Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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aufgrund seiner Universalität eigenständig und jenseits seiner selbst existiert. Er erkennt auch an, dass er in Ermangelung menschlicher Vorbilder seine Inspiration im eigentlichen Prozess finden muss, diesem Mittleren Weg zu folgen. Der Buddha verfügt nicht über die letztendliche Wahrheit, sonst würde er nicht mehr lernen und dem Mittleren Weg folgen. Er kann sich allerdings auch nicht der Autorität eines anderen unterordnen, was bedeuten würde, diese Autorität zu verabsolutieren und den Mittleren Weg zu verlassen. Hier haben wir also eine weitere Reflexion über die Herangehensweise, die ihn dazu gebracht hat, von Alara Kalama und Udaka Ramaputta wegzugehen. Wir finden darin auch ein anschauliches Beispiel für den Mittleren Weg, bei dem sowohl die Verabsolutierung seiner eigenen Überzeugungen als auch der Autorität eines anderen vermieden wird.

      Diese Episode zeichnet nach, wie der Buddha das Selbstvertrauen entwickelte, um eigenständig zu lehren, statt sich einer etablierten spirituellen Gruppe irgendeiner Art anzuschließen. Wenn die kulturellen Veränderungen, die in der modernen Gesellschaft vor sich gehen, Anzeichen für irgendetwas sind, dann für eine Ausgewogenheit, in der viele Menschen ihm heutzutage folgen. Es gibt einen Trend dazu, dass immer weniger Menschen etablierten Religionen oder politischen Parteien angehören. Es gibt allerdings auch immer mehr Menschen, die ihre eigenen Blogs schreiben oder Videos auf

       YouTube einstellen, um ihre Ideen und Standpunkte zu propagieren. Es gibt, so scheint es, eine wachsende Zahl von Anführern, aber immer weniger Anhänger. Nicht alle diese Führungspersönlichkeiten werden ausgewogene Gründe dafür haben, eine intellektuelle Führungsrolle anzustreben, und nicht alle von ihnen sind es wert, dass man ihnen zuhört. Wir sollten jedoch den Umstand begrüßen, dass immer mehr Menschen so handeln, wie es der Buddha hier getan hat. Sie denken autonom und nutzen kreative Möglichkeiten, sich auszudrücken als aktive Form von Entwicklung.

      Wie viele andere, die sich um eine kreative Führungsrolle bemühen, stößt allerdings auch der Buddha auf Bedenken hinsichtlich der Schwierigkeit, seine Botschaft zu vermitteln. Diese Bedenken werden durch die Komplexität dessen, was er zu vermitteln hat – den Mittleren Weg – noch vergrößert.

      Ich überlegte: „Dieser Dhamma, den ich verwirklicht habe, ist tiefgründig, schwer zu erkennen und schwer zu verstehen, friedvoll und erhaben, durch bloßes Nachdenken nicht zu erlangen, subtil, von den Weisen zu erfahren. Aber diese Generation ergötzt sich an Bindung [oder Anhaftung], hat Freude an der Bindung, genießt die Bindung. Es ist schwer für so eine Generation, diese Wahrheit zu erkennen, nämlich die zugrundeliegende Bedingtheit, das abhängig Entstehen... Wenn ich den Dhamma lehren würde, würden andere mich nicht verstehen, und das wäre ermüdend und beschwerlich für mich“… Indem ich dies erwog, neigte mein Geist eher zur Untätigkeit als zum Lehren des Dhamma.{46}

      Aber wieder einmal erhebt sich seine Stimme des Einspruchs in Form von Brahma Sahampati, der ihn anfleht, den Dhamma zu lehren. Der Buddha denkt noch einmal darüber nach.

      Als ich die Welt mit dem Auge eines Buddha betrachtete, sah ich Wesen mit wenig Staub auf den Augen und mit viel Staub auf den Augen, mit scharfen geistigen Fähigkeiten und mit dumpfen geistigen Fähigkeiten, mit guten Eigenschaften und mit schlechten Eigenschaften, leicht zu unterrichten und schwer zu unterrichten, und einige, die weilten, indem sie Furcht und Schuld in der anderen Welt sahen.{47}

      Dies ist eine hervorragende Demonstration sowohl der Vorläufigkeit als auch der allmählichen Entwicklung. Zunächst einmal hat der Buddha die Angelegenheit nur aus dem Blickwinkel von Verabsolutierungen betrachtet. Er begriff die Menschen als eine einheitliche Masse, die fest in Verabsolutierungen verwurzelt ist, so dass er beim Versuch, den Mittleren Weg zu vermitteln, nicht verstanden würde. Er hat lediglich zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: eine sehr beschwerliche Zeit zu durchleben, in der er versucht, die Unempfänglichen zu unterrichten, oder überhaupt nicht zu lehren. Dieser Dualismus von Verabsolutierungen ist ein weiterer Hinweis darauf, falls man ihn benötigt, dass der Buddha nicht allwissend ist und nicht immer und unter allen Umständen augenblicklich die richtige Antwort „weiß“. Vielmehr besteht sein entscheidender Beitrag in der Richtung, die er einschlägt, eine, die es ihm ermöglicht, seine vorherigen Irrtümer im Licht umfassenderen Bewusstseins zu überdenken und zu korrigieren. Die Stimme von Brahma Sahampati bietet dieses weitergehende Gewahrwerden. Die Vorläufigkeit beim Buddha besteht sowohl darin, dass ihm diese Stimme zur Verfügung steht (vielleicht unterstützt durch seine bisherige Praxis), als auch darin, dass er sie nicht ablehnt. Stattdessen erkennt er ihre umfassendere Angemessenheit dank des Gewahrswerdens, mit dem er in der Lage ist, die Alternativen abzuwägen. Der Buddha räumt hier ausdrücklich seinen Irrtum im Lichte weitergehenden Gewahrswerdens ein:

      Durch die Vorstellung, es wäre beschwerlich, oh Brahma,

      Sprach ich nicht den Dhamma, der feinsinnig und erhaben ist.{48}

      Auch dieses Urteil ist inkrementell. Während er anfangs die Menschen, die er möglicherweise unterrichten könnte, als eine einzige Masse mit einheitlichen Eigenschaften betrachtete, betrachtet er sie beim erneuten Nachdenken differenzierter als Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften, entlang mehrerer Achsen von Spektren:

      Der Menge an Staub, die sie auf ihren Augen haben (d.h. in welchem Umfang die Lebensbedingungen bei ihnen verabsolutierende Verblendungen bewirkt haben), wie intelligent sie sind, wie moralisch sie sind und wie empfänglich sie sind. Dieser schrittweise Entwicklungsprozess ermöglicht ihm einen Zugang zu Mitgefühl, zu dem er zuvor keinen Zugang hatte. Er beginnt, sich seine potenziellen Zuhörer als individuelle Persönlichkeiten vorzustellen und sie nicht einfach als eine abstrakte, unempfängliche Masse zu betrachten.

      Die neu gewonnene Zuversicht und Entschlossenheit des Buddha, den Mittleren Weg zu vermitteln, wird sofort auf die Probe gestellt. Zunächst denkt er darüber nach, dass seine beiden früheren Lehrer, Alara Kalama und Udaka Ramaputta, nun tot sind und macht sich stattdessen auf die Suche nach seinen früheren fünf Gefährten aus der Zeit der Askese.{49} Unterwegs begegnet er einem Shramana namens Upaka, der das selbstbewusste Auftreten des Buddha zu bewundern scheint und ihn nach seinen religiösen Zugehörigkeiten fragt. Doch der Buddha legt sich gleich mächtig ins Zeug:

      „Ich bin derjenige, der alles transzendiert hat, ein Wissender von allem…

      Ich habe keinen Lehrer und einer wie ich

      Existiert nirgendwo auf der ganzen Welt…

      Ich allein bin ein Vollkommen Erleuchteter.

      Die Reaktion, die dies hervorruft, ist reichlich komisch. Wie reagieren wir höflich auf jemanden, der sich derart verblendet zeigt?

      Nach diesen Worten sagte der Ajivaka Upaka: „Möge es so sein, mein Freund.“ Kopfschüttelnd nahm er einen Seitenweg und ging davon.{50}

      1) Man kann diese Episode auf die Unerfahrenheit des Buddha zurückführen, angemessen zu Menschen zu sprechen. Allerdings ist die Art und Weise, wie er hier von sich spricht, nicht außergewöhnlich im Pali-Kanon, und erst recht nicht außergewöhnlich in Bezug auf die Art und Weise, wie die buddhistische Tradition von ihm spricht. Was hier wiederum vermittelt wird, sind die Gefahren, das Erwachen zu verabsolutieren, und es wird nahegelegt, dass der Buddha selbst möglicherweise in diese Falle getappt ist. Er scheint sich verabsolutiert zu haben, indem er das, was wahrscheinlich eine hochgradig integrierte und transformative Erfahrung war, im Sinne einer absoluten Offenbarung interpretiert hat. Hätte der Buddha mit Upaka über seine Methode und nicht über seinen mutmaßlichen Status gesprochen, wäre er sicherlich wesentlich überzeugender gewesen? Es wäre auch zielgerechter und damit hilfreicher für Upaka in dessen eigenen Streben gewesen.

      Welchen Integrationsgrad der Buddha als Individuum auch immer erreicht haben mag, aus seinem späteren Verhalten ist klar ersichtlich, dass es sich um eine wichtige Errungenschaft handelte. Möglicherweise stand sie verschiedenen Teilen von ihm in verschiedenen Kontexten auch nicht ausgewogen zur Verfügung. Seine Entscheidung zu lehren und seine ersten Versuche, dies zu tun, verdeutlichen die wechselseitige Abhängigkeit zwischen der Art oder dem Grad an Integration, den er erreicht hat, und dem der ihn umgebenden Gesellschaft. Er konnte nicht einfach weiterhin einsame Glückseligkeit genießen, ohne mit