Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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ihr die offenen Aufgaben zu besprechen. „Du kannst gern während Skylers Abwesenheit bei mir wohnen, wenn du magst. Dann musst du nicht alleine speisen. Außerdem erfreue ich mich daran, jemandem zum Reden zu haben“, bestürmte Jodee mich, kaum dass ich ihr Haus betrat. „Gern. Und wenn du mal einen Wohnungswechsel benötigst …“ Sie lachte herzhaft. „Danke, aber ich lebe am liebsten in meinen eigenen vier Wänden. Apropos eigene vier Wände. Sollte euer neues Heim jetzt nicht bald fertig sein?“ Sie bündelte Kräuter und hing sie an einem Gestell unter der Decke zum Trocknen auf. Zwischenzeitlich rührte sie mit einer hölzernen Zange in einem Bottich herum, in dem Leinenstreifen kochten, die sie als Verbandmaterial benutzte. Ich kannte Jodee nur in Bewegung. Selten gönnte sie sich Ruhe. „Ja. Ich werde später vorbeischauen, damit die Handwerker keine Pause bis zu Skylers Rückkehr einlegen.“ „Gut. Aber nimm dir einen der Herren aus dem Rat mit, besser zwei. Sie müssen sehen, dass die Geschäfte weiterlaufen, auch wenn Skyler nicht in der Stadt ist. Hat er Vorkehrungen für die Zeit seiner Abwesenheit getroffen?“ „Er wird ja nicht ewig fortbleiben“, wich ich ihrer Frage aus. Tatsächlich hatten wir nicht darüber gesprochen, wie seine Vertretung zu regeln sei. Jodee sah mich ungläubig an. „Du meinst, er hat sich einfach nach Timno Theben begeben, ohne diese Dinge mit dir zu besprechen?“ Eine haarlose Augenbraue formte sich zu einem ausgeprägten, umgedrehten U. „Er schien sehr in Eile zu sein. Die Wahlen finden in knapp einem Monat statt. Er ist nur wegen mir länger geblieben.“ Sie sah mich weiterhin skeptisch an. „Selbst, wenn Skyler Tag und Nacht durchreiten würde, benötigt er fast zwei Wochen“, verteidigte ich seinen überstürzten Aufbruch. „Hm. Jedenfalls kann es nicht schaden, wenn du präsent bist, bevor jemand anderer seine Abwesenheit nutzt, um an seinem Stuhl zu sägen.“ „Ich werde mich später im Gemeindehaus sehen lassen“, ließ ich mich hinreißen. Jodees kohlrabenschwarze Augen ruhten auf mir. Der Humor darin war verflogen. „So lange würde ich nicht warten. Ich schätze, das ist seine Art dir zu sagen, wo dein Platz ist. Verstehe mich nicht falsch, Avery, aber er scheint sich immer noch nicht damit abzufinden, dass du deinen eigenen Kopf hast und Heilerin sein willst. In erster Linie bist du die Frau des Statthalters von Gullorway und Botschafters von Kandalar. Sollte er als Esch zurückkehren, bist du die Guhlant an seiner Seite. Er hat dich ins kalte Wasser geworfen, würde ich sagen.“ Selten kommentierte sie Skylers Absichten mit solcher Deutlichkeit. Es ärgerte mich mal wieder von ihm ferngesteuert zu werden. „Was soll ich deiner Meinung nach unternehmen?“ Meine Stimme klang eisiger als beabsichtigt. „Wie würde Skyler jetzt vorgehen?“, stellte sie mir eine Gegenfrage, ohne sich ihre gute Laune nehmen zu lassen. Ich beneidete sie um ihre Gelassenheit. „Womöglich einen Berg von Bettelbriefen lesen, seine Ratsmitglieder herumkommandieren, die Baustelle beaufsichtigen und Annie besuchen.“ „Annie?