Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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ich nähme feste Nahrung zu mir... Und ich aß etwas feste Nahrung - gekochten Reis und Brei. Nun warteten zu dieser Zeit fünf Bhikkhus auf mich und dachten: „Wenn unser Einsiedler Gotama einen höheren Zustand erreicht, wird er uns informieren. Aber als ich den gekochten Reis und den Brei aß, waren die fünf Bhikkhus angewidert und verließen mich mit dem Gedanken: „Der Einsiedler Gotama lebt jetzt luxuriös; er hat sein Streben aufgegeben und ist zum Luxus zurückgekehrt“.{25}

      In Ashvaghosas Fassung nimmt diese Nahrung die zierlichere Form von „Milchreis“ an und wird von der Tochter eines Kuhhirten namens Nandabala offeriert.{26} Welche Version man auch immer im Sinn hat, diese Akzeptanz der Nahrung ist bedeutsam als Zeichen der Anerkennung der Bedürfnisse des Körpers. Sie markiert eine Rückkehr zu den Grundbedingungen unserer Erfahrungen, nach einem fruchtlosen Streben nach verabsolutierten Abstraktionen. Erkennt man an, dass die Entdeckung des Mittleren Wegs das bei weitem bedeutendste Ereignis im Leben des Buddha ist, scheint es, als ob dieses Ereignis viel umfassender rituell gefeiert werden sollte, als es der Fall ist. Man könnte sich eine Art buddhistischer Eucharistie vorstellen, bei der kleine Mengen von gekochtem Reis und Brei achtsam verzehrt werden, in Erinnerung an Buddhas bedeutendste und universellste Errungenschaft.

      g. Maras Versuchungen

      Die explizite Entdeckung des Mittleren Wegs, so groß seine Bedeutung auch sein mag, ist natürlich nicht das Ende der Geschichte. Die Praxis des Mittleren Wegs bleibt dann eine ständige Herausforderung für den Rest unseres Lebens. In den traditionellen Berichten über das Leben des Buddha wird die Zeitspanne zwischen der Entdeckung des Mittleren Wegs und dem Erreichen des Erwachens normalerweise als relativ kurz dargestellt. In dieser Zeit sitzt Siddhartha unerschütterlich in Meditation, entschlossen, sich nicht zu bewegen, bis er das Erwachen erlangt hat. An diesem Punkt treten jedoch die dunkelsten Kräfte in Erscheinung, um ihn abzulenken, und nur indem er standhaft bleibt, wird er nicht abgelenkt.

      Siddharthas Praxis des Mittleren Wegs wird nun durch die Angriffe von Mara auf die Probe gestellt. Mara ist das buddhistische Äquivalent zu Satan, der Siddhartha angreift und versucht, um zu verhindern, dass er das Erwachen erlangt. Maras Prüfungen symbolisieren die Prüfungen, denen wir alle ständig ausgesetzt sind, wenn wir versuchen, den Mittleren Weg zu praktizieren, unabhängig davon, welchen Entwicklungsstand wir persönlich erreicht haben mögen. Im Pali-Kanon sind die Berichte über diese Übergriffe in Bezug auf die Chronologie in Buddhas Leben zweideutig: Es ist nicht ganz klar, ob sie vor oder nach dem Erwachen geschehen sein sollen. Die Tatsache, dass dies kaum eine Rolle spielt, sollte uns darauf aufmerksam machen, dass Erwachen die grundlegenden Bedingungen der Praxis des Mittleren Wegs, nämlich die der menschlichen Erfahrung, nicht ändern kann.

      Mara versucht zunächst, Siddharthas Vertrauen zu untergraben, indem er ihn warnt, dass er sterben könnte, wenn er sich überanstrengt, solange er sich noch in einem so ausgezehrten Zustand durch seine früheren Entbehrungen befindet.{27} Damit scheint er die für uns alle erfahrbare Neigung zu repräsentieren, die wirkliche Beschäftigung mit dem Pfad aufzuschieben, weil der Zeitpunkt noch nicht optimal ist. Der Mittlere Weg kann jedoch jederzeit praktiziert werden, dort beginnend, wo Sie sich jetzt befinden.

      Als dies nicht gelingt, greift Mara Siddhartha mit seiner Armee an, die eine Verkörperung seiner Ängste ist.{28} In einer Fassung greifen sie ihn passenderweise von hinten an,{29} was die Angst symbolisiert, die unerwartet aus dem Unbewussten hervorbrechen kann. Ashvaghosha berichtet ausführlich über diese furchterregenden Angriffe, die er sich als Horden von Unholden mit Tiergesichtern vorstellt, die Siddhartha umringen, während er unter dem Bodhi-Baum sitzt.{30} Diese Unholde schleudern heiße Kohlen auf ihn, aber sie verwandeln sich in rote Lotosblüten.{31} Entscheidend ist, dass Siddhartha diese Angriffe nicht besiegt, indem er zurückschlägt, sondern durch seinen Gleichmut, wodurch er sich nicht vor ihnen fürchtet.

