Wolfe Eldritch

Die Rückkehr des Wanderers


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blutverschmiertes Raubtiergebiss im Maul der Kuh zu sehen. Die Zähne waren allerdings so flach und stumpf, wie es bei einem Pflanzenfresser zu erwarten war. Dennoch war das Gebiss mit getrocknetem Blut verschmiert. Zwischen den breiten, plumpen Mahlzähnen hingen vereinzelte Fetzen Gewebe, bei denen es sich um Fleischreste aus dem Körper des zweiten Tieres handeln musste.

      »Dann hat die Hirschkuh mit den verrutschten Augen sich wohl gedacht, dass immer nur Grünzeug auf Dauer langweilig ist«, meinte der ältere Jarl, »Die Artgenossen sehen doch auch ganz lecker aus. Was genau machst du noch mal in deinen Wäldern, Varg? Irgendetwas, dass du mir erzählen möchtest?«

      Der besorgte Klang seiner Stimme strafte die Unbefangenheit der Worte Lügen. Was auch immer mit diesen Tieren geschah, mochte eine Gefahr für eine der wenigen Nahrungsquellen bedeuten, die Norselund nach dem Grau verblieben waren. Wild spielte kaum mehr eine Rolle bei der Ernährung. Aber Krankheiten konnten ansteckend sein und auf die wertvollen Nutztiere übergreifen.

      »Lass uns das später bei einem Stück Hirschbraten besprechen«, gab Varg trocken zurück. Er wandte sich erneut dem Forstmeister zu. »Bringt den Kadaver von der Kuh mit den Missbildungen zum Eingang vom Turm und packt ihn wieder ein. Damit wird sich Meister Leoric noch eingehender beschäftigen. Verbrennt der Rest und vergrabt die Asche.«

      Er stand auf und ging einige Schritte zu den beiden Waldhütern und dem Wachmann hinüber.

      »Ihr drei, und das gilt auch für dich und jeden anderen, der bislang damit zu tun hatte, Jorge. Ihr werdet über diese Sache Stillschweigen bewahren. Es mag Gerüchte über merkwürdige Tiere im Wald geben, die gibt es vermutlich ohnehin schon länger. Wenn mir aber in den nächsten Wochen zu Ohren kommt, dass sich Raubhirsche in unseren Wäldern herumtreiben, werde ich wissen, wer nicht das Maul halten konnte. Haben das alle verstanden?«

      Die Männer murmelten zustimmend, und es hörte sich durchaus aufrichtig an. Die Stimme des Jarls hatte einen metallischen Klang angenommen, der ihnen nur zu vertraut war. »Wenn ihr wieder auf solche Tiere stoßt, seien es missgebildete oder welche mit derartigen Wunden, dann lasst sie im Wald. Verbrennt sie wenn möglich und vergrabt die Asche. Wenn Feuer keine Option ist, dann vergrabt die Kadaver, aber macht es tief und ordentlich. Ich will von diesem Zeug nichts mehr hier haben, aber meldet sie Jorge, und nur ihm. Jeden einzelnen Fall. Es ist wichtig, dass ich mir ein Bild davon machen kann, wie oft das passiert. Und nach Möglichkeit auch wo. Jorge, du sammelst diese Meldungen und erstattest mir einmal die Woche Bericht, verstanden?«

      Der Forstmeister nickte stumm.

      »Gut, dann räumt hier auf. Stian kommst du mit zu Leoric? Die Treppe ist ein wenig steil, du weißt schon«, er deutete vage in Richtung des Beines seines Freundes.

      Der nickte nur und machte eine wegwerfende Geste. Sie gingen gemeinsam zum Eingang des Turmes, in dem der alte Haushofmeister lebte. Die Männer begannen stumm damit, die Kadaver der Tiere wegzuschaffen.

      »Bald kannst du dir statt Hunden Wachhirsche halten, das hat sicher kein anderes Haus im Königreich zu bieten. Wird vielleicht endlich mal ein neuer Exportartikel. Eine Alternative zu den langweiligen Eisenbarren«, bemerkte Stian, während er auf den Stock gestützt neben dem Burgherrn zum Eingang des Turmes ging. Dieser warf einen kurzen Seitenblick auf den Freund und sah, dass er trotz seiner Worte blasser war als sonst. Die zahllosen Falten in dem alten, harten Gesicht schienen noch einen Millimeter tiefer geworden zu sein.

      »Wenn uns das Wild verreckt«, meinte Varg leise, »oder sich gegenseitig auffrisst, wird die Nahrungsversorgung mancherorts vielleicht ein bisschen dünner. Das würde kein großes Problem darstellen. Darüber, dass dieses Zeug für die Nutztiere ansteckend sein könnte, möchte ich allerdings lieber nicht weiter nachdenken.«

      »In der Tat«, stimmte Stian abwesendem Ton zu, »ich weiß noch, wie es sich anfühlt, wenn der Hungertod mehr ist, als nur ein Schreckgespenst. In meiner Kindheit war der Hunger der Schnitter, der fleißig sein Tageswerk um uns herum verrichtet hat. Ich war natürlich als Familienmitglied des Jarls besser versorgt als die armen Schweine da draußen, aber auch ich weiß noch recht gut, wie lecker wässriger Getreidebrei im Gegensatz zu Luft sein kann. Ich war heilfroh, als sich die Lage damals langsam normalisiert hat. In meinen späten Jugendjahren hatte ich jedenfalls wieder jeden Tag etwas zu essen und es ist nicht jede Woche jemand verreckt, den ich kannte.«

      Als sie die schwere Eisenholztür des Turmes erreichten, ergriff Varg mit der behandschuhten Rechten den mit Holz verkleideten eisernen Bügel und drückte dagegen. Fast geräuschlos schwang der beschlagene Türflügel auf und gab den Blick in einen kleinen, dunklen Vorraum frei. Eine schmal gewundene Treppe führte steil nach oben.

