Victoria vanZant

ShadowPlay - Entblößt


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      Das erste Mal

      Die Haustür flog auf, Elena schüttelte sich die Locken aus dem Gesicht und wuchtete die Reisetasche auf den Treppenabsatz hinaus. »Hallo!«

      »Shalom«, erwiderte der große dunkelhaarige Mann, der ihr auf den Stufen entgegenkam und die Hand zuvorkommend nach dem Gepäck ausstreckte.

      Auffallende Wortwahl, exotische Züge und dazu die fast schwarzen Augen – blitzschnell machten sich Elenas Gedanken selbstständig: Shalom – Hebräisch – Israel – Jude – beschnitten?, sinnierte die 28-Jährige und erstarrte.

       Hoffentlich habe ich nicht zu laut gedacht!

      Ein Blick in das Gesicht ihres Gegenübers ließ keine Rückschlüsse zu, ob er die herausgerutschte Bemerkung gehört hatte. Er zeigte nicht die kleinste Reaktion – und von den Passanten vor dem Haus blieb auch keiner mit pikiertem Gesichtsausdruck stehen.

      Noch einmal Glück gehabt!, meldete sich Elenas Taktgefühl erleichtert. Doch dann genügte ein einziges Wort, um ihren Seelenfrieden wieder bis ins Mark zu erschüttern.

      »Naturblond?«, fragte der attraktive Mann. Sein Tonfall war undefinierbar, irgendwo zwischen arrogant und völlig uninteressiert verortet. Dadurch klang seine Bemerkung eher, als würde es Klärungsbedarf geben, ob sie gehirnblond sei!

      »Ich bin David und freue mich auch, dich kennenzulernen«, schob er diplomatisch hinterher, als er ihre zusammengepressten Lippen bemerkte, und verstaute die Tasche hinter dem Beifahrersitz.

      Doch Elena wollte weder Rücksichtnahme noch Mitleid. Alles, was sie brauchte, waren zwei Sekunden, um sich zu sortieren, denn da stand doch tatsächlich ein männliches Wesen, das ihr in puncto Schlagfertigkeit offensichtlich das Wasser reichen konnte. Und wenn sein Körper hielt, was der Maßanzug versprach, ein lohnenswertes Exemplar noch dazu.

      Das erwartungsvolle Glühen, das kurz in ihren Augen aufflackerte, erlosch so schnell, wie es gekommen war, denn das Schicksal entpuppte sich eindeutig als erstaunliche wie auch launische Macht: Nach einer monatelangen Durststrecke parkte es heute diesen Leckerbissen direkt vor ihrer Tür und dann war er doch unerreichbar – jedenfalls momentan! In diesem speziellen Fall hatte das Schicksal nämlich einen konkreten Namen: Fiona – Elenas Freundin und auch Mitbewohnerin.

      Schweren Herzens sperrte die Blondine ihre Verführungskünste wieder hinter Gitter. Dort, wo sie seit Wochen ein klägliches Dasein ohne männliche Aufmerksamkeit fristen mussten.

      Benimm dich!, ermahnte sie sich selbst und schaltete auf gepflegte Konversation um. Vorrang vor ihrem Bedürfnis nach einem Flirt mit dem faszinierenden Mann, dessen geschmeidige Bewegungen sie sich auch sehr gut in anderen Situationen vorstellen konnte, hatte Fionas geheimnisvolle Einladung ins Penthouse von Ryan Kerrigan.

      »Seit wann ist Ryan denn zurück in London?«, versuchte Elena in Erfahrung zu bringen, und hatte augenblicklich das Gefühl, an einer Mauer abzuprallen. Der Gentleman, der ihr so galant die Autotür aufhielt, bedachte sie mit einem abschätzenden Blick, der noch lange nachhallte. Sprachlos glitt Elena in den Sitz und folgte seiner Umrundung des Fahrzeugs aus den Augenwinkeln.

      Lass dir nicht die Butter vom Brot nehmen!, meldete sich ihre Ungeduld zu Wort und riet ihr, die weggesperrte Verführerin doch ganz kurz aus dem Käfig zu lassen, um wenigstens zwei erprobte Nahkampfwaffen in Stellung zu bringen: Sie lüftete den Po und zog den Saum ihres Kleids unauffällig höher. Es musste doch möglich sein, diesen Eisblock zumindest anzutauen!

      Nachdem der Israeli sich elegant in seinen Sitz geschwungen hatte, ließ er sich überraschend doch noch herab, zu antworten. »Wir sind mittags eingetroffen.«

      »Du bist ein langjähriger Freund von Ryan?«, versuchte Elena, die Kommunikation am Leben zu halten, und stellte die Handtasche auf dem Boden ab, um den Blick auf ihre wohlgeformten Beine freizugeben.

