Victoria vanZant

ShadowPlay - Entblößt


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was, Hauptsache, sie bekäme den Geschmack seiner Finger aus dem Hals.

      Als die bernsteinfarbene Flüssigkeit sich langsam ihre Kehle hinabbrannte, wurden auch die Lebensgeister wieder wach. Der Whisky lockerte Elenas Zunge. Obwohl es mitten in der Nacht war, posaunte sie ihren Frust nach Leibeskräften hinaus. Stören würden ihre Tiraden heute niemanden, denn ihre Vermieterin, Misses Gould, war für eine Woche zu ihrem Sohn gefahren. Elena hatte das kleine viktorianische Stadthaus in Notting Hill ganz für sich allein. Jetzt musste sie nur noch den restlichen Ärger heiß abduschen, dann würde es ihr bestimmt gleich besser gehen.

      Auf dem Rückweg aus dem Bad zog sie im Vorbeigehen das Smartphone vom Ladekabel und griff sich die Whiskyflasche, obwohl das Bett bereits sehnsüchtig nach ihrer Gesellschaft verlangte. Ohne es zu bemerken, gab Elena den Namen David Levi in die Suchmaschine ein und fand mehr als zwei Millionen Einträge. Zumindest wusste sie jetzt, dass der Nachname in Israel ungefähr so häufig war wie Potter, Smith oder Jones in England. Seine Telefonnummer im Internet zu recherchieren dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Sie musste zugeben, dass sie sich ärgerte, die Visitenkarte weggeworfen zu haben.

       Sei nicht albern, du siehst ihn schon morgen wieder!

      Aber selbst wenn, sie müsste ihn um seine Nummer bitten. Und was sollte sie dann antworten, wenn er nach dem Warum fragte? Sie hätte seine Karte verloren … auf einer Strecke von vier Metern?

       Rutsch mir doch den Buckel runter!

       Warum mache ich mir eigentlich Gedanken über den Typen?

      Weil er die Frechheit besessen hatte, die erfolgsverwöhnte Elena abblitzen zu lassen. Eine Schmach, die sie nicht auf sich sitzen lassen konnte. Der kannte noch nicht die Waffen einer gekränkten Frau! … und dieses aufgebrachte Exemplar war fest entschlossen, ihm damit sein anmaßendes Mundwerk zu stopfen!

      Es nützte nichts, wenn sie auf unauffälligem Weg in den Besitz seiner Nummer kommen wollte, musste sie die Karte aus dem Busch angeln. Und das schnell. Bei dem Regen, der gegen die Scheibe prasselte, würde es maximal noch zehn Minuten dauern, bis sich das edle Stück aus handgeschöpftem Büttenpapier in einen klebrigen Einheitsbrei verwandelt hätte.

      Elena sah an sich hinunter. Wozu sollte sie jetzt noch etwas anderes anziehen? Die Uhr war gleich eins, um diese Zeit trieb sich hier niemand mehr auf der Straße herum. Sie zog den Gürtel des Bademantels stramm und angelte nach ihren Hausschuhen, von denen einer unter das Sofa gerutscht war und sich standhaft weigerte herauszukommen. Da sie keine Lust auf lange Diskussionen mit ihrem Schuhwerk hatte, schlüpfte sie kurz entschlossen in die High Heels, die an der Garderobe standen. Beschwingten Schrittes trabte Elena die Treppe hinunter, stellte den Schließmechanismus an der Haustür auf offen und flog förmlich die letzten Stufen der Außentreppe hinab.

      Es dauerte nicht lange, bis ihr im Zwielicht das elegante weiße Papierknäuel entgegen schimmerte. Sie hatte mit deutlich mehr Gegenwehr von Mutter Natur gerechnet. Doch zum Glück war die Karte am dornenbewehrten Ilex vorbei in die Hortensie gesegelt.

      Die Freude über das wiedergefundene Kleinod wich schnell einem entsetzten »Mist«, als sie das klappende Geräusch hörte. Elena musste es nicht sehen, sie wusste auch so, was geschehen war: Nach dem Duschen hatte sie das Fenster im Badezimmer zum Lüften geöffnet – und vergessen, die Badezimmertür zu schließen. Der entstandene Durchzug, als sie wieder zur Haustür hereingekommen war, hatte genügt, um die Wohnungstür im Obergeschoss zuschlagen zu lassen.

      Doch zumindest konnte sie ins Treppenhaus und war damit vor Wind, Wetter und neugierigen Blicken geschützt. Nicht ganz unwesentlich, wenn man sich in Ruhe für die eigene Blödheit zerfleischen wollte.

