Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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weiter Weg bis hierher.“

      „Ja.“

      Es war eine fast unmenschliche Schinderei. Dankbar nahmen wir jede Hilfe von Handwerkern und Händlern mit Karren an, die sich unverhofft in unsere Gegend einfanden. In den Nächten schmerzten die zerschundenen Hände von der ungewohnten Arbeit. Manchmal fürchtete ich, nie wieder aufrecht gehen zu können.

      „Dank der Erinnerungen meines Vaters gelang es mir, Baupläne zu Papier zu bringen, die den Baumeistern als Vorlage dienten.“

      „Sind sie … lebendig geworden?“

      Ich wusste, worauf er anspielte. Meine Gabe Bilder darzustellen, die real wurden. Eine mächtige Fähigkeit die vielen Menschen das Leben kostete, wenn sie uns auch am Ende von der Knechtschaft der Herren von Kandalar befreite.

      „Nein“, sagte ich mit Bestimmtheit. „Die Zeiten haben sich geändert. Es ist nicht erforderlich, zu magischen Hilfsmitteln zu greifen. Außerdem gibt es keine Bedrohung mehr für die Bevölkerung von Kandalar.“

      „Du versteckst dich hinter einem Trugbild.“

      „Ich verstecke mich vor niemandem.“ Gekränkt presste ich die Lippen aufeinander. „Hast du den weiten Weg von Greenerdoor etwa auf dich genommen, nur um mir Vorhaltungen zu machen?“

      „Nein. Ich wollte dich sehen.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

      „Nach einem Jahr? Oder sollte ich etwa scheitern?“

      „Ein bisschen habe ich es gehofft.“ Er grinste frech.

      „Schönen Dank auch!“

      Ich wandte mich ab und stapfte davon. Pfeilschnell war er bei mir und hielt mich am Arm fest.

      „Brauchst du Hilfe, Avery?“

      Garlow, ein kräftig gebauter Handwerker aus Scarles trat unverhofft an meine Seite und warf Skyler einen drohenden Blick zu.

      „Nein, alles gut. Vielen Dank, Garlow.“

      Dennoch blieb er einen Moment wie versteinert stehen, bevor er den Weg frei gab.

      „Ich denke, es gibt keine Bedrohung mehr?“, raunte Skyler, wobei er mich belustigt ansah.

      „Vermutlich hat ihn dein wildes Aussehen alarmiert. Ist das alles, was du an Gepäck dabeihast?“ Ich wies mit dem Kinn auf seine Waffen und die Ledertasche über der Schulter. „Wo ist dein Pferd?“

      „Bis Abylane nahm mich einer unserer Händler auf dem Karren mit. Den Rest der Strecke habe ich zu Fuß zurückgelegt. Wo kann ich übernachten und die Spuren der Reise abwaschen?“

      Er sah mich durchdringend an, als erwarte er mehr als eine Einladung von mir.

      „Am Marktplatz gibt es eine Herberge. Sie ist einfach aber zweckmäßig.“

      Er nickte, dann folgte er dem beschriebenen Weg. Mit klopfendem Herzen wandte ich mich ab.

      „Schon zurück?“

      Die Hände meines Vaters zitterten, während er einen Karpfen entschuppte, den er für unser Abendessen vorsah. Die Gefangenschaft in den Kerkern der Burg von Kandalar machten aus ihm einen alten Mann, obwohl er erst achtunddreißig Jahre zählte. Der schmerzliche Verlust meiner Mutter und meiner Schwester, sowie der Wiederaufbau Gullorways taten das Übrige dazu.

      „Lass mich das doch machen, Vater.“

      Sanft legte ich ihm die Hand auf die Schulterblätter, die so dürr waren, dass sie durchs Hemd stachen. Er schüttelte energisch den Kopf.

      „Du kannst Zwiebeln hacken und den Ingwer zerreiben. – Erwarten wir noch Besuch?“, fragte er scheinheilig.

      „Nein.“

      Er brummte etwas Unverständliches und gab sich weiter seinen Kochkünsten hin.

      Nach dem Essen schlenderte ich zu Jodee, unserer Heilerin. Seit Greenerdoor bestand eine tiefe Freundschaft zwischen uns. Bereits dort unterwies sie mich in der Heilkunst. Hier setzte sie ihre Arbeit mit Feuereifer fort.