      »Das ist korrekt.«

      Nicht gerade eine erschöpfende Auskunft und in keiner Weise dazu geeignet, ihren Wissensdurst zu stillen. Er hüllte sich genauso in Schweigen, wie Fiona es am Telefon getan hatte. Wenn Elena Bilanz zog, musste sie sich eingestehen, dass die Ausbeute an Informationen mehr als mager war: Nach drei zermürbend langen Monaten im Auslandseinsatz war Ryan wohlbehalten nach London zurückgekehrt. Das war die Nachricht des Tages und musste zweifelsfrei gebührend gefeiert werden. Aber warum wollte Fiona diesen besonderen Abend nicht mit ihm alleine genießen? Wäre unter diesen besonderen Umständen nicht eine Privatparty für das Liebespaar angemessen? Warum wurde sie dazu gebeten? Die Tasche mit Kleidung, die sie auf die Bitte ihrer Mitbewohnerin hin gepackt hatte, hätte auch ein Taxi abholen können. Aber Fiona hatte darauf bestanden, dass dieser Freund von Ryan sie mitsamt dem Gepäck abholte.

      »Zieh dir was Nettes an und komm rüber«, mehr hatte ihre Freundin nicht gesagt.

      Fragen über Fragen, aber Elena war nicht bereit, klein beizugeben, denn wenn es etwas gab, das sie hasste, waren es Geheimnisse. Vor allem die von anderen Leuten. Die Unwissenheit aktivierte augenblicklich weitere Facetten ihres weiblichen Forschergens.

      »Weißt du, was es mit der Einladung ins Penthouse auf sich hat?«, flötete sie ihrem Chauffeur zu.

      »Ja.«

      »Ja?«, fragte sie lachend nach.

      Als David wieder nur bestätigte, war klar, dass er nicht scherzte. Und über diesen Affront hinaus, entpuppte sich der arrogante Typ auch noch als absolut immun gegen ihre weiblichen Reize. Nicht eine Sekunde nahm er die Augen von der Straße. Auf die Ausrede, dass ihn als Ausländer Probleme mit dem Linksverkehr davon abhalten könnten, die verführerischen Nebensächlichkeiten zu genießen, konnte er sich nicht berufen. Entweder war der schwarzhaarige Lockenkopf an diese Fahrweise gewöhnt oder er gehörte zu den Menschen, die sich schnell auf neue Umstände einstellen konnten. Und da er in Ryans Aston Martin vorgefahren war, musste der wirklich große Stücke auf die Fahrkünste seines Freundes halten. Denn Elena hatte eines gelernt: Zwei Dinge teilten Männer nicht, ihre Autos und ihre Frauen. Und das genau in der Reihenfolge.

      Teilen und Energieverschwendung waren für die pragmatische Australierin ebenfalls lästige Attribute, derer man sich so schnell wie möglich entledigen sollte. Höchste Zeit, eine weitere Frage zu klären: Unauffällig sah sie auf die schlanken Finger, die das Sportlenkrad fast liebevoll umschlossen. Doch leider konnte sie von ihrer Position aus nur Davids linke Hand sehen. Auf dieser Seite war alles im grünen Bereich. Aber trugen Israelis die Eheringe links oder rechts? Das konnte auf die Schnelle nur das Internet beantworten.

      »Probleme mit dem Smartphone?«, erkundigte sich David, als das Licht ihres Handydisplays kurz als Spiegelung in der Seitenscheibe aufflackerte und sofort wieder erlosch.

       Klar, wenn er auch sonst nichts zu sagen hat, bei Technikfragen werden Männer gesprächig!

      »Nein, alles gut«, murmelte sie genervt. Warum musste der Akku immer in den unpassendsten Momenten den Geist aufgeben? Noch eine zusätzliche Fragestellung, die ungeklärt im Raum stand. Tiefe Falten pflügten sich als sichtbare Beweise des intensiven Nachdenkens quer über ihre Stirn: Auf dem Treppenabsatz hatte er das Gepäck mit der Rechten entgegengenommen und mit der auch die Autotür geöffnet. Doch so sehr Elena sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, die dazugehörigen Bilder wieder abzurufen. Mädel, du lässt nach!, tadelte sie sich selbst. Aber es half nichts, sie musste einen Weg finden, um unauffällig einen Blick auf seine rechte Hand werfen zu können. Jetzt war Kreativität gefragt – und die Lösung für ihr Problem offenbarte sich gänzlich unerwartet, als sie ihr Handy in die Handtasche zurücksteckte.

      Kurz entschlossen ergriff Elena den Verbündeten, richtete ihn schräg nach oben in Richtung Cabrioverdeck und drückte kräftig zu. Schneller als sie gucken konnte, schoss der Kaugummi aus der Verpackung direkt gegen die Frontscheibe, um dann in den dunklen Tiefen des Wageninneren zu verschwinden.

      »Huch!«, schrie sie auf, um ihrer Überraschung Ausdruck zu