Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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ihn aus“, forderte er mich auf. Eine handtellergroße Lederkugel flog plötzlich durch die Luft. Viel zu spät setzte ich einen meiner Pfeile darauf an.

      „Hm. Der Bogen muss noch etwas ausbalanciert werden, das ist schnell getan. Deine Reaktionen jedoch lassen stark zu wünschen übrig.“

      „Ich bin keine Kriegerin, schon vergessen?“

      „Dann wird es Zeit, dass du lernst eine zu sein.“

      Wir folgten dem sich windenden Verlauf des Mukonors. Das Haar klebte mir schweißnass im Nacken, doch wagte ich nicht, den unförmigen Lederhut vom Kopf zu nehmen. Trotz der unbarmherzigen Hitze trug ich ein langärmliges Hemd und weiche Lederhandschuhe. Letzteres von Skyler selbst passgenau angefertigt. Sie sollten meine helle Haut vor der gnadenlosen Sonne schützen. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass sie ihn eher vor unkontrollierten Feuerkugeln aus meinem Finger bewahren sollten.

      Wir vertrieben uns die lange Reisezeit, indem Skyler mich auf alles schießen ließ, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Mal mit Pfeil und Bogen, dann wieder sollte ich meinen Dolch zu Hilfe nehmen – ohne ihn beim Namen zu nennen. YEMAHL, wie er hieß und der rotglühend, butterweich durch Äste oder Knochen schneiden konnte, wenn ich ihn so nannte.

      Wenn ich nicht verängstigte Hasen jagte und ihnen das Fell über die Ohren zog, forderte Skyler mich zum Schwertkampf heraus. Die Schwerter bestanden aus Holz, die er zu Übungszwecken angefertigt hatte.

      „Stell dich schräg auf! Rechtes Bein vor! Achte auf meine Augen, meine Körpersprache. Versuche, darin zu lesen, was ich als Nächstes tun werde.“

      Du meine Güte. Wie sollte ich in diesen beherrschten Gesichtszügen irgendetwas lesen können? Was verrieten mir seine angespannten Muskeln, wenn er das Holzschwert von einer Hand in die andere tanzen ließ, nur um dann doch mit dem Fuß nach mir zu treten? Schon jetzt überzogen meinen Körper mehr blaue Flecke als Mückenstiche.

      Er wand mir das Schwert mit einem raschen Hieb aus meinen verkrampften Fingern. Wehrlos stand ich ihm gegenüber. Zorn und Enttäuschung stauten sich in mir und drohten sich explosionsartig zu entladen.

      „Lass dich nicht von deinen Gefühlen beherrschen. Sie machen dich unvorsichtig, Avery.“

      Augenscheinlich konnte er in meinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch.

      „Wenn du mich weiterhin so schikanierst, komme ich als Krüppel bei den Javeérs an.“

      Ich rauschte an ihm vorbei und schälte mich aus den verschwitzten Kleidern, stürzte mich kurzerhand in den Fluss. Was für eine Wohltat, die kühlenden, seichten Wogen über die geschundene Haut fließen zu lassen, obwohl der Strom wegen der langen Trockenperiode gerade mal hüfthoch an der tiefsten Stelle war. Genüsslich tauchte ich den Kopf unter, schüttelte mein Haar danach wie ein nasser Hund – und erstarrte.

      Am Ufer Stand Skyler, umringt von fünf Männern in zerlumpten Kleidern.

      „Badetag? Warum folgst du deiner hübschen Begleiterin nicht in den erfrischenden Fluss?“, verhöhnte ihn einer der Männer, die anderen brachen in donnerndes Gelächter aus. Sie waren mindestens einen Kopf kleiner als Skyler, miserabel ausgerüstet und schienen nicht aus Kandalar zu stammen.

      „Er wird sowieso bei den Fischen enden, Bew-Tor.“

      Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, sackte Bew-Tor wie ein nasser Sack zusammen. Seine Hände, die die Eingeweide im Bauch zu behalten versuchten, glitten kraftlos von ihm ab. Nur Sekunden später brach auch der Sprecher röchelnd zusammen. Die anderen drei hatten kaum Zeit nach ihren Waffen zu greifen, bis auch sie getroffen zu Boden gingen, sich im Todeskampf windend.

      All das war temporeicher vonstattengegangen, als ich mit den Augen blinzeln konnte. Wie hatte er das gemacht? Schon damals in Greenerdoor war mir die unfassbare Schnelligkeit seiner Bewegungen aufgefallen, die mit bloßem Auge kaum zu verfolgen war.

