Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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Ehen eingehen, Muslime Halal-Fleisch essen und Vietnamesen Hunde – nicht meine Gepflogenheit, aber jedem das Seine. Solch eine Haltung mag oft nur in angemessener Toleranz gegenüber harmlosen Unterschieden bestehen, aber sie kann auch eine weitere Bewertung oder Beurteilung unterbinden, wenn diese vonnöten sind. Relativismus mag weniger selbstverständlich gegenüber Nazis sein, die Juden massakrieren oder gegenüber Verstümmlern weiblicher Genitalien in vielen Teilen des heutigen Nordafrikas. Wir können es uns nicht leisten, die Möglichkeit, zu urteilen, zu unterbinden.

      Wir stellen nun fest, dass der Palast nicht für einen einzelnen Glauben oder eine Glaubensrichtung steht, sondern für eine ganze Reihe voneinander abhängiger. Es gibt Maßlosigkeit, aber diese Maßlosigkeit braucht die Unterstützung einer isolierten Konventionalität. Diese Konventionalität ist auch in der Lage, jeglichen Konflikt mit anderen Werten durch Relativismus abzuwehren.

      Vielleicht haben Sie auch bemerkt, dass diese Werte in recht enger Beziehung zu dem stehen, was oft als ihr Gegenteil angesehen wird. Gerade die Tatsache, dass diese Werte und ihre Gegenteile voneinander getrennt werden und nicht hinterfragbar sind, ist das Bedeutsamste an ihnen. Es wäre überhaupt nicht schwer, sich Siddhartha in Folge der Isolation als streng und pflichtbewusst vorzustellen, wie es viele Palastbewohner tatsächlich waren. Die Konventionalität könnte auch genauso gut mit Absolutismus wie mit Relativismus in Verbindung gebracht werden. Die Palastbewohner könnten also davon überzeugt sein, im Besitz universeller Wahrheit (über Gottes Gebote oder die Natur oder was auch immer) zu sein und, dass dies ihnen ihre erhabene gesellschaftliche Stellung verleiht.

      Letztlich ist das Bedeutsamste am Palast dessen Verhältnis zur Macht. Die Machthaber werden eine Ideologie aufrechterhalten, mit deren Hilfe sie ihre gesellschaftliche Stellung behaupten können. Macht wird erhalten, indem alternative Ansprüche derer, die sie anfechten könnten, nicht mehr gelten. Wir erhalten Macht über andere oder unterdrückte Teile unserer selbst, indem wir uns weigern, alternative Werte anzuerkennen, die diese Macht angreifen könnten. Der Palast ist an der Macht und er bleibt es, indem er sich isoliert und den Glauben aufrechterhält, das müsse so sein.

      c. Die Vier Zeichen und sein Fortgehen

      Solange wir uns sicher fühlen, gibt es nur wenig Beweggründe, unsere Einstellungen zu ändern. Wir neigen dazu, die Welt im Sinne der willfährigen Weltanschauung zu interpretieren, die diese Sicherheit aufrechterhält. Es braucht schon etwas, das zumindest unbequem und herausfordernd, vielleicht sogar traumatisch ist, um diese Selbstgefälligkeit zu erschüttern und uns zu zwingen, unsere Annahmen zu überdenken. So war es auch bei Siddhartha Gautama. Sein Leben im Palast war solide und sicher, solange es nicht durch von außen einwirkende Bedingungen in Frage gestellt wurde. Aber es wurde in Frage gestellt – in Form der sog. „Drei Erkenntnisse“ oder „Vier Zeichen“.

      Die „Drei Erkenntnisse“ werden im Pali-Kanon als Teil der Erzählung über Siddhartha dargelegt. Die „Vier Zeichen“ hingegen finden sich nur als Teil der Erzählung über Vipassi, den früheren Buddha eines vergangenen Zeitalters. Die „Drei Erkenntnisse“ bestehen nur in neuen Gedanken, die Siddhartha in Form einer Einsicht kommen, dass seine Standpunkte zu Altern, Krankheit und Tod unangemessen sind. Es gibt einige wichtige Gegebenheiten, die sein Leben im Palast ausblendet, und ihm eröffnen sich, möglicherweise im Eiltempo, unterdrückte Erkenntnisse.

      Inmitten solcher Pracht und eines völlig unbeschwerten Lebens, ihr Mönche, kam mir dieser Gedanke: „Ein unkundiger Weltling, obwohl selbst dem Alter unterworfen, ohne dem Alter entrinnen zu können, fühlt sich abgestoßen, beschämt oder angewidert, wenn er einen alten oder gebrechlichen Menschen sieht, lässt seine eigene Situation dabei außer Acht. Doch auch ich bin dem Altern unterworfen, kann dem Altern nicht entgehen. Wenn ich beim Anblick eines alten und gebrechlichen Menschen abgestoßen, beschämt oder angewidert wäre, wäre dies nicht angemessen für jemanden wie mich.“ Als ich so dachte, Mönche, schwand all mein Stolz auf meine Jugendlichkeit.{7}

      Genau das gleiche wird dann über die Einstellungen zu Krankheit (beseitigt Siddharthas „Stolz auf seine Gesundheit“) und Tod (beseitigt seinen „Stolz auf sein Leben“) gesagt. Besonders interessant an dieser Fassung ist, dass sie sich nur auf die Erkenntnis Siddharthas konzentriert, dass er sich nur wegen begrenzter Bewusstheit vom Alter abgestoßen, beschämt und angewidert fühlt. Er hat Jugendlichkeit, neben Gesundheit, Alter und Leben als gegeben angenommen und seine gegenwärtige Annahme, diese seien dauerhaft, verabsolutiert.