      Zu guter Letzt wird beschrieben, wie Mara Siddhartha in Versuchung führt, indem er seine Töchter – Tanha, Arati und Ragha – benutzt, die auf alle möglichen Arten versuchen, Siddhartha mit Wollust zu verführen.{32} Siddharthas potenzielle sexuelle Fantasien erhalten eine externalisierte Form. Selbstverständlich scheitern sie: Sie haben „versucht, einen Berg mit Stängeln von Lotosblumen zu zerschmettern“.{33} Siddharthas ausbleibende Reaktion wird darauf zurückgeführt, dass er „seine Begierde abgeschnitten hat“.{34} Solche Begriffe vermitteln allerdings nicht unbedingt die ausgewogene (und nicht repressive) Natur des Gleichmuts, der nötig ist, um einer solchen „Versuchung“ zu widerstehen.

      Mara steht für die verabsolutierenden Kräfte in uns, die uns überwältigen, wenn wir mit Angst oder Verlangen konfrontiert werden. Einerseits lassen sie uns implizit oder explizit glauben, dass unsere projizierten Ängste (im Gegensatz zu den Bedingungen dahinter) uns verletzen können. Andererseits lassen sie uns glauben, dass unsere Projektionsobjekte der Begierde (im Gegensatz zu den Bedingungen dahinter) besessen werden können. Unsere Neigung, über Dinge in entgegengesetzten Absoluten zu denken, wird ständig durch die mächtigen Motive Angst und Begierde verstärkt, die aus der Amygdala und dem Striatum im hinteren Teil unseres Gehirns kommen. Diese Triebkräfte können uns in Extremsituationen davor bewahren, gefressen zu werden oder zu verhungern. Unter stabileren und zivilisierteren Bedingungen ist es jedoch viel wahrscheinlicher, dass sie unnötige Konflikte und Stress verursachen. Werden wir etwa mit dem unerwarteten Brüllen eines Tigers oder bewusst verführerischem Entblößen einer Brust konfrontiert, haben wir Urinstinkte, die gerne die Oberhand gewinnen. Aber es ist das ständige Wiedererinnern solcher Ereignisse, solange sie nicht auftreten, das unsere Fähigkeit stört, angemessen auf die viel häufigeren gewöhnlichen und vieldeutigen Ereignisse menschlichen Lebens zu reagieren: das harmlos herausfordernde Gerede eines Fremden, das harmlose Dröhnen eines Flugzeugs über uns oder der nicht aufreizende Blickkontakt, den ein Mann mit einer Frau auf der Straße bei ihren Alltagsbeschäftigungen aufnehmen mag. Es sind unsere Überreaktionen, die den Gleichmut bedrohen, der Teil der Praxis des Mittleren Wegs sein muss.

      Daher müssen wir Maras Prüfungen in Hinblick auf die Notwendigkeit interpretieren, Verabsolutierungen auf praktisch und emotional begründete Weise zu vermeiden. Wir werden uns dann über diese extremen, emotionalen Reaktionen nicht aufregen. Gemäß dem Grundsatz des Agnostizismus können wir weder mit Angst noch mit zwanghaftem Verlangen allein durch Unterdrücken wirksam umgehen. Stattdessen müssen wir sie als Teil unserer verkörperten Situation anerkennen, während wir sie aufnehmen und sie in einem weiteren, im Körper verankerten Gewahrsein kontextualisieren. Unterdrücken funktioniert nicht, weil es uns nur in einen vorübergehenden Zustand erzwungener Selbstkontrolle führt, in dem wir weiterhin Energien aufwenden müssen, um die unerwünschten Emotionen in Schach zu halten. Unter diesen Umständen ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir die die Energie zum Unterdrücken verlieren, die erforderlich ist, um Mara in Schach zu halten. Wenn er sich also weiter an uns abarbeitet und unsere einzige Antwort Unterdrücken ist, wird er uns schließlich in Begierde oder Hass treiben.

      Siddharthas Errungenschaft beruht nicht auf gewaltsamer Unterdrückung, sondern vielmehr auf Integration. Die durch Maras Armee geworfenen heißen Kohlen verwandeln sich in Blütenblätter, die nicht mehr die Wucht haben, neue Konflikte anzuregen, und somit harmlos für Siddhartha sind. Solange er sich auf eine integrative Praxis konzentriert, die sich auf seinen Körper als vereinende Grundlage des Bewusstseins stützt, kann Siddhartha die Reaktionen von Angst und Verlangen vermeiden. Auf diese Weise wird er zu einem starken Symbol der potenziellen Kraft unseres eigenen Gleichmuts. Es ist keineswegs so, dass er sich überhaupt nicht anstrengen braucht, oder, dass er die störenden Emotionen einfach so akzeptieren kann. Unterdrückung im Sinne bewusster Entschlossenheit, diese Emotionen nicht zu erwidern oder auf sie zu reagieren und gleichzeitig ihre Gegenwart zu akzeptieren, ist in der Tat notwendig. Andererseits ist es auch nicht einfach eine Frage des Mutes und der Standhaftigkeit im üblichen Sinne, denn er hat es nicht mit einem üblichen Feind zu tun. Sein Erfolg bei der Integration seiner störenden Emotionen hängt davon ab, ob er in der Lage ist, sie als Teil seiner selbst anzunehmen, ohne ihre trennende und störende Form zu akzeptieren. Dies hängt sowohl von seiner Weisheit und seinem Mitgefühl als auch von seinem Mut ab.

      h. Erwachen: Bedeutung versus Glauben

      Das Erwachen oder die Erleuchtung des Buddha ist ein höchst