Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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als Ganzes implizit Teil seines Ziels. So wurde gesellschaftliche Integration zu einer weiteren Implikation des Mittleren Wegs. Gesellschaftliche und politische Konflikte finden ihre Gegenstücke innerhalb des Individuums und individuelle Konflikte können auch stark in gesellschaftlichen Konflikten zum Ausdruck kommen. Buddhas Mittlerer Weg wurde unweigerlich zu einer Möglichkeit, sich mit einem ganz neuen und breiteren Spektrum an Bedingungen auseinanderzusetzen.

      b. Die erste Lehrrede und die Vier Aufgaben

      Der erste schriftlich niedergelegte Beleg dafür, dass der Buddha tatsächlich lehrte, ist die Begegnung mit seinen fünf einstigen Gefährten in Sarnath bei Benares und sein Vortrag, der oft als „Erste Lehrrede“ bezeichnet wird. Bei dieser Gelegenheit wird eine Vorlage für Buddhas späteres niedergeschriebenes Lehren geschaffen, indem die zentralen Formulierungen festgelegt werden. Wir müssen jedoch bedenken, dass sie die Art und Weise zeigt, in der er dieser Zuhörerschaft an diesem Ort und zu dieser Zeit den Mittleren Weg vermittelt. Das ist nicht unbedingt die Art und Weise, in der er Menschen zu anderen Zeiten und Orten vermittelt werden sollte. Wir sehen Buddhas Unerfahrenheit als Lehrer, aber wir sehen auch, wie wichtig es ist, das Vertrauen und die Zuversicht der Menschen zu gewinnen und auf eine Weise zu lehren, die sie verstehen können. Auf diese Weise ist es möglich, ihnen dabei zu helfen, sich mit jedweden Bedingungen auseinanderzusetzen, die sie angehen müssen, um zu einer ausgewogenen Praxis zu gelangen.

      Als der Buddha zum ersten Mal auftaucht, betrachten ihn die fünf Asketen als einen Luxus-Rückfälligen. Als er sich nähert, verständigen sie sich untereinander drauf, ihm „weder zu huldigen noch sich für ihn zu erheben oder seine Schale entgegenzunehmen oder seine äußere Robe“{51} – mit anderen Worten, ihm nicht die Höflichkeit und den Respekt zu erweisen, die er möglicherweise erwartet hat, sondern ihm lediglich einen Sitzplatz anzubieten. Als er sich jedoch „diesen Bhikkhus näherte, sahen sie sich außerstande, ihren Pakt einzuhalten“{52} und erwiesen ihm genau die Höflichkeiten, die sie ihm vereinbarungsgemäß nicht entgegenbringen wollten. Wir sollen dies offensichtlich der Wirkmächtigkeit der Präsenz des Buddha zuschreiben. Traditionell würde man dies den transformierenden Wirkungen des Erwachens zuschreiben. Allerdings musste er keinen abgehobenen Zustand erreicht haben, damit die Wirkungen seiner Praxis sogar bereits, bevor er sprach aus seinen Körperbewegungen und seinem Auftreten klar ersichtlich waren. Andere dürften dies dann ohne weiteres intuitiv erkennen und darauf reagieren.

      Nichtsdestotrotz sprechen die Asketen den Buddha als „Freund“ an. Der Buddha lehnt dies ab und beansprucht, dass „ein Vollendeter, ein vollständig Erleuchteter“ wesentlich respektvoller angesprochen werden sollte. Selbst wenn man die weit ausgeprägtere Förmlichkeit im Umfeld des Buddha gegenüber der im heutigen Westen üblichen berücksichtigt, scheint dieses Insistieren ein Anzeichen für die Unerfahrenheit des Buddha als Lehrer zu sein. Warum sollte er so großen Wert darauf legen, wie er angesprochen wird? Beabsichtigt er wirklich, so viel Nachdruck auf seinen eigenen Status zu legen, möglicherweise auf Kosten einer möglichen Förderung des Verständnisses für den Weg bei seiner Zuhörerschaft? Es gibt Einwände der Asketen, die nicht verstehen, warum sie ihn so respektvoll behandeln sollten. Er bereinigt diese Angelegenheit letztendlich lediglich, indem er sagt: „Bhikkhus, habt ihr mich jemals auf solche Weise sprechen gehört?“{53} Dies würde ihre Aufmerksamkeit auf ihre früheren persönlichen Erfahrungen mit ihm richten und nicht auf Verabsolutierungen seines Status. Auf diese Weise gelingt es ihm, die negativen Auswirkungen seiner früheren Fehler zu überwinden, indem er schlichtweg eine Atmosphäre des Vertrauens schafft.

