Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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doch überhaupt erst hier!“ Meine Stimme schlug in Hysterie um.

      „Du bist nicht wegen mir hier, Avery, sondern um in deinen Fähigkeiten ausgebildet zu werden.“

      „Komm mir nicht so! Es war dein Wunsch, mich dir anzuschließen und dir in diese menschenleere Bergwelt zu folgen. Denkst du, ich hätte Gullorway freiwillig gegen das hier“, verbittert sah ich mich um, „eingetauscht?“ Verzweifelt kämpfte ich gegen die aufsteigenden Tränen an. Ich wollte vor ihm nicht die Fassung verlieren und tat es doch. „Dann war alles nur gespielt? Um mich herzulocken? Warum?“ Meine Stimme versagte und er konnte verdammt froh sein, dass ich noch den Handschuh trug, sonst hätte ich ihn zu Asche pulverisiert.

      „Avery, nicht!“, zwang er mich mit sanfter Gewalt, den Handschuh anzubehalten. „Es ist nicht so, wie du denkst.“

      „Was denk ich denn? Dass ich blöd genug war, dir wie ein Schaf zu folgen? Dass ich unserer körperlichen Vereinigung mehr beigemessen habe, als dir ein bloßes Triumphgefühl zu entlocken?“

      Er hielt mich mit Bärenkräften umschlossen.

      „So ist es nicht. Du bist mein …“

      „Eigentum? Gebunden an ein Brandzeichen?“

      „Du wirst es verstehen, Avery. Doch jetzt ist nicht die Zeit für Erklärungen. Ich werde dich zurückholen, aber während deiner Ausbildung ist für mich hier kein Platz. Daher musst du bei den Javeérs bleiben, als eine von ihnen.“

      „Es war nicht der Wind, der mir im Schlaf zugeflüstert hat, dass du ein Abkommen mit ihnen getroffen hast, richtig?“

      Ertappt biss er die Zähne aufeinander.

      „Und wer sagt dir, dass ich dich dann überhaupt noch will?“, spie ich ihm entgegen.

      „Du kannst gar nicht anders, Montai. Verzeih mir.“

      Kurz zog er mich zu sich heran, presste seine Lippen auf meine, bevor er mich freigab. Plötzlich stand LeAssenat wie ein Geist neben mir, seine dürre Hand drückte meine Schulter und ich wurde mit einem Mal sehr, sehr schläfrig. Die letzten Worte, die ich noch vernahm, hallten im Inneren meines Kopfes wider, wie ein Schrei, dabei hatte Skyler sie nur geflüstert. „Meine Guhlant.“

      Die Javeérs

      Gerade mal eine Woche war es jetzt her, dass Skyler mich bei den Javeérs zurückgelassen hatte. Umgeben von zwölf wortkargen greisen Männern, von denen selbst der jüngste älter als mein Vater war.

      Skeptisch besah ich mir die gewagte Konstruktion des Klosters. Sie bestand aus einer hölzernen Pagode, die kunstvoll mit Balken abgestützt und mit kleinen beeindruckenden Räumlichkeiten hoch oben über einem Gebirgsbach schwebte. Wie ein Schwalbennest an eine senkrechte Felswand gebaut.

      Seit Tagen schaltete ich auf stur. Ich aß so gut wie nichts. Wollte mit niemandem reden, wenn sie nicht dazu bereit waren, mir von dem mit Skyler geschlossen Pakt zu berichten. Stumpfsinnig dämmerte ich dahin. In dem Maße wie der Hunger schwand, nahmen die Schmerzen in der Brust zu, genauer gesagt, im Herzen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich nach einem Mann derart verzehren würde. Ich wollte ihn hassen, doch eine unbegreifliche Macht band mich an ihn.

      Träge öffnete ich die Augen. Nur am Rande registrierte ich die sehnige Hand, die mir irgendeine Flüssigkeit einzuträufeln versuchte. Dicker als Wasser und dünner als Suppe. Begleitet von einem melodischen Singsang, kehrten meine Lebensgeister mit jedem Löffel zurück.

      „Du magst einen ausgeprägten Willen haben, mein Kind aber …“

      „Avery“, krächzte ich. „Und ich bin das Kind meines Vaters – niemand sonst.“

      Aus dem runzeligen Gesicht meines Gegenübers starrten mich zwei milchige, pupillenlose Augen an – der Mann war blind.

      „Warum vergeudest du dein junges Leben, wo hingegen Bedeutsames auf dich wartet?“

      Er stellte sich mir nicht vor. Stattdessen ordnete er an, den Inhalt des Bronzebechers in seiner Hand in kleinen Schlucken auszutrinken.