      „Habe soeben alles fortgeräumt.“

      Sie strahlte mich an, wobei ihr Lächeln über die kreideweißen Zähne hinaus bis zu den Ohren reichte. Ich kannte niemanden sonst, der so von innen heraus strahlte. Kaum einen Meter fünfzig groß, wirkte sie dennoch sehr präsent. Ihre Haut, von dem tiefen Schwarz der Menschen aus dem Norden, machte sie ebenso zur Exotin, wie mein blasser Teint und das flammend rote Haar.

      „Ich wollte nur …“

      „Er ist nicht hier.“ Sie warf den Kopf in den Nacken, wodurch ihr die langen, kunstvoll geflochtenen Zöpfe bis weit über die Hüfte fielen.

      „Hm?“, gab ich mich ahnungslos.

      Jodee kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

      „Skyler, bei den Göttern nochmal! Und es wird wohl eine Weile dauern, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hat, das kann ich dir versichern.“

      Geschäftig räumte sie Gläser mit undefinierbarem Inhalt ins Regal, das sie kaum mit den Fingerspitzen erreichte.

      „Er hat auf dich gewartet. Als du nicht kamst, verlangte er nach Kumbrael, unverdünnt. Er hatte sich einen gewaltigen Rausch angetrunken. Danach ist er zur Herberge aufgebrochen. War das deine Idee mit der Unterkunft?“ Eine haarlose Augenbraue, nachgezogen mit einem Kohlestift, schoss skeptisch in die Höhe.

      Ich nickte und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Scheint ihn irgendwie getroffen zu haben.“

      „Dann für mich auch einen Kumbrael“, bat ich sie mit Genugtuung.

      Jodee brach in ein donnerndes Lachen aus. Es dauerte einen Augenblick, bis sie sich wieder gefangen hatte.

      „Das wollen wir gar nicht erst einführen. Dafür bist du noch zu jung.“

      „Ich bin fast achtzehn“, protestierte ich.

      Ihre kurzen Arme umfassten meine Hüfte und zogen mich zum Tisch hin.

      „Für dich habe ich etwas Anderes.“

      Sie griff unter ihren Umhang, brachte ein kleines Ledersäckchen hervor, zog an einer Schnur und entleerte den Inhalt auf die Tischplatte. Argwöhnisch sah ich sie an.

      „Was soll das sein?“

      „Es schützt dich vor ungewolltem Kindersegen“, legte sie mir unverblümt dar.

      Ich schnappte nach Luft, sie dagegen erklärte mir die Zusammensetzung der braunen Kügelchen bis ins Detail.

      „Jodee, du bist mir eine treue Freundin aber, was zwischen Skyler und mir ist, geht nur uns etwas an.“

      „Entschuldige. Ich wollte nicht indiskret sein.“ Sie hob abwehrend die Hand. „Willst du darüber reden?“

      „Nein“, sagte ich mit Bestimmtheit.

      „Sehen wir uns dann morgen? Ich würde dir gerne zeigen, wie du gegen Blutvergiftungen vorgehen musst.“

      Ich nickte und verließ mit hochrotem Kopf den Raum.

      Am nächsten Tag war ich schon früh auf den Beinen und damit offensichtlich nicht die Einzige. Mein Vater und Skyler saßen bereits am Tisch in eine hitzige Debatte verstrickt.

      „… werde ich niemals dulden!“, hörte ich meinen Vater gerade ausrufen. So aufgebracht hatte ich ihn noch nie erlebt.

      „Was duldest du nicht?“, fasste ich sofort nach.

      „Nichts. Guten Morgen, Liebes.“

      Er nahm mich zur Begrüßung in die Arme. Ein unterdrücktes Beben durchfuhr seinen Körper, woraufhin ich Skyler zornige Blicke sandte.

      „Dafür, dass es um nichts geht, habe ich euch beide bis in meinem Zimmer gehört.“

      „Guten Morgen, Avery“, erklang die raue Stimme Skylers. Seine rotgeäderten Augen zeugten noch von dem übermäßigen Kumbraelgenuss.

      Ich ignorierte ihn, rückte mir stattdessen einen Stuhl zurecht.

      „Also?“

      „Das