welcher Frage?“ Ich lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und beobachtete ihn verzückt dabei, wie er sich aus seiner festlichen Kleidung schälte.
„Gestern Morgen, als du die Ratsmitglieder beobachtet hast. Was hast du in ihren Gesten gelesen?“
Ich dachte kurz nach. „Jared, das ist der Scout aus Ludimnis, richtig?“
Skyler nickte, ließ sich aufs Bett sinken und klopfte auffordernd neben sich. Nur zu gern schlüpfte ich unter die Bettdecke, um mich an ihn zu schmiegen.
„Auch wenn er dir versicherte, dass seine Männer ergeben hinter ihm stehen, statt hinter dem Statthalter von Ludimnis, verrieten mir seine Gesten das Gegenteil. Bei Dannis war es ähnlich. Er neidet dir unser neues, großzügiges Haus und fällt im gleichen Moment über den in Ungnade gefallenen Statthalter Timno Thebens und seine Weibergeschichten her, um dir zu schmeicheln. Ethan dagegen schätze ich hundertprozentig loyal ein.“
„Ich wusste, dass ich auf deine Fähigkeiten bauen kann.“
Seine Fingerspitzen fuhren nachdenklich an meinem Kinn entlang, zeichneten die Konturen meiner Lippen nach.
„Du siehst den Menschen hinter seinen Worten.“
„Außer bei dir. Da muss ich mich in deinem Kopf aufhalten, wenn ich aus dir schlau werden will.“
Er stützte sich auf seine Ellenbogen und betrachtete mich versonnen. „Was könnte ich dann jetzt wollen? Ohne – dass du meine Gedanken liest.“
„Eine einfache Aufgabe. Diesmal stehen dir deine Gedanken ins Gesicht geschrieben.“
Mein Herz pochte in freudiger Erwartung.
„Ist das so?“
„Eindeutig.“
Verrat
Die folgenden Wochen und Monate verliefen ereignislos. Korays Meuchelmörder blieben unentdeckt. Selbst in meinen Visionen gelang es mir nicht, ihren Auftraggeber zu bestimmen. Ob aus Timno Theben oder anderen Städten, sie mochten genauso gut aus den umliegenden Dörfern oder Clans angeworben worden sein. Bei guter Bezahlung waren die Menschen zu fast allem bereit, erschienen wie dunkle Schatten und verschwanden ebenso unerkannt.
Während Skyler sich weiterhin auf seine Wahl als Esch vorbereitete, dazwischen die Bauarbeiten unseres Hauses beaufsichtigte, damit wir bald dort einziehen konnten, spannte Jodee mich ein. Endlich schien ich am Ziel meiner Träume, auch wenn noch Welten davon entfernt, eine Heilerin von ihrem Format zu sein. So saugte ich das Wissen, dass sie mich lehrte, auf wie ein Schwamm. Zusätzlich bildete sie weitere Frauen als Helferinnen aus, da wir unmöglich zu zweit eine ausreichende Versorgung für eine Stadt dieser Größenordnung abdecken konnten. Selbst diese Zahl war lächerlich gering, doch deutlich höher als in anderen Provinzen. Sobald die Frauen und Mädchen über die grundlegenden Dinge der Heilkunst verfügten, sollten sie wiederum weiteren helfenden Kräften ihr Wissen vermitteln.
Wenn ich keine Kräuter ansetzte, Hausbesuche absolvierte oder mich mit theoretischen Fragen der Heilkunst beschäftigte, begab ich mich auf die Felder, um den Anbau von Jodees Disteln zu überwachen. Ich pflanzte neue Gemüsesorten an, perfektionierte die Bewässerungsanlagen. Mein Leben war ausgefüllt.
Skyler sah ich meist erst am Abend, da ihn sein Amt als Statthalter Gullorways stark beanspruchte. Nur noch selten begleitete ich ihn zu Ratssitzungen, sehr zu seinem Unmut, da ihm mein Urteil im ‚Menschenlesen‘, wie er es nannte, fehlte.
„Heute hätte ich dich gern an meiner Seite gesehen, Avery.“
Sein nachlässig über die Stuhllehne geworfener Ratsherrenumhang glitt zu Boden. Als ich ihn aufheben wollte, durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Pulsierendes Ziehen in der Leistengegend zwang mich in die Knie.
„Was ist mit dir, Avery?“
Skyler eilte zu Hilfe. Wirkte sein Gesicht eben noch angespannt von dem langen Tag, las ich jetzt Sorge darin.
