – menschliche Überreste. Wie in Trance taumelte ich vorwärts, doch je näher ich Gullorway kam, umso unwirklicher wurde das Szenario. Ganz Gullorway stand in Flammen, die Hitze war selbst am Rand des Dorfes noch zu spüren. Das Feuer wütete überall. Ob ein Blitz eingeschlagen war? Das hätte das Donnern erklärt doch ohne Wolken? Warum war niemand da, um dieses Inferno zu löschen? Beißender Rauch machte mir das Atmen schwer und hinderte mich daran, weiter in das Dorf zu gelangen. Verzweifelt überlegte ich, wo sich die Brunnen befanden. Alles sah so anders aus. Glas zersplitterte, Holzbalken und Dächer krachten zischend und donnernd zusammen und begruben alles unter sich. Leichen, überall verkohlte Leichen und dazu dieses Tosen in den Ohren. Alles wurde unklar, mir wurde schwarz vor Augen. „Miles, schnell! Hilf mir mal!“ Dumpf hörte ich vertraute Stimmen um mich herum. „Ist sie tot?“ Eine schlanke Hand tastete nach meinem Puls. „Nein. Sie lebt zum Glück.“ „Was ist mit Gullorway passiert?“, fragte ich benommen und hatte doch Angst vor der Antwort. „Ganz Gullorway brennt. Wir haben dich hier regungslos liegen sehen.“ Miles schluckte, ihm versagte die Stimme. Von Weinkrämpfen geschüttelt lagen wir uns in den Armen, er und ich. Charise stand einfach nur da. „Denkst du, dass du gehen kannst?“, fragte Charise nach einer Weile. Sie wirkte seltsam emotionslos. Vielleicht war es der Schock. Miles half mir auf. Sein Gesicht eine einzige Maske. Wie Schlafwandler stolperten wir gemeinsam durch das Chaos, das die Flammen angerichtet hatten. So schnell, so gründlich. Die ehemals bunten Fassaden, die den Charme unseres Dorfes ausmachten, waren nun einheitlich schwarz, rußig. Unter den Trümmern die Menschen begraben. Niemand hatte entkommen können. Die Flammen wurden kleiner, fanden kaum noch Nahrung. Schließlich schwelten nur noch vereinzelte Brandherde. Eine eiserne Tür hing seltsamerweise noch in den Resten eines Rahmens. War hier nicht die Schmiede gewesen? Ein Kettenschloss baumelte noch davor, mit grob ineinander verschlungenen Ringen, wie unser Schmied niemals eines angefertigt hätte. Gerade als ich mir das Kettenschloss genauer ansehen wollte hörte ich, wie Miles und Charise sich hinter mir übergaben. Dumpf vor fassungslosem Schmerz blickte ich mich um. Charise war auf die Knie gesunken, ihren Körper vor und zurück wiegend. Wimmernd stierte sie auf einen verkohlten Leichnam mit ausgerissenem Arm. Kein Feuer brachte so etwas fertig. Ich wollte sie beruhigend in die Arme nehmen, doch sie trat nach mir. „Geh weg, du Beschwörerin des Unglücks! Du und Vater, ihr habt es gewusst, deswegen seid ihr fortgelaufen.“ Ihre letzten Worte gingen unter in ersticktem Schluchzen. „Wie sollte ich so etwas erahnen können?“ Charise presste die Lippen fest aufeinander und sah mich voller Hass an. „Du warst es doch, die Vater die Karten gelegt hat, danach ist er fortgegangen.“ Ich war so durcheinander, dass ich sie gar nicht fragte, woher sie das wusste. „Müsst ihr euch ausgerechnet jetzt streiten, während um uns herum nur …“ Miles brachte die Worte nicht über seine Lippen. Alles war so surreal. „Wir müssen nachsehen, ob es Überlebende gibt“, brachte ich hustend hervor. Der Rauch des fast erloschenen Brandes lag wie bitteres Gift auf der Zunge und drang weiter die Kehle herunter. „Sie sind tot, Avery. Sie sind alle tot“, redete Charise mit einer Stimme so kalt wie Eis auf mich ein. „Woher willst du das wissen? Es muss doch Überlebende geben. Vielleicht ist Mutter verletzt und braucht unsere Hilfe.“ „Sieh dich doch um!“, fauchte sie. „Niemand hat dieses Inferno überlebt.“ Entschlossen machte ich mich auf, stolperte über rauchende Trümmer und menschliche Überreste auf der Suche nach unserem Haus. Hinter mir hörte ich Miles wimmern. Ich blickte mich zu ihm um und sah ihn sich über einen verkohlten Leichnam beugen. Zitternd und würgend führte ich ihn von seinem Elternhaus fort und strauchelte dabei über eine Eisenstange. Für einen flüchtigen Moment hatte ich den Gedanken, dass diese Stange nicht hätte hier sein sollen, genauso wie das Kettenschloss. Wir irrten durch Gullorway auf der Suche nach Überlebenden, Charise in sicherem Abstand zu mir. Fast hätte ich es übersehen, unser Zuhause. Dabei war es das einzige Gebäude weit und breit, das noch nicht völlig zerstört war. Hoffnung keimte in mir auf. Doch als ich versuchte ins Innere zu gelangen, stürzten die verbliebenen Wände wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Funken stoben umher und rieselten als heißer Regen auf uns herab, fraßen sich durch die leichte Kleidung bis auf die Haut. Panisch wälzten wir uns auf dem Boden, um die Funken zu ersticken. Die Karten, fiel es mir wieder ein. Warum hatten sie mir dieses Unglück nicht vorausgesagt? Charise hatte recht, vielleicht hätte Gullorway gerettet werden können. Wütend riss ich mir den Rucksack herunter, suchte darin die abgegriffenen Karten. Ein letztes Mal sah ich sie mir an, die Vorderseite immer noch weiß, dann warf ich sie entschlossen ins Feuer. Plötzlich war Charise an meiner Seite und versuchte mich mit aller Macht daran zu hindern. „Nein, Avery, das darfst du nicht tun!“ Hastig begann sie die schmauchenden Karten wieder aus dem Feuer zu ziehen, obwohl die Flammen zischend nach ihren Fingern leckten. „Bist du noch ganz dicht? Eben noch wolltest du mich und meine Karten für das Unglück verantwortlich machen und jetzt willst du sie …“ Dann passierte alles gleichzeitig. Charise schrie wie am Spieß. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie an mir vorbei zu Miles, der von drei, vier, gelblich aussehenden Kreaturen umzingelt war. Nie zuvor hatte ich derartige Wesen gesehen. Groß wie ein Mensch doch seltsam verformt. Nichts passte zusammen. Mit vogelartigem kahlem Kopf doch den kalten Augen eines Reptils. Auf dem Rücken verhornte bewegliche Platten wie ein Schutzschild. Die Schultern schmal, mit kümmerlichen Klauen und langen Krallen daran. Der restliche Körper dagegen muskulös, getragen von zwei kräftigen Beinen, deren sichelartige Krallen, wie Messer in die verbrannte Erde schnitten auf der Suche nach Halt. Während sie Miles taxierten, ruckte ihr birnenförmiger Kopf ständig vor und zurück, das Maul mit den rasiermesserscharfen Zähnen weit aufgerissen. Fiepend und fauchend stritten sie um Miles, bissen sich gegenseitig in die harten Rückenpanzer oder schnappten nach den langen Hälsen. Hastig gruben sich meine Hände in den staubigen Grund. Dann stürmte ich auf Miles und seine gelben Angreifer zu. „Lauf!“, schrie ich. Miles flüchtete unter meinem Arm hindurch, indes ich den Wesen Dreck entgegenschleuderte. Ungelenk versuchten sie diesen aus den Augen zu entfernen. Dabei waren ihnen ihre überlangen Krallen nur hinderlich. Den Moment ihrer Verwirrung ausnutzend, suchte ich hektisch den Boden nach meinem Rucksack ab. Da lag er, praktisch vor Miles Füßen. Blitzschnell griff ich danach und tastete fast fiebrig im Inneren nach meinem Dolch. Inzwischen hatte sich einer der Gelben schon fast von dem Dreck befreien können. Schnüffelnd ruckelte sein Kopf zu mir herüber. Dann kam er in gekrümmter Haltung langsam, federnd auf mich zu. Einerseits starr vor Schreck, war ich zum anderen fasziniert von seiner Andersartigkeit. Die gelbliche Haut umspannte den kahlen Schädel, als wäre sie irgendwie zu eng. Sie war überzogen mit blauen, wulstigen Äderchen, die wie Flüsse auf einer Weltkugel aussahen. Seine irisierenden Augen, die mal gelb, mal grün oder rot schimmerten, fixierten mich dabei völlig unabhängig voneinander. Den Kopf zum Angriff gesenkt, schnappte er nach mir. Blitzartig stieß ich zu. Doch aus meiner ungünstigen Position am Boden heraus streifte ich ihn nur unterhalb seines weit aufgerissenen Mauls. Mit einem Ruck wollte er seinen Kopf zurückziehen, dabei schlitzte mein Dolch ihm den Kiefer auf, spaltete ihn geradezu in zwei Hälften. Irre vor Schmerz jaulte er in einem ohrenbetäubenden Pfeifton. Im Todeskampf wand er sich einmal um seine eigene Achse, versuchte erneut nach mir zu treten, bevor er zuckend zu Boden ging und zu Asche zerfiel. Nun umkreisten mich auch die anderen drei Gelben. Mit federnden Schritten kamen sie auf mich zu. Panisch versuchte ich auf den Rücken des Gelben einzustechen, der mir am nächsten war. „YEMAHL!“, hörte ich die verzweifelte Stimme meiner Schwester hinter mir rufen. „Du musst den Dolch bei seinem Namen rufen, YEMAHL!“ „YEMAHL!“, schrie ich und da begann der Dolch in meiner Hand zu leuchten. Heller als jede Fackel. Sogar heller als die Sonne. Und, als wäre der eben noch harte Rückenpanzer des Reptils plötzlich aus Butter, glitt die Klinge auf einmal bis zum Heft hinein. Das Wesen bäumte sich unter Schmerzen windend auf, bevor es ebenfalls zu Asche zerfiel, die der Wind in alle Richtungen verwirbelte. Fauchend zogen sich die beiden verbliebenen gelben Geschöpfe hüpfend in langen