      Ein Hoffnungsschimmer flammte in der Dunkelheit auf. Menschen sind Gewohnheitstiere und Elena hatte die Angewohnheit, ihre Schlüssel im Vorbeigehen von dem kleinen Schränkchen im Flur zu nehmen, und einzustecken. Sie schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ihr Unterbewusstsein auch dieses Mal für sie mitgedacht hatte. Doch alles, was sie aus den Taschen ihres Bademantels beförderte, war ihr Smartphone – immerhin. Die gute Nachricht: Sie hatte den Akku aufgeladen … die schlechte: mittlerweile war es ein Uhr nachts durch.

       Schlüsseldienst!

      Aber genauso schnell, wie dieser Gedanken auftauchte, tauchte er auch wieder ab. Die Erinnerung an die letzte Begegnung mit einem dieser Halsabschneider war noch frisch: es war nicht bei den exorbitant hohen Kosten für das Öffnen der Tür geblieben. Sie hatte auch gleich noch eine neue Schließanlage und die Reparatur bezahlen dürfen, weil sich der seriöse Handwerker als totale Niete entpuppt hatte.

       Nein danke, nie wieder!

      Um diese Uhrzeit Freunde oder Bekannte zu bemühen, war auch keine Lösung. Die wohnten ausnahmslos am anderen Ende der Stadt und mussten morgen oder besser gesagt heute arbeiten. Ryan würde bestimmt sofort vorbeikommen und er wäre auch einer von denen, der diese Tür öffnen könnte, ohne etwas zu zerstören – aber Fiona und er lagen bestimmt schon im Tiefschlaf.

      Elenas Blick fiel auf das nasse Stück Papier in ihrer Hand.

       Nein, nein und nochmals nein!

      Schnell ließ sie die Karte, die noch deutliche Spuren der Misshandlungen zeigte, wieder in der Tasche des Bademantels verschwinden.

       Den Typ um Hilfe bitten?

       Niemals!

      Elena zog die Beine an und den Bademantel eng um sich. Sie beschloss, zu warten.

      Aber worauf?

      Auf den Morgen?

      Dann würde sich an ihrer Lage nichts geändert haben: Die Vermieterin wäre immer noch im Urlaub, ihr wäre immer noch kalt, alle wären zur Arbeit, und Ryan hätte immer noch viel zu tun. Wenn sie nicht hier auf der Treppe übernachten wollte, hatte sie keine andere Wahl ...

      Viermal musste sie neu ansetzen, weil ihr Körper sich offenbar dagegen wehrte, die richtige Nummer einzutippen. Der Daumen weigerte sich standhaft, die Fünf anzuwählen, stattdessen landete die Kuppe immer wieder auf der Zwei. Endlich kam die Verbindung zustande und Elena betete, dass David noch wach war. Gerade wollte sie das rote Hörersymbol antippen, als ein freundliches »Shalom!« erklang.

      »Hallo, hier ist Elena.«

      »Na, das ging ja schnell! Und wie lautet dein Angebot?«

      Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte das Smartphone an die Wand geworfen. Doch dann erklärte sie kleinlaut ihr Malheur und ließ den Kopf gegen das Treppengeländer sinken. Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, aber nicht mit seiner souveränen Reaktion: David fragte nur einmal kurz nach der Art des Schlosses, vergewisserte sich, dass sie sich im Haus befand, bat sie, genau dort zu bleiben, und orderte zeitgleich über das Haustelefon beim Concierge einen Wagen mit Fahrer. Zwölf Minuten später riss ein Klopfen sie aus den Gedanken.

      Langsam schritt Elena im Dunkeln die Treppe hinunter. Warum sie kein Licht machte, wusste sie selbst nicht, aber sie fühlte sich wohler bei dem Gedanken, dass sie zwar David im schwachen Schein der Straßenlaternen sehen konnte, aber er sie nicht gleich auf Anhieb. Albern, denn das würde sich sofort ändern, wenn er eintrat. Aber dieser kurze Moment gab ihr doch das Quäntchen Selbstbewusstsein, das sie dringend brauchte, um diesem so extrem selbstsicheren Mann gegenüberzutreten.

      »Guten Abend, schöne Frau, ist das Licht im Treppenhaus defekt?«, fragte er freundlich und überhaupt nicht überheblich. Statt zu antworten, drückte Elena den Knopf und suchte den Augenkontakt zu dem Mann, der sie so aus der Fassung brachte wie noch keiner vor ihm.

       Keine Häme.

       Kein Mitleid.

       Keine Arroganz.

      Sie hatte fast das Gefühl, vor ihr stünde ein ganz anderer als der, der sie vor rund einer Stunde verlassen hatte: ein Mensch.

      David fingerte einen Draht aus der Tasche und fragte