Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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seine asketischen Praktiken übt und diese aufgibt, muss Siddhartha nicht nur über die Autorität seiner Lehrer hinausgehen, sondern auch die Tendenz überwinden, den Willen einer inneren Stimme einer anderen aufzuzwingen.

      So wie ein starker Mann einen schwächeren Mann am Kopf oder an den Schultern packen und ihn niederschlagen, fesseln und zermalmen könnte, so schlug ich auch mit zusammengebissenen Zähnen und gegen den Gaumen gepresster Zunge meinen Geist nieder, fesselte und zermalmte ihn mit dem Geist, und Schweiß rann mir aus den Achselhöhlen. Aber obwohl unermüdliche Energie in mir geweckt wurde und sich eine unaufhörliche Achtsamkeit einstellte, war mein Körper überreizt und unruhig, weil ich vom schmerzhaften Streben erschöpft war.{19}

      Askese beinhaltet üblicherweise einen „Willensakt“: den Versuch, die Überzeugungen eines „höheren“ oder „wahren“ Selbst, das man als richtig beurteilt, einem niederen Selbst aufzuzwingen, das zurückgewiesenen Eigenschaften wie Gier, Hass und Unwissenheit verfallen ist. Dies ist ein Prozess, der auch als Repression bezeichnet werden kann, und Konfliktpflege innerhalb der eigenen Psyche bedingt. Repression kann im Sinne von bewussten Wünschen gegenüber unbewussten Wünschen verstanden werden. Alternativ kann sie einfach als ein Aufeinanderprallen zwischen Wünschen verstanden werden, die zu einem Zeitpunkt stärker hervortreten, und solchen, die zu einem anderen stärker aufkommen. Wie der obige Auszug verdeutlicht, ist ein Konflikt zwischen Teilen der Psyche auch ein körperlicher Konflikt, der den Körper über Gebühr belastet. Wenn wir unser Nervensystem dazu anregen, auf eine Gefahr zu reagieren, die uns nicht äußerlich, sondern nur innerlich bedroht, gibt es möglicherweise keine Auszeit vom imaginären Kampf mit den eigenen Schwächen. Es ist kaum verwunderlich, wenn wir diesen Kampf nicht sehr lange durchhalten können.

      Der Standpunkt der Askese ist zugleich Ausdruck einer Gewissheit, die wir nicht rechtfertigen können: die Gewissheit, dass das willentliche und repressive Selbst das rechte und „wahre“ Selbst ist. Angesichts der Veränderlichkeit unserer Erfahrung können wir nie sicher sein, dass wir eine solche Gewissheit nicht bereuen und revidieren werden. Diese ungerechtfertigte Gewissheit wird oft durch voneinander abhängige Annahmen einer ganzen Reihe von rechtfertigenden absoluten Überzeugungen verstärkt. Für moderne Asketen beinhaltet das wahrscheinlich Überzeugungen über den überragenden Wert ihrer Arbeit oder ihrer Pflicht, sie zu verrichten, ungeachtet der Kosten für ihren Geist und Körper. Zu Buddhas Zeiten war es eine Ideologie persönlichen Verdienstes, die aus der Praxis von Entbehrungen erwuchs und zu einer besseren Wiedergeburt in der Zukunft führen sollte. Verabsolutierte Vorstellungen über endlos aufgeschobene Belohnung bilden oft den gemeinsamen Nenner der Askese. Für Asketen ist das Vergnügen in der Zukunft immer wichtiger als Vergnügen im Jetzt, auch wenn die Vorstellung von Vergnügen genauso dominant sein mag wie für ausschweifendste Hedonisten.

      Siddhartha wird von fünf Gefährten begleitet, die ihn zu immer drastischeren Entbehrungen drängen. Diese Gefährten verkörpern die ihn umgebende asketische Kultur dieser Shramanas, ihre Erlösungsideologie{20}. Die Darstellung im Pali-Kanon konzentriert sich indes viel mehr auf seine scheinbar isolierten Versuche, den Willen eines Teils von ihm dem anderen Teil aufzuzwingen.

      Zu den im Pali-Kanon beschriebenen asketischen Praktiken von Siddhartha gehören „Meditation des Atemhaltens“ und sich aushungern, die jeweils auf verschiedenen Ebenen erprobt werden. Er hält mit verbissener Beharrlichkeit wieder und wieder seinen Atem an, aber er erlebt dadurch nur ein zunehmendes Maß an Leiden und Stress, von „einem lauten Geräusch des Windes, der aus meinen Ohren austritt“, über „ungestüme Winde, die meinen Bauch aufschlitzen“, bis hin zu „einem heftigen Brennen in meinem Körper“.{21} Was das Sich-Aushungern angeht, so versucht Siddhartha, nachdem er den Versuch, überhaupt nicht zu essen, aufgegeben hat, nur „sehr wenig zu essen, jedes Mal eine Handvoll“, was zu extremer Auszehrung führt, die plastisch beschrieben wird:

      Weil ich so wenig aß, wurde mein Gesäß wie ein Kamelhuf. Weil ich so wenig aß, standen meine Wirbelfortsätze hervor wie aufgereihte Perlen. Weil ich so wenig aß, ragten meine Rippen heraus, so hager wie die baufälligen Dachsparren einer alten, ungedeckten Scheune. Weil ich so wenig aß, sank der Glanz meiner Augen tief in die Augenhöhlen zurück und sah aus, wie der Glanz des Wasserspiegels, der in einem tiefen Brunnen tief abgesunken ist.{22}