      Die „Vier Zeichen“ ist eine alternative Fassung derselben Erkenntnisse. Sie inszeniert die „Drei Erkenntnisse“ so, wie sie Menschen in der Welt jenseits des Palastes erleben. Sie fügt auch eine vierte Person hinzu – einen Shramana oder Hauslosen, religiös Suchenden, der ein neues Modell alternativer Denk- und Lebensweise bietet. Diese Fassung der Geschichte wird im Pali-Kanon über den früheren Buddha Vipassi erzählt{8}. Hier wird die Begegnung des Protagonisten mit Alter, Krankheit und Tod zu einer neuen Erkenntnis, indem sie auf diese Weise nach außen hin in Szene gesetzt wird. Er wird als auf naive Weise damit nicht vertraut dargestellt. Er macht seinen ersten Ausflug mit dem Wagen aus einem Palastmilieu heraus, wo er in völliger Unkenntnis darüber gehalten wurde, dass so etwas wie Altern, Krankheit und Tod überhaupt vorkommt.

      Diese Geschichte wird bei Ashvaghosha noch weiter ausgearbeitet. Hier veranlassen die Götter das Erscheinen eines alten Mannes, eines kranken Mannes und eines Leichnams, Siddhartha begegnet ihnen nicht wirklich{9}. In Ashvaghoshas Fassung ist alles eine theatralische Inszenierung oder bloße Scheinwelt, um Siddharthas Gedanken zu manipulieren. Während Siddharthas Eltern alles versuchen, um die gefällige Sicherheit im Palast nicht zu erschüttern, arrangieren die Götter, die das Wohl der Welt anstreben, Gegendarstellungen, um ihn daraus aufzurütteln. Seine Eltern sind entschlossen, Siddhartha wegen einer bei seiner Geburt gemachten Prophezeiung abzuschirmen. Diese Prophezeiung besagte, er würde entweder ein großer König werden oder, wenn er das königliche Leben verließe, stattdessen eine große, erleuchtete Persönlichkeit. Ihr Motiv ist offensichtlich, ihn zu einem großen König zu machen, und auf diese Weise die unkonventionelle und störende Gefahr zu bannen, dass ihr Sohn sich auf eine persönliche spirituelle Suche begibt.

      Sehr leicht wird man durch diese Ausgestaltung der Geschichte dazu verleitet, Siddharthas Einsichten hier als Teil einer scheinbar vorbestimmten Entwicklung für die ganze Welt zu betrachten. Aber das große Kino betont lediglich die Bedeutung von Siddharthas Einsichten. Man könnte leicht annehmen, dass sie wichtig sind, weil sie die Grundlage einzigartiger Offenbarungsansprüche in der buddhistischen Tradition bilden. Wenn wir uns jedoch auf die eigentlichen Einsichten konzentrieren, gewinnen sie weit mehr Einfachheit und Universalität. Sie sind wegen dieser Universalität wichtig. Wenn wir anfangen, sie nur in Hinblick auf die Behauptungen einer Tradition zu betrachten, verlieren sie sogar an Bedeutung. Sie werden dann bloß zu entfernten historischen Ereignissen von anthropologischem Interesse innerhalb spezifischer Kulturen.

      Die buddhistische Tradition neigt zudem dazu, Siddhartha hier als die Wahrheit des „Leidens“ (Dukkha) erkennend darzustellen, verkörpert durch Vergänglichkeit (Annica). Alter, Krankheit und Tod sind letztlich Veränderungen, die Leiden verursachen, und sie zu verleugnen könnte dazu führen, die Tatsache des Wandels zu ignorieren. Wäre dies tatsächlich alles, hätte die Geschichte immer noch eine universelle Bedeutung. Wahrscheinlich haben wir alle schon einmal den Rausch der Jugend, Gesundheit oder des Lebens empfunden, über den Siddharthas „Erkenntnisse“ ihn hinausführen. Das Versäumnis, das Leid des Wandels zu erkennen, ist jedoch nur eine mögliche Form des umfassenderen Täuschungsmusters, über das Siddhartha hier hinausgeht. Wäre das nicht der Fall, wäre seine Geschichte nicht relevant für diejenigen, die sich konsequent mit Alter, Krankheit und Tod auseinandergesetzt haben, statt ihre Auswirkungen auf uns zu verdrängen. Siddhartha erkennt nicht nur das „Leiden“ – die Bedeutung seiner Erkenntnis hat einen breiteren Geltungsbereich als das. Es ist vielmehr ein Erkennen der Begrenztheit von Verabsolutierung und der Notwendigkeit, eine kritische Haltung einzunehmen, die darüber hinausgeht, unabhängig von der Annahme, die wir verabsolutiert haben. Wir könnten durchaus denken, dass Jugend, Gesundheit oder Leben alles sei. Wir könnten auch denken, dass unsere Nation oder unser geliebter Partner oder katholisches Dogma oder der Sturz des Kapitalismus oder sogar Buddhismus alles sei. Jedes