      Es bedurfte noch einige Tage und des absonderlichen Mantra, bis ich wieder bei Kräften war. Auch wenn er Magie angewandt hatte, so wusste er doch nichts gegen die Leere in meinem Inneren auszurichten. Das Wort Liebeskummer wollte ich mir nicht einmal gestatten zu denken. Wie hatte ich nur so naiv sein können zu glauben, dass Skyler was an mir lag? Für ihn war ich doch nur das Dummchen, an das er seine Eitelkeit stillte und mit Leichtigkeit herumgekriegt hatte.

      Ohne auf meine Fragen oder Einwände einzugehen, fand ich mich von einen auf den anderen Tag in ein Programm integriert, dessen straff organisierter Stundenplan mir kaum noch Zeit zum Grübeln ließ. So beobachtete ich nur.

      Die befremdliche Allianz der Javeérs schien keiner hierarchischen Struktur zu folgen. Ihren Namen stand allen voran ein „Le“. LeAssenat, LeDessart und so fort. Ebenso ließ ihre einheitliche steingraue Kleidung keinerlei Rückschlüsse auf ihren Rang erkennen. Wohingegen sie mir ein grünes Gewand zuteilten. Auf die Frage nach dem Warum erhielt ich stets ein verstocktes Lächeln.

      Sie bezogen gemeinschaftlich einen Raum, in dem sie auf geknüpften Grasmatten meditierten, lasen, lernten oder schliefen. Mir teilten sie eine eigene kleine Kammer zu. Die Mahlzeiten nahmen wir gemeinsam ein. Häusliche Pflichten wechselten wöchentlich.

      „Kannst du mit Pfeil und Bogen umgehen?“, fragte eines Morgens LeFarkon, der jüngste der Javeérs. Das schlohweiße Haar trug er wie bei allen anderen zu einem dünnen Zopf geflochten, den restlichen Schädel kahlgeschoren. Eine Tätowierung neben dem Haaransatz, Pfeil und Bogen umgeben von zwei Händen, wies ihn als Meisterschützen aus.

      Ich zuckte mit den Schultern.

      „Bedeutet das ja?“, fuhr er mich unerwartet schroff an.

      „Ich bin mir nicht sicher“, stotterte ich und ärgerte mich sogleich über meine Unsicherheit.

      Eisblaue Augen sahen mich durchdringend an. Dann brachte er den Bogen, den Skyler für mich angefertigt hatte, unter seinem Umhang hervor.

      „Siehst du den Jutesack, der in der Nische klemmt?“ Er deutete mit einem knöchernen Finger zu einem Punkt am anderen Ende des langen Korridors, der die einzelnen Wohnparzellen miteinander verband.

      „Ja.“

      „Stelle dir vor es wäre dein Feind und treffe das Herz.“

      Ich schätzte die Entfernung auf mindestens fünfzig Schritt. Konzentriert visierte ich das Ziel an, legte einen Pfeil auf die Bogensehne und ließ sie zurückschnellen. Ich wusste, dass ich genau ins Herz getroffen hatte, auch wenn LeFarkon keine Regung zeigte.

      „Der Bogen muss noch etwas ausbalanciert werden“, kommentierte er meinen Treffer lediglich und nahm ihn mir aus der Hand. „Du solltest einen Bogenhandschuh tragen“, bemerkte er und hielt mir einen Armschutz entgegen, aus grüngefärbtem Leder, der mit verstellbaren Schnallen passgenau meinen Unterarm umschloss. Erst jetzt stellte ich ein Brennen oberhalb des Daumens fest, dort, wo die Federn des Pfeilendes über die Hand hinweg geschnellt waren.

      „Gehen wir nach draußen“, befahl er. Ungeduldig scheuchte er mich über eine Hängebrücke zum nächsten Gebäude, von dort eine hölzerne Treppe empor, die im Zickzack nach oben führte. Über die altersschwache Konstruktion wagte ich kaum nachzudenken. Der Wind zog und zerrte an meinem Umhang, als wolle er mich mit Gewalt am Boden halten.

      LeFarkon hatte das Ende des Aufgangs erreicht, doch setzte er seinen Aufstieg entschlossen fort, sich mit versiertem Griff und Tritt in steinerne Stufen stemmend. Es war so bitterkalt hier oben, dass ich bereits nach kurzer Zeit meine Finger nicht mehr spürte. Endlich hielt LeFarkon auf einem felsigen Vorsprung, der wenig Platz für eine Person bot, geschweige denn für zwei.

      „Geh an mir vorbei bis zu der Stelle, wo die Felswand sich zu einer Höhle öffnet.“ Fahrig wies er mit dem spitzen Kinn in die Richtung.

      „Wie soll ich …“, an dir vorbeikommen, wollte ich sagen, verkniff es mir aber. Trotz der Kälte trat mir der Schweiß auf die Stirn, als ich mich an ihm vorbeizwängte. Mühsam