Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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ist denn in euch gefahren? Kann mir mal einer erklären, was los ist oder muss ich raten?“

      Die Männer saßen mit versteinerten Mienen da, bis Skyler sich als Erster aus der Starre löste.

      „Dein Vater will einfach nicht einsehen, wieso es unerlässlich ist, dass du mit mir nach …“

      Mein Vater hob gebieterisch die Hand zum Zeichen dafür, dass Skyler schweigen sollte.

      „Meine Tochter hat lange gebraucht, um sich hier ein neues Leben aufzubauen, etwas, das dich offenkundig nicht interessierte. Ich setze ihr Leben kein zweites Mal aufs Spiel“, fuhr er ihn mit ungewohnter Schärfe an.

      „Es war nie meine Absicht, Averys Leben oder das anderer in Gefahr zu bringen, aber sie muss lernen, ihr Potenzial zukünftig besser einzubringen.“

      „Das da wäre“, wandte ich mich nun doch an Skyler.

      „Es sind nicht allein die Bilder, die du malst und die daraufhin zum Leben erwachen oder deine Fähigkeit, dich und andere mit einem Schutzzauber zu belegen. Der Grundstein deiner Gabe wurde dir bereits in die Wiege …“

      „Raus aus meinem Haus!“

      Mein Vater war aufgesprungen, baute sich drohend vor Skyler auf, dabei hätte dieser ihn mit einem einzigen Schlag zu Boden gehen lassen können.

      Geschmeidig erhob er sich, um der unmissverständlichen Aufforderung meines Vaters Folge zu leisten.

      „Wie du willst!“ Er zielte mit dem Zeigefinger auf ihn wie mit einer Waffe. „Du bist ihr Vater, Aris. Aber lass sie nicht länger im Ungewissen.“ Mit diesen Worten rauschte er davon, ohne sich nochmals umzudrehen.

      „Ich will dich hier nicht mehr sehen, hörst du?“, schrie mein Vater ihm hinterher, um das letzte Wort in dieser Angelegenheit zu behalten.

      Schwankend hielt er sich an der Tischkante fest. Ich ließ ihm die Zeit, die er benötigte, um seine Fassung wieder zu erlangen.

      „Was ist zwischen euch vorgefallen?“, fragte ich leise.

      „Er will, dass du mit ihm gehst. Aber das lasse ich nicht zu!“

      „Ich soll mit ihm zurück nach Greenerdoor gehen?“

      War er deshalb gekommen, damit ich seine Zugesprochene wurde, wie es die Bräuche der Bowmen verlangten?

      „Nein, diesmal will er sicher sein, dass ich ihn nicht behindere und dich nach Kadolonné mitnehmen“, stieß er verbittert hervor.

      „Nie gehört davon.“

      „Ein winziges Bergdorf in Merdoran bei den Ellar Hills.“

      Ellar Hills. Die Bezeichnung war stark untertrieben für eine Gebirgskette, deren Spitzen oft in den Wolken verschwanden und deutlich höher waren, als der Berg, der Burg von Kandalar.

      „Woran hast du ihn denn schon einmal gehindert?“, hakte ich nach.

      „Mit uns nach Gullorway zu kommen.“

      Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr.

      „Du hast …“

      Mit einem schmerzhaften Ausdruck in den Augen sah er mich an.

      „Er ist nicht gut für dich, Avery. Sieh dir doch bloß deinen Arm an. Mit einem Brandzeichen hat er dich als seinen Besitz gekennzeichnet. Welcher Mann tut einer Frau dies an?“

      „Das war nicht er, das waren die Bowmen.“

      „Deren Anführer er zu diesem Zeitpunkt war.“

      „War?“, fragte ich verwundert.

      „Offensichtlich hat er dir nicht alles gesagt.“ Triumph schwang in seiner Stimme mit. Er begann Geschirr zusammenzustellen und am Waschbecken zu werkeln.

      „Wir haben kaum miteinander gesprochen, Vater. Er war müde von der Reise. Womit sollst du mich nicht länger im Ungewissen lassen?“

      Mit hängenden Schultern stand er da, die knochigen Arme auf der Anrichte abgestützt.

      „Nichts, Kind. Er war aufgebracht und wollte mich bloß beleidigen.“

      Sanft drehte ich ihn zu mir um, zwang ihn, mich anzusehen.

      „Welchen Grund hatte er dafür, Vater? Rede mit mir! Wir haben uns nie über das ausgesprochen, was in Gullorway passiert ist und danach.“

      „Es liegt viel weiter zurück, Avery.“

      Geständnisse

      Das Frühstück stand unangetastet vor mir, der heiße Kräutertee war inzwischen kalt. Erst der Schmerz in meinen Händen, als sich meine Fingernägel darin vergruben, löste mich aus meiner Starre.