“ Jodee stutzte. Wusste sie noch nichts von dem tragischen Ereignis? Kurz setzte ich sie ins Bild. „Das gefällt mir überhaupt nicht.“ Nachdenklich kratzte sie sich am Kopf. „Wir ändern die Reihenfolge und besuchen Annie sofort!“ Sie griff nach der Ledertasche, die heilende Medizin für Notfälle enthielt und forderte mich auf, ihr zu folgen. Mittlerweile besaß ich einen ebensolchen Beutel, um neben den mir eigenen Fähigkeiten gerüstet zu sein. Wir durchliefen die staubigen Straßen Gullorways, die sich allmählich zu füllen begannen. Pferdekarren rumpelten an uns vorbei, vom Bäcker wehte ein angenehmer Duft nach frischem Brot zu uns herüber. „Geh schon vor, ich nehme noch einen Laib Brot mit und komme nach“, beschloss Jodee und stapfte zum Bäcker hinein. Annies Haus lag eingepfercht zwischen dem des Färbers und des Zimmermanns. Noch bevor mich der strenge Geruch der Färbemittel erreichte, stachen mir die leuchtenden Farbtöne der zum Trocknen aufgehängten Stoffe ins Auge. Auf mein Klopfen hin öffnete die Frau des Färbers, eines ihrer Kinder an der Hand und einen Säugling auf dem Arm tragend. „Den Göttern sei Dank, dass du vorbeischaust“, begrüßte sie mich. Sie wirkte erschöpft. „Annie ist oben, will nicht reden und nicht essen, das arme Ding. Kommst du klar?“ „Ja. Jodee ist auf dem Weg. Danke, dass du dich um sie gekümmert hast. Grüße mir deinen Mann.“ Sie nickte knapp und stahl sich erleichtert an mir vorbei. Oben hörte ich das Weinen eines Kindes. Mit Schritten wie Blei trat ich die abgewetzten Holzstufen hinauf. Ich fand Annie in ihrem Bett vor, die Haare um den verschwitzten Kopf verwirbelt, den Blick starr zur Decke gerichtet. Bei meinem Eintreffen schwoll das Babygeschrei an. In einer hölzernen Kiste am Fußende entdeckte ich die Urheberin dafür. „Du bist“, ich überlegte kurz, dann fiel mir der Name des Mädchens wieder ein. „Hannah, richtig?“ Ich besaß keinerlei Erfahrung im Umgang mit Kleinkindern, hoffte aber, dass meine Anwesenheit beruhigend auf Mutter und Kind wirkten. „Wie fühlst du dich, Annie?“, wandte ich mich an die junge Frau. Sie mochte höchstens siebzehn sein, doch hinterließ das Leben bereits erste Spuren in ihrem Gesicht. Die Wangenknochen wirkten eingefallen, die Haut fahl. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. „Wie würdest du dich fühlen, wenn du deinen Mann und dein ungeborenes Kind verloren hättest?“ Schmerzerfüllte Augen glitten zu meinem gewölbten Bauch. Eine einsame Träne bahnte sich ihren Weg über ihr hohlwangiges Gesicht, bevor sie den Kopf wegdrehte. „Es tut mir leid, Annie“, flüsterte ich. Unbeholfen drückte ich ihre eiskalten Hände, strich ihr die Haare aus dem Gesicht. “Mir fehlen die Worte, doch ich teile deinen Schmerz.“ Ich nahm sie in den Arm. Sie ließ es geschehen. Hoffnungslosigkeit und Trauer in mich aufnehmend, bemühte ich mich zuversichtlich zu klingen. Herannahende Schritte, dann tauchte Jodee im Türrahmen auf. „Essenszeit. Ich habe frisches Brot, Honig und ein paar Haferflocken mitgebracht.“ Trotz der angespannten Lage verbreitete sie Optimismus. „Avery, nimm Hannah mit in die Küche! Mach einen Topf Milch mit Honig warm und gebe ein paar Haferflocken dazu. Mutter und Kind können bestimmt etwas zu essen vertragen. Was sagst du dazu, Annie?