„Ich … weiß es nicht.“ Unwillkürlich legte ich die Hände schützend auf die inzwischen nicht zu übersehende Wölbung meines Bauches. Das Ziehen wurde intensiver.
„Ich hole Jodee!“ Skyler lief bereits zur Tür.
„Warte, es geht sicherlich gleich vorüber.“
„Keine Widerrede!“
Er hastete nach draußen. Schwindel erfasste mich, kaum, dass ich mich in Krämpfen windend erhob. Haltsuchend packte ich nach der Stuhllehne. Mit zitternden Händen goss ich mir einen Becher voll Wasser ein. Die kühle Flüssigkeit belebte meine Sinne und der Schwindel ging vorüber. Als Skyler mit Jodee hereinstürmte, hatte ich mich wieder einigermaßen in der Gewalt.
„Beschreib mir die Anzeichen!“, verlangte Jodee, indes ihre Hände über meinem Bauch schwebten. Sie wirkte entspannt, also schien es nichts Dramatisches zu sein. Skyler hingegen gab das reinste Nervenbündel ab. So kannte ich ihn gar nicht.
„Setz dich hin oder bereite das Geflügel vor, dass ich draußen zum Abhängen gesehen habe, aber stehe mir hier nicht im Weg rum, Skyler!“
„Wie schlimm ist es?“, fragte ich sie, kaum dass Skyler den Raum verließ.
Jodee tätschelte mir beruhigend die Hand.
„Alles gut, würde ich sagen.“ Sie strahlte übers ganze Gesicht.
Skyler kam zurück. In der einen Hand zwei schlaffe Hühner, in der anderen einen Holzeimer, sah er mit unruhigem Blick zu uns herüber.
„Wäre gut, wenn du die Federn von den dürren Dingern rupfst. Vielleicht bleibt dann noch was zu essen übrig“, wies Jodee ihn an und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Es war offensichtlich, dass sie ihn beschäftigen wollte, weil er sie nervös machte. Ich bewunderte sie für ihre Courage, binnen Sekunden das Zepter in die Hand zu nehmen, uns beide dabei im Auge behaltend wie eine Glucke. Skyler schob missmutig einen Topf mit Wasser auf die Kochstelle, uns weiterhin beobachtend.
„Es ist nichts, worüber ihr euch sorgen müsstet.“
Sie warf einen knappen Blick über die Schulter zu Skyler hin. Dann richtete sie ihre kugelrunden, fröhlichen Augen wieder auf mich.
„Nach meinen Berechnungen bist du jetzt Anfang des fünften Monats, schätze siebzehnte oder achtzehnte Schwangerschaftswoche. Was du eben empfunden haben dürftest, waren die ersten Wehen. Dein Körper trainiert sozusagen schon für den Ernstfall.“
Wie sie es sagte, klang es unspektakulär. Beruhigend.
„Das wird sich in den nächsten Wochen noch einige Male wiederholen. Kein Grund, sich zu fürchten. Eure Mädchen müssten jetzt in etwa so groß sein“, sie maß mit ihren kleinen Händen eine Handspanne. „Dein Bauch wird nun immer runder werden, wobei ich mich frage, wie du es anstellst, weiterhin so schlank zu bleiben. Isst du überhaupt genug?“
Ihr kritischer Blick glitt über meine Statur.
„Nun“, setzte ich an.
„Skyler?“
Er zuckte wortlos mit den Achseln und schwenkte das Huhn im siedend heißen Wasser, damit sich die Federn später leichter abrupfen ließen.
„Isst sie genug?“, fragte sie mit Nachdruck.
Skyler schüttelte den Kopf, als frage er sich, was er hier überhaupt tat, blieb ihr aber die Antwort schuldig. Ungehalten zog er das Geflügel aus dem Wasser, rückte sich einen Schemel zurecht und begann es zu rupfen.
„Hm“, brummte Jodee und wieder an mich gewandt: „Es ist wichtig, dass du dich ausgewogen ernährst. Da du kein Fleisch isst, musst du mehr als sonst Fisch, Geflügel, Linsen und grünes Blattgemüse zu dir nehmen, um den Eisenhaushalt aufrechtzuerhalten. Kriegst du das hin, Avery?“
Ich nickte ergeben, obgleich sich eine neue Welle im Unterleib einstellte, stärker diesmal. Allmählich bekam ich eine Vorstellung von dem Ernstfall, den mein Körper trainierte.
„Hast du Blutungen?“, fragte Jodee unumwunden.
Ich