      „Du darfst mich nicht hassen, Avery.“

      Die Stimme meines Vaters klang flehend. Gemessen an dem Ausbruch von heute Morgen, als er Skyler aus dem Haus jagte, war sie nur noch gehaucht. Er räusperte sich, nahm einen kräftigen Schluck aus dem Wasserbecher. Seine Augen, die tief in den Höhlen lagen, sahen unendlich müde aus.

      „Ich wollte es dir schon lange sagen aber …“

      Lügen. Ein Leben, aufgebaut auf Lügen.

      Wieder hatte ich vor Augen, wie er mich damals bat, für ihn die Karten zu legen, um Antworten in einer politischen Frage zu erhalten. Lüge. Die Karten waren in einem wilden Strudel davongetragen worden. Danach wiesen sie keine Bilder mehr auf und mein Vater war ohne jegliche Erklärung geflohen. Nach Perges, wie ich jetzt wusste, zu meiner Mutter – meiner leiblichen Mutter. Nicht die Mutter, die meine Schwester Charise und mich mit ihrer Liebe aufzog. Nicht die Mutter, die uns unserer roten Haare wegen vor den Herren von Kandalar beschützte. Nein, er wollte bei der Mutter seines Magier Bastards um Hilfe bitten …

      Ich schloss die Augen, doch die Bilder, die in meinem Kopf zum Vorschein kamen, ließen sich nicht vertreiben. Gullorway, niedergebrannt bis auf die Grundmauern. Gelblinge, wie sie gefräßig in den Trümmern nach Überlebenden suchten. Und über allem lag der Geruch von verbranntem Fleisch – Menschenfleisch. Bis zum heutigen Tag war ich davon ausgegangen, sie alle in den Tod geschickt zu haben. Meine Schwester Charise, meinen besten Freund Miles und Charise‘ Mutter – nicht meine.

      Die Herren von Kandalar griffen meinen Vater kurz vor Scarles auf. Ein willkommenes Druckmittel, dass sie gegen mich einzusetzen wussten, da ich über Kräfte verfügte, von denen ich selbst jetzt kaum etwas ahnte.

      „Wann wolltest du mir denn sagen, dass ich der Bastard einer Hure bin?“

      „Einer Magierin. Ich weiß, dass ich euch viel Kummer bereitet habe. Dennoch haben die Götter mich mit einer so wunderbaren Tochter gesegnet.“ „Lass die Götter aus dem Spiel, Vater.“ Tränen brannten mir in den Augen, als ich aufstand, um zu gehen. „Was wirst du nun tun, Avery?“ Schreckensbleich sah er mich an. „Herausfinden, was ich sonst noch kann, außer mich für dumm verkaufen lassen.“ Ich nahm meinen Hut vom Haken und schlug die Tür hinter mir zu, dass das Haus erzitterte. Ohne ein bestimmtes Ziel irrte ich durch das noch immer im Aufbau befindliche Gullorway. Mit hängenden Schultern, den Hut tief in die Stirn gezogen, versuchte ich, mich vor den Blicken aller zu verbergen. Wie von selbst trugen mich meine Füße vorbei an den Feldern, zum Ufer des Mukonors. Hier hatte ich mit Miles vor über einem Jahr gesessen. Er hatte die Angel ausgeworfen und ein seltsamer Fisch hatte angebissen. Mit roten Augen, die mich anstarrten, als wollten sie mir etwas sagen. Als dann noch Rauch zwischen den Kiemen des Fisches hervortrat, wusste ich, dass etwas Schreckliches bevorstand. Damals hatte ich noch keine Kenntnis davon, dass nur ich die Gabe besaß, derartiges zu deuten. Ich griff nach einem flachen Stein und ließ ihn auf den gekräuselten Wellen tanzen. Viermal sprang er übers Wasser, bis er versank. Ich war schon mal besser. Ich ließ mich nieder, um meine Gedanken zu ordnen. Mein Vater fand mich in einem Weidenkorb vor der Tür unseres Hauses, wie er mir stockend berichtete. Als einziger Hinweis meiner Abstammung steckte eine blaue Feder in dem Korb – das Zeichen der dunklen Magier. In meinem Lesestein hatte ich einmal darüber gelesen und nicht begriffen, dass dies Teil meiner eigenen Geschichte war. Die verräterische Feder ließ mein Vater verschwinden – das Findelkind