Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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Geschichte, durch die man beginnt, den Mittleren Weg zu verstehen, viele Menschen werden vom Mittleren Weg überhaupt erst gehört haben, weil sie von Buddha und vom Buddhismus gehört haben. Trotz all der komplexen Fragen, die der Buddhismus als Tradition aufwirft, bleibt er weiterhin eine wichtige Quelle für das Verständnis des Mittleren Wegs. Erst durch den Buddhismus habe ich selbst überhaupt angefangen, ihn zu verstehen. Menschen, die sich dem Mittleren Weg aus dieser Richtung nähern, benötigen oft eine Klärung von Sachverhalten.

      In diesem Geiste möchte ich über den Mittleren Weg in Verbindung mit dem Buddha schreiben. Obwohl es an vielen Stellen kritische Aspekte gibt, besteht mein Hauptanliegen darin, eine klare und positive Darstellung des Mittleren Wegs zu vermitteln, indem ich ihn durch die beispielhaften Erzählungen über den Buddha und seine Lehren veranschauliche. Mit dem, was der Buddha getan und gesagt hat zu beginnen, ist eine Möglichkeit, eine grundlegende Wertschätzung des Mittleren Wegs zu erlangen. Dann können wir dazu übergehen, andere mögliche Ansätze zu betrachten, aus denen heraus wir den Mittleren Weg verstehen können. Ich werde das frühe Leben des Buddha schildern, um den Prozess der Entdeckung des Mittleren Wegs zu veranschaulichen, bis ich dann in Kapitel 1.f eine erste detaillierte Darstellung seiner Bedeutung gebe.

      Dank der Arbeit mehrerer westlicher und säkularer buddhistischer Lehrer und Autoren hat die nützliche Neuinterpretation des Buddha und des Buddhismus für die heutige Zeit in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht. Diese haben sich zu einem klareren und hilfreicheren Verständnis der Lehren des Buddha, frei von dogmatischen Beifügungen, vorgearbeitet. An erster Stelle ist hier Stephen Batchelor zu nennen. Batchelors neustes Buch „Jenseits des Buddhismus“ bietet, meiner Ansicht nach, den bisher besten Ansatz, den hilfreichen Pfad von traditionellen Dogmen zu befreien.

      Allerdings scheint es keinem dieser Autoren gelungen zu sein, sich von der letzten Last der Buddha-Debatte zu befreien – dem Rückgriff auf historische Autorität. Der Buddha, für den sie eintreten, soll der wahre Buddha sein, der maßgebend ist, weil er in den frühesten (oder kanonischsten) Texten zu finden ist. Alle derartigen Argumente sind Geiseln des Schicksals, abhängig von wechselnden historischen oder textuellen Aussagen. So begründet diese Aussagen jetzt auch erscheinen mögen, sie sind Gegenstand widersprüchlicher Beweise und endloser wissenschaftlicher Auseinandersetzungen über deren Interpretation. Darüber hinaus sind sie ohne Belang für den Inhalt der Einsichten des Buddha, welche – sofern sie von Wert sind – sehr wohl für sich selbst stehen können sollten. Deshalb möchte ich mit diesem Buch etwas anbieten, von dem ich wünschte, dass es schon zuvor jemand anderes geschrieben hätte: eine Interpretation der überlieferten Lehren des Buddha, die nur auf praktischen Erwägungen fußt und nicht auf umstrittenen Annahmen über den „wahren“ historischen Buddha.

      Warum geht es mir in erster Linie um den Mittleren Weg und nicht so sehr um die anderen Lehren des Buddha? In buddhistischen Darstellungen kommt allgemein den Vier Edlen Wahrheiten, dem Achtfachen Pfad, der Dreifachen Zuflucht, Abhängigem Entstehen, usw. mehr Bedeutung zu. Die Begründung dieser Schwerpunktsetzung wird im weiteren Verlauf des Buchs immer deutlicher hervortreten. Das Schlüsselargument ist, dass all diese anderen Lehren eine hilfreiche Interpretation des Mittleren Wegs erfordern. Beginnen wir mit diesen und interpretieren den Mittleren Weg in ihren Begriffen, mündet dies möglicherweise in einem Dogma, das ungeeignet ist, um den Menschen in ihren sich verändernden Lebensbedingungen hilfreich zu sein. Der Mittlere Weg ist jedoch eine wahrhaft universelle Lehre, die sich auf menschliches Urteilsvermögen und nicht auf Behauptungen über die Wirklichkeit stützt. Er bietet somit einen Ausgangspunkt, um jede andere Lehre auf hilfreiche Weise zu interpretieren.

      Der Mittlere Weg, so wie ich in hier verstehe und darstelle, ist eine Metapher für eine praktische Methode zur Verbesserung unseres Urteilsvermögens in allen Lebenslagen. Der Weg beginnt genau jetzt, an welchem Ausgangspunkt Sie auch immer stehen mögen, und er erstreckt sich unbeschränkt auf zukünftige Entscheidungen. Dieser Weg ist nicht deshalb der „mittlere“ Weg, weil er notwendigerweise gemäßigt oder vermittelnd im herkömmlichen Sinne ist. Vielmehr vermeidet er sowohl positive als auch negative Absolutheitsansprüche. Wie wir sehen werden, bieten das Leben und die Lehren des Buddha viele inspirierende Demonstrationen dieses grundlegenden, praktischen, universellen Mittleren Wegs. Der Mittlere Weg wurde jedoch auch auf weniger hilfreiche Weise dargestellt. Auf vergleichende Aspekte verschiedener Modelle des Mittleren Wegs im Buddhismus wird später in diesem Buch eingegangen (Abschnitt 4).