      Als der Buddha seine erste Lehrrede hält, ist es allerdings bemerkenswert, dass er als allererstes über den Mittleren Weg spricht. Tatsächlich beschreibt er den Mittleren Weg sogar als das, zu dem er erwacht ist:

      „Bhikkhus, diesen beiden Extremen sollte niemand folgen, der sich in die Hauslosigkeit begeben hat. Welchen beiden? Dem Streben nach sinnlichem Glück in sinnlichen Vergnügungen, welches niedrig, ordinär, der Weg der Weltlinge, unedel, unheilsam ist; und dem Streben nach Selbstkasteiung, welches schmerzhaft, unedel, unheilsam ist. Indem er sich keinem dieser Extreme zugewandt hat, ist der Tathagata [Buddha] zum mittleren Weg erwacht, der sehend und wissend macht, der zu Frieden, unmittelbarem Wissen, zur Erleuchtung, zum Nibbana führt.“{54}

      Indem er auf diese Weise in dieser Ausgangssituation lehrt, begründet er die buddhistische Tradition (auf die ich in Abschnitt 4 näher eingehen werde), indem er lediglich den Mittleren Weg anhand konkreter Beispiele verabsolutierender Extreme darlegt, die es zu vermeiden gilt. In diesen Begriffen zu sprechen, statt vom Vermeiden von Verabsolutierung im Allgemeinen, verschleiert unglücklicherweise (durch Selektivität) die möglichen Konflikte zwischen dem Mittleren Weg und den Verabsolutierungen, die sich innerhalb der buddhistischen Tradition entwickelt haben. In dieser Situation, in der er sich ausdrücklich an „einen, der in die Hauslosigkeit gegangen ist“ wendet, ist es sicherlich verständlich, warum der Buddha dies getan hat. Er wandte sich an eine Gruppe von Menschen, die zuvor von Selbstkasteiung besessen war. Seine oberste Priorität bestand darin, sie in die Lage zu versetzen, über diese spezielle Verabsolutierung hinauszugehen, und weniger darin, sie mit dem umfassenderen Problem von Verabsolutierung im Allgemeinen zu konfrontieren.

      Der Buddha fährt dann fort:

      „Und was, Bhikkhus, ist dieser mittlere Weg, zu dem der Tathagata erwacht ist, der sehend macht, der wissend macht, der zu Frieden führt, zu unmittelbarem Wissen, zu Erleuchtung, zu Nibbana? Es ist dieser Edle Achtfache Pfad; das heißt, rechte Ansicht, rechte Absicht, rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenserwerb, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Konzentration“{55}

      Den Edlen Achtfachen Pfads mit dem Mittleren Weg zu identifizieren, scheint hier oft dazu geführt zu haben, dass Buddhisten davon ausgehen, letzterer könne in den Begriffen des ersteren verstanden werden. Der Achtfache Pfad ist jedoch eher eine Beschreibung dessen, wie man dem Mittleren Weg folgen kann und kein Ersatz für das Verständnis des Mittleren Wegs an sich.

      Der Achtfache Pfad bietet eine Analyse der verschiedenen Arten integrativer Praktiken, die helfen können, Verabsolutierung zu vermeiden. Seine acht Glieder lassen sich grob in drei Praxisfelder gruppieren, die als Drei Übungsgebiete angesehen werden: Weisheit (rechte Ansicht und Absicht), Ethik (rechte Rede, rechtes Handeln, rechter Lebenserwerb) und Meditation (rechte Anstrengung, Achtsamkeit und Konzentration). Weisheit ermöglicht es, Verabsolutierung zu vermeiden, indem man sich seiner Annahmen und ihrer Grenzen bewusst wird: das Praktizieren von Skepsis und Agnostizismus gegenüber positiven und negativen Absolutismen. Ethik ermöglicht das Vermeiden von Urteilen über Handlungen, die verabsolutierte Überzeugungen voraussetzen (und damit auch dazu neigen, sie zu verstärken). „Meditation“ (in einem weitgefassten Sinn des Begriffs) ermöglicht das Vermeiden von Verabsolutierungen, indem sie unseren Geist für Alternativen öffnet und dadurch Vorläufigkeit zulässt. Noch erfreulicher ist jedoch, dass all diese Praktiken auch integrativ sind. Sie unterstützen im Allgemeinen ein angemessenes Bewusstsein der Welt, individuelles Glück und gesellschaftliche Harmonie, indem sie Konflikte und Projektionen überwindbar machen.

      Der Achtfache Pfad ist nicht der einzig mögliche Weg, um den Pfad zu konkretisieren, aber er ist ein äußerst nützlicher und an sich schon eine ausführlichere Erörterung wert. Ich werde den gesamten Abschnitt 5 der Erläuterung des Achtfachen Pfads in Hinblick auf den Mittleren Weg widmen. Nachdem Buddha den Achtfachen Pfad dargelegt hat, wendet sich seine Erste Lehrrede der Erläuterung der Vier Edlen Wahrheiten zu. Wiederum ermuntert uns die Art und Weise, wie diese nach dem Pfad eingebracht werden, dazu, ihr Erkennen als Teil des Pfads zu sehen und sie auf eine Weise zu interpretieren, die mit dem Mittleren Weg vereinbar ist.

      In der traditionellen Übersetzung, die Bhikkhu Bodhi verwendet, sind die Vier Edlen Wahrheiten Leiden, der Ursprung des Leidens, die Beendigung des Leidens und der Weg, der zur Beendigung des Leidens führt.{56} Angesichts dessen, wie unzulänglich „Leiden“ als Übersetzung von „Dukkha“ ist, bin ich jedoch überrascht darüber, wie häufig buddhistische Übersetzer und Lehrer weiterhin diesen Begriff verwenden. Dukkha bezieht sich nicht nur auf Leiden im herkömmlichen Sinne, sondern auch auf die Art und Weise, wie unsere Wünsche und Erwartungen im Großen und Ganzen unerfüllt bleiben. Alternative