Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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Ansatz, den Bedeutungsumfang entscheidender Pali-, Sanskrit- oder anderer Wörter zu verstehen, reicht jedoch aus, ehe es zum Selbstzweck wird. Wir sollten einen Punkt erreichen, an dem es anerkanntermaßen weit wichtiger ist, eine praktisch hilfreiche Interpretation zu finden als eine, die bloß durch eine wie auch immer gerechtfertigte „Genauigkeit“ bestimmt wird.

      Ich mache mich an diese Aufgabe, kurz nachdem ich etwas Ähnliches in Bezug auf das Christentum fertiggestellt habe (Der christliche Mittlere Weg{1}). Sollten Sie glauben, der Mittlere Weg sei im Wesentlichen buddhistisch, sehen Sie sich bitte meine Ausführungen über das Christentum an, um durch Gegenbeispiele widerlegt zu werden. Dort habe ich in ähnlicher Weise eine Interpretation der Evangelien und der Schöpfungsgeschichte der Genesis dargeboten, die sich an der praktisch hilfreichen Bedeutung, die wir daraus gewinnen können, orientiert. Ich habe den Kontext in ausreichendem Maße berücksichtigt, um eine kohärente Interpretation des Texts zu liefern, aber ohne in irrelevante wissenschaftliche oder sektiererische Dispute hineingezogen zu werden. Der Mittlere Weg kann in Hinblick auf jegliche Tradition dargelegt werden, unabhängig davon, ob es sich um eine religiöse, philosophische, politische oder künstlerische handelt, er ist nicht die alleinige Domäne oder das Monopol irgendeiner Tradition. Allerdings befassen sich Traditionen in sehr unterschiedlichem Ausmaß mit ihm („Der Mittlere Weg im Nationalsozialismus“ wäre wohl eine ziemlich überschaubare Untersuchung).

      In diesem Buch ziele ich also darauf ab, die Elemente des Mittleren Wegs, die ich in den Traditionen über den Buddha finde, zu untersuchen und nicht unkritisch irgendeinen buddhistischen Standpunkt zum Mittleren Weg zu übernehmen. Wie jede Tradition wartet der Buddhismus mit Elementen des Mittleren Wegs auf, mit deren Hilfe er Bedingungen, auf die er trifft, gerecht wird, fällt aber andererseits in Dogmen zurück. Um diese Elemente in einer Tradition zu unterscheiden, ist ein kritischer Prozess unabdingbar. Dennoch ist bei der Betrachtung des Buddhismus eine besondere Wertschätzung, wie weit und wie explizit die buddhistische Tradition den Mittleren Weg befördert hat, angebracht.

      An wen richtet sich also dieses Buch? Ich erwarte, dass hauptsächlich Buddhisten es lesen werden. Diese Buddhisten müssen offen dafür sein, den Buddha auf am Mittleren Weg ausgerichtete Weise zu verstehen. Das heißt, geleitet vom praktischen Wert der Lehren und der Notwendigkeit, abstrakte Absolute zu vermeiden. Ich hoffe, dass Sie dann in der Lage sein werden, solch eine praktische Lesart der Bedeutung des Buddha zu übernehmen oder sich zumindest davon beeinflussen zu lassen. Dabei wird ihnen eine neue Ressource an die Hand gegeben, um einerseits traditionalistischem Dogma und andererseits wissenschaftlicher Zerstreuung entgegenzuwirken. Es ist durchaus möglich, sich von Buddhas Mittlerem Weg in einer Weise inspirieren zu lassen, die wir mit allen Menschen, ob Buddhisten oder nicht, gemeinsam haben. Auf diese Weise können wir auch die Bedeutung dieser Inspiration auf eine Weise verstehen, die über den Mittleren Weg mit der Inspiration und Ausrichtung anderer diskursiver Traditionen kompatibel ist.

      Dieses Buch könnte aber auch für Menschen von Interesse sein, die keine Buddhisten sind, die von der Vorherrschaft traditioneller Autorität und Dogmen im Buddhismus abgeschreckt wurden. Ich hoffe, dieses Buch kann diesen Menschen helfen herauszufiltern, was für ihr Leben in der buddhistischen Tradition am hilfreichsten und relevantesten ist, und dessen Beziehung zu dem, was in anderen Traditionen zu finden ist, besser zu erfassen. Auch hier sollte Menschlichkeit an erster Stelle stehen und buddhistische Tradition dahinter. Dinge auf diese Weise anzugehen kann Menschen helfen, sich mit der buddhistischen Tradition auseinanderzusetzen, die dies sonst nicht tun würden.

      Das Buch beginnt daher mit den grundlegenden Erzählungen über das Leben und die Lehren des Buddha. Diese werden aus ihrem ursprünglichen Kontext entnommen mit besonderem Augenmerk auf ihre praktischen Einsichten in Hinblick auf den Mittleren Weg. Die Erörterung einiger der bekanntesten Analogien des Buddha und des Achtfachen Pfads soll ebenfalls dazu beitragen, eine vom Mittleren Weg geleitete Interpretation einiger anderer buddhistischer Schlüssellehren zu bieten. In diesem Zusammenhang muss ich mich dann unweigerlich eingehender und kritischer mit den Beschränkungen der traditionellen buddhistischen Lehre befassen und der Art und Weise, wie sie sich entwickelt hat, was offensichtlich im Widerspruch zum Mittleren Weg steht. Sehr oft ist dies eine Frage der Interpretation, aber dennoch muss klar anerkannt werden, dass einige sehr verbreitete Interpretationen buddhistischer Lehre mit dem Mittleren Weg unvereinbar sind. Diese Kritikpunkte waren das Thema meines früheren Buchs, The Trouble with Buddhism{2}. In diesem Buch versuche ich jedoch, diese Kritikpunkte viel umfassender in den breiteren Kontext einer konstruktiven Darstellung der wertvollen Ressourcen zu setzen, die buddhistische Lehren bieten.