      Dieses Buch möchte daher zunächst eine Darstellung des Mittleren Wegs durch den Buddha geben. Es gibt jedoch verschiedene andere Dinge, auf die ich eingangs hinweisen sollte, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden. Es ist weder eine Fürsprache für den noch eine Rechtfertigung des Buddhismus. Ich habe viel vom Buddhismus gelernt und war in einer früheren Phase meines Lebens offizieller Anhänger, bin es aber nicht mehr. Mein Ziel ist es, einige Dinge, die ich aus der buddhistischen Praxis gelernt habe, zu vermitteln und sie mit anderen Quellen der Inspiration in Beziehung zu setzen, und nicht, buddhistische Tradition an sich zu fördern.

      Andererseits handelt es sich auch nicht um ein wissenschaftliches Buch in der Tradition buddhistischer Studien, auch wenn es eine ernsthafte akademische Argumentation liefert. Wie bereits erwähnt, will ich nicht den „wahren“ oder „historischen“ Buddha durch Textanalyse oder irgendeine andere Methode enthüllen. Ich beziehe mich auf Texte über Leben und Lehren des Buddha (hauptsächlich die aus dem Pali-Kanon), um Quellen der Inspiration zu erschließen. Ich versuche nicht, irgendetwas mittels Autorität zu beweisen, sei es explizit oder implizit. Dieser Punkt sollte zu Beginn betont werden, da er von Lesenden, die mit dem traditionellen Buddhismus und seiner Gelehrsamkeit vertraut sind, beim Lesen dieses Buchs leicht vergessen zu werden scheint. An keiner Stelle sollte in meine Argumente ein Berufen auf Autorität hineininterpretiert werden und aus meiner Textauswahl sollte nicht gefolgert werden, dass ich diesen mehr historische Autorität bemesse als anderen.

      Im Allgemeinen wähle ich aus, was gemeinhin als frühere Texte angesehen wird, weil diese meist eine klarere, konsistentere und ausgewogenere Sicht auf den Buddha bieten, nicht wegen ihres Alters an sich. Statt nach einem „Beweis“ im Sinne der Tradition oder ihrer akademischen Interpretation suche ich nach einer praktisch hilfreichen Interpretation dessen, was uns die Traditionen über den Buddha berichten. Kulturelle Akzeptanz ist daher auch ein Faktor bei meiner Auswahl von Texten, weil ich hilfreiche Interpretationen von Texten, die bereits eine tiefe Bedeutung für Menschen haben, fördern möchte.

      Daher werde ich meist mit übersetzten Texten arbeiten, die englischen Lesenden zur Verfügung stehen. Ich werde mich nicht allzu sehr auf Fragen zur Herkunft oder zu den Übersetzungen dieser Texte einlassen. Der Grund dafür ist nicht, dass ich mir der sprachlichen und textuellen Fragestellungen, die die Texte begleiten, nicht bewusst wäre (ich habe Pali in Cambridge beim großen Gelehrten K.R. Norman studiert). Vielmehr bin ich der Meinung, dass diese Fragestellungen in den meisten Fällen wenig praktische Bedeutung haben. Nur wenn wir die Autorität religiöser Texte verabsolutieren und unterstellen, sie seien die unumstößliche Quelle der Wahrheit, müssen wir uns unangemessene Sorgen um ihre Authentizität machen. Wie ich darlegen werde, schließt die konkret praktisch hilfreiche Botschaft des Mittleren Wegs an sich eine solch absolute Autorität von Texten aus.

      Ich bin in erster Linie ein praxisorientierter Philosoph und weniger ein Gelehrter. Ich bin für die bisherigen Arbeiten der Gelehrten bei der Übersetzung der buddhistischen Schriften dankbar. Dennoch führte mich meine Erfahrung mit buddhistischer Gelehrsamkeit zur Einsicht, dass ihre übliche Wirkung oft unnötig konservativ ist. Indem sie die Aufmerksamkeit der Menschen ständig auf Fragen der Sprache und historischen Autorität von Texten lenkt, bestärkt sie den wenig hilfreichen Glauben, wir sollten diesen Texten als Quellen des Glaubens eine übergeordnete Autorität verleihen. Meiner Erfahrung nach vermeiden es Gelehrte gewöhnlich, den praktischen Inhalt von Texten kritisch zu untersuchen oder ihn gar symbolisch zu würdigen.

      Ich interessiere mich für den praktischen Inhalt der Texte in Hinblick darauf, was sie uns sagen können, was uns helfen wird, unser Leben zu entwickeln und zu verbessern. Auf viele andere Materialien zu Texten kann und sollte verzichtet werden – nicht erst, wenn die Texte als Quellen anerkannt wurden, sondern schon lange bevor die Auseinandersetzung mit ihnen zum Selbstzweck wird. Natürlich ist es immer möglich, dass wir uns bei