      Der Asket ist gefangen in einem zwanghaften und abstrakten, zielorientierten Glaubenssystem. Doch jedes Mal, wenn er versucht, seinem Körper seinen Willen aufzuzwingen, wird sein widerspenstiges, verkörpertes Wesen durch den damit verbundenen Schmerz erneut unterstrichen. Allerdings ist der Irrglaube eines getrennten, vom Willen getriebenen Selbst so tief verwurzelt, dass der Asket aus dieser Erfahrung nichts lernen wird, sondern lediglich annimmt, er habe sich noch nicht hinreichend angestrengt. Der Irrglaube eines Selbst, das sich vom Körper unabhängig glaubt, oder der völlig fruchtlose Konflikt, der aus diesem Irrglauben entsteht, kann kaum plastischer illustriert werden. Diese Reaktionsweise beinhaltet eine geschlossene Rückkopplungsschleife, in der zwanghaftes Verlangen starren Glauben nährt, der dann ein zwanghaftes Verlangen nährt, dass immer auf denselben Annahmen beruht. Dieser Konflikt entsteht durch die Überdominanz der sprachlichen und zielorientierten Zentren der linken Gehirnhälfte (siehe Kapitel 7.h), die das Individuum in einem vermeintlichen Gefüge hält und es endlos bestätigt.

      Es ist nun in zweifacher Hinsicht klar geworden, dass der „Wald“ genau den gleichen verabsolutierenden Verblendungen unterliegt, wie der „Palast“, denn Siddhartha hat diese Verblendungen mitgebracht. Um über die Macht der Anschauungen des Palasts, mit seiner Konventionalität und seinem Hedonismus hinauszugehen, hat er sich die Gegenteile zu eigen gemacht: religiösen Absolutismus und Askese. Nichts davon hat sich als geeignet erwiesen, nicht weil die Überzeugungen und Praktiken im jeweiligen Kontext nicht einigen Bedingungen gerecht werden, sondern weil sie nicht alle Bedingungen in der von ihm gewünschten Weise gerecht werden. Der Palast befasst sich mit den Bedingungen sozialer Organisation. Die Sekten seiner spirituellen Lehrer im Wald befassen sich mit den Bedingungen des Erlernens spiritueller Praktiken. Die Askese im Wald befasst sich mit den Bedingungen zeitweiser Selbstbeherrschung – gegenwärtige Wünsche für den Augenblick unterdrücken zu können, um die Energie auf jeweils eine Handlung zu konzentrieren. Allerdings befasst sich nichts davon mit allen Bedingungen, die mit der Entwicklung des Menschen zusammenhängen, einschließlich der Fähigkeit, Leiden zu vermeiden. Der Mensch hat eine komplexe Vielfalt miteinander verbundener Bedürfnisse und Ziele, die nicht einfach durch ein Patentrezept erfüllt werden können.

      Die Art und Weise, wie Siddhartha den Weg aus der geschlossenen asketischen Schleife findet, ist bezeichnend für einige der grundlegendsten dieser Bedingungen:

      Ich überlegte: „Ich erinnere mich daran, dass ich, als mein Vater, der Sakyer, arbeitete, während ich im kühlen Schatten eines Rosenapfelbaums saß, ganz abgeschieden von sinnlichen Genüssen, abgeschieden von unheilsamen Zuständen, in das erste Jhana eintrat und darin verweilte, was von angeregten und anhaltenden Gedanken begleitet war, mit Verzückung und Vergnügen, das aus Abgeschiedenheit erwächst.“ {23}

      Die auf Achtsamkeit basierende Meditationserfahrung beruht im Gegensatz zu asketischen Praktiken nicht auf Ablehnung des Körpers, sondern auf mitfühlender Wahrnehmung. Jeder, der je das erste Jhana (Versenkungszustand) in der Meditation erlebt hat (was ich von mir glaube), wird sich bewusst sein, dass die grundlegendste Bedingung volle Akzeptanz des Körpers als Teil der eigenen Erfahrung ist. Unsere Körpererfahrung als Grundlage aller Bedeutung und Gedanken unterscheidet sich deutlich von Überzeugungen über den Körper und seine Veränderlichkeit als Objekt. In der Tat könnte Jhana als ein vorübergehend integrierter Zustand des Körpers definiert werden, in dem alle Energien, die wir von irgendeinem Teil unseres Körpers erfahren, vereint werden. Die Vereinigung der Energien erzeugt die im Text erwähnte Verzückung. Barrieren und Konflikte schmelzen vorübergehend dahin, so dass andere widerspenstige Wünsche, die nicht zum vorherrschenden Wunsch passen, nicht mehr als innere Feinde behandelt werden können. In solch einem Zustand der Integration wird es grotesk, zu der Art konflikthafter und selbstzerstörerischer Annahmen zurückzukehren, wie man sie in der Askese findet.

      Es gibt auch andere Aspekte der Rosenapfelbaum-Erfahrung, die einen Weg jenseits der geschlossenen Schleife asketischer Annahmen