      „Zieh dich an, Avery“, forderte er mich schroff auf, dabei den am Boden zuckenden Körper unbarmherzig mit dem Knie fixierend. Mit wackligen Beinen klaubte ich meine Kleidung beisammen und trat neben ihn. Beim Anblick der Leichen spürte ich Galle in mir aufsteigen, konnte nicht verhindern, dass sich der Inhalt meines Magens entleerte.

      „Wer seid ihr?“, malträtierte er den Mann, dem ein blutendes Rinnsal aus den Mundwinkeln lief.

      „Die Feder …“

      Ein letztes Zucken, dann hauchte der Mann sein Lebenslicht aus. Ich sah gerade noch, wie Skyler einen unscheinbaren Stab in der Seitentasche seiner Gürtelschlaufe verschwinden ließ.

      „Was hat er gesagt?“, stammelte ich, bemüht, nicht auf die niedergemetzelten Körper zu starren.

      „Keine Ahnung. Ein Wort, vielleicht ein Name – es ergibt keinen Sinn“, brummte er. Mit undurchsichtiger Miene suchte er den Horizont ab. „Lass uns aufbrechen, bevor ihr Verschwinden bemerkt wird!“

      Schweigend setzten wir unseren Weg fort. Wir überquerten den Fluss, ritten ein paar hundert Yards nordwestlich. Dann in östlicher Richtung, wobei es sich mir nicht erschloss, warum Skyler darauf bestand, dass wir uns mal im Kreis bewegten oder vor und zurück, bis der Boden aussah, als sei eine riesige Reiterschar darüber hinweggeprescht. Vielleicht wollte er aber auch genau diesen Eindruck erwecken.

      Schließlich kamen wir wieder am Fluss aus, wateten ein Stück stromabwärts, ehe wir das Ufer aufsuchten.

      „Hilf mir mal“, forderte er mich auf, zerriss eines seiner Hemden und band die Fetzen um die Hufe unserer Pferde. So hinterließen sie keine Spuren.

      „Was denkst du, wer sie waren?“, fragte ich ihn.

      „Weiß ich noch nicht. Jedenfalls keine Zufallsbekanntschaft. Hast du deine Karten dabei?“

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Warum nicht?“

      „Weil …“

      „Richtig, wir leben ja in einer friedlichen Zeit, da benötigen wir ja keinen Blick in die Zukunft.“ Er schloss einen Moment die Augen, als müsse er sich sammeln. Dann führte er uns weiter über holprige Steine am Uferrand.

      „Kannst du uns dann wenigstens mit einem Schutzzauber belegen oder am besten gleich unsichtbar machen?“

      „Wer weiß schon, zu was ich fähig bin? Aber sollte ich über Letzteres verfügen, fange ich bei dir an“, schleuderte ich ihm beleidigt entgegen.

      „Ich meine es ernst, Avery. Wir wissen nicht, ob noch mehr von ihnen hier irgendwo auf uns lauern.“

      Missmutig stieg ich ab, bat ihn um den sonderbaren Stab an seinem Gürtel, da ich nichts Vergleichbares fand, dass ich als Zeichenstab verwenden konnte. Ich forderte Skyler auf, samt den Pferden und dem Lapendor beieinanderzustehen. Dann zeichnete ich um uns herum einen Kreis auf dem harten Untergrund, führte den Stab anschließend in einer ausladenden Bewegung über uns hinweg. Würde es uns schützen? Kaum hatte ich damit geendet, da klangen die Geräusche um uns herum verändert, dumpfer, wie unter einer Glocke. Unruhig blähten die Pferde die Nüstern auf, drehten ihre Ohren in alle Richtungen ob der ungewohnten Geräuschkulisse. Skyler hingegen schien nichts zu bemerken, sah mich nur abwartend an.

      „Erledigt“, zischte ich und saß auf.

      „Aber – können wir uns so auch fortbewegen?“

      „Versuchen wir es. Übernimm du die Führung, das kannst du doch so gut“, stichelte ich.

      Es war ein eigenartiges Gefühl, sich auf diese Weise fortzubewegen. Zwar nicht sichtbar, war der Schutzwall dennoch mental spürbar, jedenfalls für mich. Für die Dauer einer halben Stunde wären wir sicher, bevor ich ihn erneuern musste. Das hatte ich inzwischen herausgefunden.

      Skyler trieb uns nun in östliche Richtung auf die Ellar Hills zu, die er spätestens bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte. Ich jagte hinter ihm her, verwundert, dass selbst das Lapendor eine flinkere Gangart an den Tag legte.

      Die Sonne hatte die Gipfel des Bergmassivs kurz mit einem goldenen Glühen überzogen, bevor die Schatten länger wurden. Schließlich, von einer Minute auf die andere, schwand das Tageslicht. Die Luft kühlte merklich ab. Nun