Geri Schnell

Mutige Studenten


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dem riesigen Gebiet, welches sie beanspruchten, hatten die Früchte genügend Zeit, nachzuwachsen. Sie waren mit ihrem Leben zufrieden. Kein Krieg, nur die Suche nach Nahrung beherrschte ihren Tagesablauf.

      Olivia fand das Leben, welches die beiden lebten, als erstrebenswert. Könnte man heute noch in eine verlassene Gegend ziehen und von dem Leben, das die Natur hergab? Wohl kaum, irgendjemand käme sicher auf die Idee, dass man die Steuern noch nicht bezahlt hat. Eigentlich schade.

      Anscheinend wurde das ruhige beschauliche Leben der Beiden durch ein Ereignis gestört. Vermutlich hatten sie etwas gefunden, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Etwas, das so wichtig war, dass jemand die entsprechende Stelle im Tagebuch so dick übermalte, dass man nicht mehr entziffern konnte, was sie gefunden haben. Doch der Fund scheint ihr Leben verändert zu haben. Es war der letzte Eintrag im Tagebuch. So bleibt die weitere Geschichte der beiden Männer ein Rätsel.

      Olivia war nach dem sie das Tagebuch zu Ende gelesen hat, enttäuscht. Haben die Männer das Kriegsende auf der Insel erlebt, oder habe sie nie erfahren, dass der Krieg zu Ende war? Leider wird sie es nie erfahren.

      Nachdem sie sich stundenlang im Bett gewälzt hatte, war sie endlich in einen tiefen Schlaf gefallen. Tage später fand sie die Motivation und begann ihre Erlebnisse aus der Zeit im Dschungeldorf aufzuschreiben. Dabei halfen ihr die Erinnerungen, die sie letzte Nacht hatte, als ihre Gedanken die beiden Männer im Dschungel begleiteten. Das Leben im Dorf war einiges komplizierter. Auch wenn sich die Bewohner theoretisch nur um die Beschaffung von Nahrung kümmern mussten, war das Leben im Dorf stark von Regeln bestimmt.

      Von Freiheit war wenig zu spüren. Vielleicht hatten die Dorfältesten, zu einem bestimmten Grad die Freiheit des Alters. Sie hatten immer Recht, keiner wagte es, ihnen zu widersprechen. Als frei würde Olivia jedoch auch die Dorfältesten nicht bezeichnen, sie standen immer unter Beobachtung. Auch wenn keiner widersprechen würde, die Alten mussten sich so benehmen, wie man es von ihnen erwartete, sonst wäre das ganze Dorf unglücklich.

      Olivia erinnert sich, dass sie mit den Ritualen und Zwängen im Dorf Mühe hatte. Dabei war natürlich ihre Sonderstellung ausschlaggebend. Als Fremde passte sie nicht in die seit Jahrhunderten entwickelte Überlebensstrategie des Dorfes und ihren Bewohnern. Keiner im Dorf wusste, wie sie mit ihr umgehen müssen. War es für die Sippe gut, wenn sie ihre Geheimnisse weitergaben, oder war Vorsicht angebracht? Konnten die Erkenntnisse, die sie später aus dem Dschungel in die Zivilisation mitnahm, der Sippe schade?

      Deshalb fasste sie spontan einen Entschluss, sie wird die Erlebnisse, die sie im Dorf erlebte für sich behalten. Die bereits geschriebenen Seiten löschte sie aus dem PC. Sie wird ihre wissenschaftliche Arbeit auf die Pflanzenwelt und die Ernährung der Dorfbewohner begrenzen. Wie wirken sich mangelhafte und einseitige Ernährung auf die Gesundheit aus?

      Nach dem Frühstück schreibt sie an ihrer Semesterarbeit. Endlich hat sie den Einstieg gefunden. Sie weiss jetzt schon, dass ihre Arbeit nicht sehr spektakulär ausfallen wird. Wenn man bedenkt, wie gross die Kosten ihrer Reise waren, wird ihr Professor von einer Fehlinvestition sprechen. Sie selber möchte auf ihre Erfahrungen im Dorf nicht verzichten. Sie betrachtet ihr Lebensinhalt aus einer neuen Sicht.

      Interessenkonflikt

      Als Olivia den Briefkasten öffnet, findet sie eine Karte. Ein eingeschriebener Brief muss abholten werden. Wieso erhält sie einen eingeschrieben Brief? Sie erwartet nichts, was kann das sein?

      Am nächsten Morgen holt sie den Brief ab. Mit erstaunen stellt sie fest, dass der Brief von einem Anwalt in Tallahassee stammt. Was hat sie mit einem Anwalt in Tallahassee zu tun? Ist es etwa der reiche Onkel aus Amerika, der verstorben ist? Sie weiss jedoch nichts von Verwandten in Amerika.