      Stian seufzte beim Anblick der zahlreichen, flachen Stufen.

      »Ein alter Krüppel hinauf oder ein steinalter Tattergreis hinab, einen muss es treffen. Diesmal ist die Reihe wohl an dem alten Krüppel.«

      »Wenn du das nächste Mal da bist, habe ich sicher schon ein paar von den Wachhirschen darauf abgerichtet, meine ältlichen Freunde durch die Gegend zu tragen«, meinte Varg. »Komm schon, jeder Heiler hat dir bis jetzt gesagt, dass Bewegung deine Beschwerden lindern wird. Wir gehen ja langsam.«

      Der andere seufzte erneut und sie begannen den Aufstieg.

      Leoric Holstodden war einer der letzten noch lebenden Magier, die den Krieg zwischen Norselund und dem Königreich vor achtzig Jahren miterlebt hatten. Die Hochzeit der Magie war schon seit Jahrhunderten vorbei. In den alten Tagen hatte jede Mark des Reiches über ihre eigene Magiergilde verfügt.

      Schon bei der Reichsgründung vor über achthundert Jahren hatten die Verheerungen, welche die Kampfmagier anrichteten, die Saat der Angst und des Misstrauens in den Herzen der Menschen gesät. Nach der Zerschlagung der Gilden und der Verfolgung durch Kirche und Inquisition unter der Herrschaft von Gregor dem Erleuchteten war die Insel schließlich zur letzten Zuflucht für magisch Begabte geworden. Bei dem Krieg vor achtzig Jahren standen sie dann auch fast ausnahmslos hinter den Jarlen. Als die norselunder Armee die Invasionsstreitkräfte des Königs an der Küste aufzuhalten versuchte, fanden sie bis auf wenige Ausnahmen den Tod.

      Leoric war bei dieser mehrere Tage dauernden Schlacht dabei gewesen. Ein junger Bursche noch, doch nach nur wenigen Jahren der Ausbildung wusste er schon damals, dass es um sein magisches Talent nicht sonderlich gut bestellt war. Als sich der Schlachtenlärm gelegt hatte, hatte er zu einer Handvoll überlebender Magier gehört. Ein Stümper wie er war in schweren Kampfhandlungen nutzlos. So war er im Chaos der Schlacht am Leben geblieben, ohne wirklich zu wissen, wie ihm geschah. Jeder Nachteil vermochte einem unter den richtigen Umständen zum Vorteil gereichen. Er stand seit fast sechzig Jahren im Dienste derer av Ulfrskógr und hatte das letzte halbe Jahrhundert zurückgezogen auf Snaergarde verbracht.

      Er hatte immer Freude an der Alchemie gefunden, und hierauf beschränkte sich auch seine magische Tätigkeit. Jetzt siebenundneunzig Jahre alt, kümmerte er sich schon eine ganze Weile kaum noch um die Belange, die einem Haushofmeister eigentlich zukamen. Er pflegte die nach all der Zeit gar nicht mehr so kleine Bibliothek, braute die eine oder andere magisch verstärkte Medizin, und erfreute sich ansonsten, so gut es eben ging, seines hohen Alters.

      Der Greis saß an dem Esstisch der Wohnstube, die zugleich den Flur zu den anderen Gemächern bildete. Von hier aus führten Türen zum Schlafgemach, dem Labor und zu einem Raum ein Stockwerk höher, seiner Bibliothek. Er hörte die Schritte auf der Treppe vor der Eingangstür und erhob sich langsam. Sein Gehör war der Sinn, der ihm am besten erhalten geblieben war.

      Es war ihm weniger gut gelungen das Alter aufzuhalten, als es ein fähigerer Magier vermocht hätte, aber er war recht zufrieden. Ein paar Jahre würden ihm noch in einem lebenswerten Zustand bleiben, und er hatte die Schmerzen der alten Gelenke mit Hilfe der Tränke gut im Griff. Er erreichte die Eingangstür beinahe in dem Moment, als sie sich nach einem kurzen Klopfen langsam öffnete.

      »Ah, mein Lord, ihr habt euch die Tiere angesehen, nehme ich an. Kommt doch herein, wenn ich auch fürchte, wenig Wissenswertes beisteuern zu können«, sagte er, wahrend die beiden Besucher eintraten, und fügte mit einem respektvollen Kopfnicken in Richtung des älteren Jarls hinzu: »Lord av Falksten.«

      Sie