“ „Wenn du meinst.“ „Gut. In der Zwischenzeit würde ich dich gerne genauer untersuchen.“ Annie blickte müde drein, auch wenn sie nicht mehr so resigniert. Ich hatte ihr ein wenig von meiner Heilung übertragen. „Avery?“ Jodees Stimme klang ungeduldig. „Bin schon unterwegs.“ Ich hob Hannah aus ihrem improvisierten Bett, griff nach einer Lumpenpuppe mit nur einem Arm, die neben der Kiste lag. „Komm, wir kochen dir und Mama etwas Leckeres zu essen.“ Hannah ließ sich widerstandslos von mir forttragen. Die Puppe unter dem Arm geklemmt, fasste sie mit der freien Hand nach meinen Haaren und zog interessiert daran. Ich setzte sie auf dem Küchenboden ab und bereitete das einfache Mahl zu. Auf der Suche nach Tellern und Löffel, plapperte ich unnützes Zeug vor mich hin, nur, um nicht an das denken zu müssen, was Annie widerfahren war. Erleichtert sah ich sie wenig später gemeinsam mit Jodee die Treppe herunterkommen. Wir nahmen um den Tisch herum Platz. Hannah begann wieder zu weinen, woraufhin Annie sie erschöpft auf den Schoß hob. Lustlos tunkte sie ein Stück Brot in ihren Teller, ohne jedoch etwas zu sich zu nehmen. „Du musst essen und viel trinken, Annie“, mahnte Jodee. „Du hast viel Blut verloren und musst wieder zu Kräften kommen.“ „Wozu? Die Götter haben mir alles genommen.“ „Du hast ein Kind, das dich braucht, und wir brauchen dich auch“, wandte ich mich sanft an sie. „Du nimmst einen Platz in unserer Gesellschaft ein, die nur funktionieren kann, wenn alle zusammenhalten.“ Während des Essens bemühten Jodee und ich uns um eine unbeschwerte Konversation, doch bald schon hüllte uns der Mantel aus Trauer wieder ein. Ich setzte dazu an, den Tisch abzuräumen, weil ich nicht länger untätig herumsitzen wollte. „Lass gut sein, Avery“, wandte Annie ein. „Wir sind für dich da, wenn du etwas benötigst. Ich werde heute Abend nochmals nach dir sehen!“, versicherte ich ihr. „Ich weiß nicht.“ „Aber ich weiß es!“ Ich warf Jodee einen auffordernden Blick zu, die sich daraufhin erhob. „Du hast gehört, was die Frau des Statthalters gesagt hat. Stoße sie nicht vor den Kopf, hm?“ Sie tätschelte ihr zum Abschied die Wange. Die Hand am Türgriff hörte ich ein leises „Ich denke darüber nach.“ Es war also noch nicht alles verloren. „Nächster Punkt der Tagesordnung: Du gehst zum Gemeindehaus, ich beaufsichtige die Helferinnen und nehme mich der Heilungsbedürftigen an“, verfügte Jodee. Ich hielt inne. Die Mittagshitze trieb mir den Schweiß auf die Stirn. „Wie steht es wirklich um Annie? Wird sie es schaffen?“, fragte ich besorgt. Jodee zog mich in den Schatten eines Hauses. „Ja. Aber es braucht Zeit, auch wenn du sie mit deinen heilenden Kräften unterstützt. Gut, dass du besonnen vorgegangen bist. Die Menschen stehen der Magie oftmals ängstlich gegenüber und Angst hat Annie genug erfahren in den letzten Stunden. Sehen wir uns, wenn du die stellvertretenden Aufgaben des Statthalters erfüllt hast?“ Sie sah mich aufmunternd an. „Wie viele Nächte willst du wachbleiben, um auf mich zu warten?“ Sie lachte herzlich und ich fiel ebenso darin