      Der letzte Teil des Buches zieht Parallelen zwischen Buddhas Mittlerem Weg und einer Reihe anderer möglicher Modelle für den Mittleren Weg. Einige von ihnen gehen auf die antike Philosophie und Religion zurück, aber die meisten gründen sich auf neuere Erkenntnisse wissenschaftlicher Theorie. Selbst diejenigen, die sich anfangs hauptsächlich ausschließlich für den Buddha interessierten, sollten das Buch dann im Bewusstsein der vielfältigen Formen, die der Mittlere Weg annehmen kann, und seiner vielfältigen Ausdrucksformen menschlicher Erfahrung zu Ende lesen.

      a. Die Geschichte von Siddhartha Gautama

      1. Der Mittlere Weg in Buddhas frühem Leben

      a. Die Geschichte von Siddhartha Gautama

      In diesem ersten Abschnitt dieses Buchs werde ich mich mit der überlieferten Lebensgeschichte des Mannes auseinandersetzen, der bekannt wurde als der „Buddha“ oder Erwachte – Siddhartha, bis zum Augenblick, den die Buddhisten als seine Erleuchtung oder sein Erwachen bezeichnen. Meine Hauptquelle für diese Schilderung ist der Pali-Kanon, mit gelegentlichen Verweisen auf die spätere und viel ausführlichere Darstellung in Ashvaghoshas „Taten des Buddha“ aus dem 1. Jahrhundert{3}. Der nordöstliche Teil des indischen Subkontinents vor etwa 2.500 Jahren bildet den Handlungsrahmen.

      Es ist eine Geschichte, wenn auch eine symbolisch bedeutungsvolle Geschichte. Die Geschichte wuchs beim Erzählen, aber ich habe versucht, bei ihren einfacheren und grundlegenderen Elementen zu bleiben, wie sie im Pali-Kanon zu finden sind. Im Großen und Ganzen handelt die Geschichte von einem Prinzen, der ein überbehütetes Leben führte, der mit diesem Leben unzufrieden wurde, ausstieg und im Wald nach religiöser Wahrheit suchte. Im Wald wurde er jedoch auch unzufrieden mit den Antworten, die ihm gegeben wurden. Er fand dann nur noch einen weiteren Weg vorwärts, nämlich indem er sich zwischen den Extremen, symbolisiert durch Palast und Wald, bewegte.

      Ich möchte hier nur die Bedeutung dieser Erzählung untersuchen, nicht ihre Historizität. Zur Untersuchung dieser Bedeutung skizziere ich die Ähnlichkeiten zwischen der Situation Siddhartha Gautamas und der jedes anderen Menschen. Ich werde auch Parallelen zwischen der damaligen Situation und der heutigen ziehen, in der Buddhas Mittlerer Weg nunmehr verstanden und angewandt werden soll. Die Dinge, die ich über die Bedeutung der Erzählung zu sagen habe, wären von genauso großem Wert, wenn sich die ganze Geschichte als reine Fiktion erweisen würde.

      Die Universalität dieser Erzählung wird in der buddhistischen Tradition dadurch unterstrichen, dass sie nur als eine von zahlreichen, sich wiederholenden Geschichten betrachtet wird. Diese Geschichten handeln von der Entwicklung aufeinanderfolgender Buddhas in aufeinanderfolgenden vergangenen Äonen. Diese vergangenen Buddhas sollen in ihren Grundzügen die gleiche Geschichte haben, die nur in geringfügigen Details abweicht. Tatsächlich finden sich viele Details der weitverbreiteten Erzählung über Siddhartha Gautama nur im Pali-Kanon als Teil einer Erzählung über einen früheren Buddha, Vipassi{4}. Lassen wir hier die Glaubensinhalte über Geschichte und Kosmologie beiseite und betrachten wir, was diese Wiederholung der Geschichte uns heutzutage sagt. Es geht in erster Linie darum, dass der von einem Buddha gewählte Entwicklungspfad für jeden zu jeder Zeit und an jedem Ort zugänglich ist. Wir sollten daher nicht davon ausgehen, dass Siddhartha Gautamas eigener Pfad einzigartig ist oder an die spezifischen Vorgaben einer Kultur oder Religion gebunden ist.

      Dieser Erzählung wurde von Buddhisten zu Recht eine besondere (aber nicht einzigartige) Bedeutung beigemessen. Dies begründet sich darin, was sie uns über das Menschsein und die beste Art und Weise, auf diesen Umstand zu reagieren, zu sagen hat, obgleich es wohl auch andere Wege gibt, dieselben Punkte zu vermitteln. Lassen Sie also bitte nicht zu, dass irrelevante