      Sie wagt es nicht den Brief in der Post zu öffnen. Sie beeilt sich, um nach Hause zu kommen. Sie geht auf ihr Zimmer und schliesst ab, bevor sie weiss, um was es geht, will sie das Geheimnis nicht mit Anna teilen.

      Endlich kann sie den Brief öffnen. Das Dokument ist sehr eindrucksvoll mit vielen Stempeln und Unterschriften. Der Anwalt teilt ihr mit, dass sie es zu unterlassen hat, nach Urs Sommer, Jürg Eicher und Knut Heglund zu suchen. Sie soll ihre Recherchen unverzüglich einstellen, sonst muss sie mit einer Klage rechnen.

      Jetzt versteht sie überhaupt nichts mehr. Wieso will jemand verhindern, dass sie nach den drei Personen sucht? Das soll einer verstehen. Dabei hat sie auf ihre Anfrage noch keinerlei Hinweise erhalten. Warum droht der Anwalt? Sie hat nichts Verbotenes gemacht, das muss sie nun doch mit ihrer Freundin besprechen.

      Als Olivia Anna den Brief zeigt, ist auch sie erstaunt. Das ist doch nicht normal, weshalb droht der Anwalt mit einer Klage? Aus ihrer Sicht hat sie nichts Unrechtmässiges gemacht. Das sieht der Anwalt offensichtlich anders. Steckt hinter dem Schicksal der drei Männer mehr, als sie bisher angenommen hat?

      «Was willst du jetzt machen?», fragt Tim, der später noch zu Besuch kommt.

      «Keine Ahnung, vermutlich muss ich meine Anfrage zurückziehen, für mich ist es ja nicht so wichtig», entgegnet Olivia.

      «Sicher ist es vernünftig, sich da herauszuhalten», bestätigt Tim, «andrerseits würde es mich schon interessieren, was dahinter steckt. Der Anwalt hat mich erst recht neugierig gemacht».

      «Mich auch», bestätigt Olivia, «doch ich habe Angst, uns geht die Sache doch wirklich nichts an.»

      «Nun», philosophiert Tim, «was ist, wenn es etwas mit den Diamanten zu tun hat, immerhin ist dies der letzte Eintrag im Tagebuch.»

      «Schon, nur wie willst du nach so langer Zeit herausfinden, was damals geschah?», meint Anna, «wurde jemand ermordet? Hat man ihn beraubt? Irgendetwas ist doch faul, sonst würden der Anwalt nicht so reagieren.»

      «Nun, als Erstes werde ich einem Freund in Amerika den Brief schicken! Kannst du den Brief einscannen?»

      «Natürlich ich bin gut eingerichtet, was glaubst du?», bestätigt Olivia, «das mit dem Freund in Amerika finde ich allerdings nicht gut, du weisst, wir müssen uns raushalten.»

      «Mein Freund Dean wird sich sicher nicht so dämlich anstellen», meint Tim.

      «Was meinst du mit dämlich! Hast du etwas gegen Frauen?»

      «Entschuldigung, das war nur eine Redensart, legt doch nicht alles auf die Goldwaage.»

      «Das war nicht sehr feinfühlig», meint auch Anna, «so seid ihr Männer, voll von Klischees, - zur Sache, ich denke auch, dass das Einschalten von Dean zu vertreten ist.»

      «Gut, mir ist es nicht wohl bei der Sache», willigt Olivia ein, «doch wenn was schief läuft, lasst ihr mich nicht im Stich, versprochen!»

      «Natürlich nicht, so einfach können sie dir keinen Prozess anhängen, oder hast du nächstens vor, nach Amerika zu reisen?»

      «Nein, ich habe im Moment genug vom Reisen.»

      Damit war man sich einig. Tim scannte den Brief ein und schrieb das Mail an seinen Freund Dean Richards in Florida. Er ist Rechtsanwalt und ist mit dem amerikanischen Rechtssystem vertraut. Tim kennt ihn von einer Studienreise vor fünf Jahren. Dean wollte damals noch Ökologie studieren, da ihm die Anwaltskanzlei zum Halse heraus hing, deshalb beteiligte er sich an einem Trip zum Mount Sankt Hellen.

      «Hoffentlich stellt er keine Honorarforderung», meint Olivia, die über die Stundensätze von amerikanischen Anwälten schon schlimmes gehört hat.

      «So, das Mail ist unterwegs», meint Tim, nachdem er das Iken senden gedrückt hat, «jetzt gibt es kein Zurück mehr.»

      Damit war das Thema Brief erledigt. Die drei wenden sich wieder ihren Alltagsproblemen zu. Die Ablenkung hatte allen gut getan. Nun können sie sich wieder an ihre Arbeit machen. Während Olivia noch mit grosse Motivationsproblemen kämpft, hat Anna bereits hunderte von Varianten entwickelt, am Ende scheitert alles an der Frage, wer soll es bezahlen. Auch Tim dreht sich im Kreis, das Einlagern von CO2 ist nicht so einfach. Das Zeug dringt durch alle Gesteine hindurch.

      Vor