Robert M. Ellis

Buddhas Mittlerer Weg


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Weisheit fort.

      Die „Basis“, auf die sich jeder Lehrer beruft, muss in Beziehung zum Schema der vier „immateriellen Zustände“ oder „höheren Jhanas“ (oder Dhyanas, Stufen meditativer Vertiefung) verstanden werden, die in der buddhistischen Lehre zu finden sind. Die vier niederen Jhanas bestehen aus Vertiefungsstufen, die durch ausdauernde Meditation unter guten Bedingungen erreicht werden können. Sie weisen bestimmte, definierbare Merkmale auf (Einspitzigkeit, anfängliches und fortgesetztes Denken, Verzückung, Glückseligkeit und Gleichmut), die zunehmend präsent sind. Die höheren Jhanas werden dann in der frühen buddhistischen Literatur als höhere und subtilere Errungenschaften dargestellt. Sie können von Mönchen erreicht werden, die auch über das vierte Jhana hinaus, weiterhin Fertigkeiten und Anstrengungen auf die Meditation verwenden. Diese höheren Jhanas werden als „die Basis, die aus grenzenlosem Raum besteht“, „die Basis, die aus grenzenlosem Bewusstsein besteht“, „die Basis, die aus dem Nicht-Sein besteht“ und „die Basis, die aus weder Wahrnehmung noch Nicht-Wahrnehmung“{17} besteht, beschrieben. Nichtsdestotrotz werden diese höheren Jhanas als nicht zum Ziel letztendlichen Erwachens führend wahrgenommen. Ihre traditionelle Bedeutung in der Geschichte von Siddharthas Begegnungen mit seinen Lehrern besteht darin, zu zeigen, dass sie Siddhartha zu äußerst subtilen Ebenen meditativer Verwirklichung führen, aber nicht darüber hinaus. Traditionell war also die Erklärung für Siddharthas Weiterziehen, dass seine Lehrer nicht weit genug gegangen waren und nicht in der Lage waren, ihm den vollständigen Pfad zu letztendlichem Erwachen zu lehren.

      Solche Darstellungen des Pfades beginnen jedoch mit Annahmen über die letztendliche Verwirklichung des Erwachens und leiten daraus umgekehrt ein Verständnis des Pfads ab. Dabei besteht die Gefahr, die Universalität des Mittleren Wegs zu untergraben. Sie verwandeln ihn bestenfalls in eine technische Beschreibung der Errungenschaften, die im begrenzten kulturellen Rahmen buddhistischen Klosterlebens anzustreben sind. Schlimmstenfalls verwandeln sie ihn in ein Dogma, das den Mittleren Weg an sich untergräbt. Ich möchte behaupten, dass aus den Begebenheiten mit Alara Kalama und Udaka Ramaputta eine ganz andere und viel universellere Bedeutung abgeleitet werden kann, und nicht nur, dass Siddhartha sie bloß übertroffen hat, weil sie noch nicht erleuchtet waren. Beim Mittleren Weg geht es nicht darum, was erreicht wird, sondern vielmehr darum, wie wir es beurteilen. Die Art und Weise, wie wir über die Schlussfolgerungen urteilen, die wir aus meditativer Erfahrung ziehen können, ist hier weitaus bedeutsamer als die Frage, welche Kategorie von meditativer Erfahrung sie angehören.

      Alara Kalama und Udaka Ramaputta hatten beide tiefgreifende Erfahrungen, die, wie man annehmen muss, ihr Leben positiv verändert und sie vielleicht in die Lage versetzt haben, neue Ebenen der Weisheit und des Mitgefühls zu entwickeln. Nichtsdestotrotz besteht das Scheitern beim Urteil in jedem Fall darin, dass sie zu dem Schluss kamen, dass diese Erfahrungen schon alles waren. Jede Erfahrung eines endlichen Wesens ist zwangsläufig sowohl hinsichtlich der Informationen, die sie liefert, als auch hinsichtlich des Ausmaßes, in dem sie psychische Zustände angemessen und verlässlich macht, begrenzt. Diese Erfahrungen, so tiefgründig sie auch sein mögen, können keine Ausnahme sein. Die buddhistische Tradition neigt zur Schlussfolgerung, die Unterweisungen dieser beiden Lehrer seien nur deshalb unzureichend gewesen, weil sie das wahre und letztendliche Ziel noch nicht erreicht hatten. Eine fundiertere und universellere Schlussfolgerung wäre jedoch, dass sie nur deshalb unzureichend waren, weil sie glaubten, das wahre und letztendliche Ziel schon erreicht zu haben.

      Zweifellos muss derselbe Einwand auch gegenüber Siddhartha vorgebracht werden, so nützlich, positiv und ehrfurchtgebietend seine Erfahrungen auch sein mögen. Da er menschlich und begrenzt ist, müssen alle Erfahrungen, die er macht, denselben Kriterien unterworfen werden, die Siddhartha auf Alara Kalama und Udaka Ramaputta angewandt haben soll. Wir müssen die Schlussfolgerung ziehen, dass sie nicht perfekt, absolut oder endgültig sind. Damit schmälern wir weder ihn noch seine Verdienste in irgendeiner Weise, sondern erkennen einfach an, dass es sich um große menschliche Errungenschaften handelt. Um dem Mittleren Weg zu folgen, müssen wir dem Beispiel Siddharthas folgen, statt ihn zu idealisieren.

      Als Siddhartha die einzelnen Lehrer verlässt, sagt er:

      Dieser Dhamma führt nicht zu Ernüchterung, zu Leidenschaftslosigkeit, zu Aufhören, zu Frieden, zu direktem Wissen, zu Erleuchtung, zu Nibbana, sondern nur zu Wiedererscheinen auf der Basis von Nicht-Sein [oder Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung]. Weil ich mit jenem Dhamma nicht zufrieden war, ließ ich ihn zurück und ging fort.{18}

      Dies wirft eine zentrale konzeptionelle Frage auf, die für das Verständnis des Mittleren Wegs wichtig ist. Stellen wir eine negative Behauptung auf, herrscht eine grundlegende Ambivalenz. Diese Behauptung kann entweder als Bekräftigung eines negativen Gegenteils verstanden werden oder einfach so, dass etwas Positives nicht bejaht wird. Zum Beispiel kann „ich glaube nicht, dass Hunde immer Fleisch essen“ entweder bedeuten, dass ich glaube, dass Hunde nicht immer Fleisch essen, oder, dass ich nicht genug Informationen zu diesem Thema habe, um definitiv daraus schließen zu können, dass sie es tun. Im obigen, dem Buddha zugeschriebenen Zitat kann sein Glaube, dass die Lehre (Dhamma oder Dharma) von Alara Kalama und Udaka Ramaputta nicht zu Ernüchterung, etc. führt, einerseits dahingehend interpretiert werden, dass es einen Dhamma gibt, der zu Ernüchterung, etc. führt, diese aber nicht. Andererseits kann es so gelesen werden, dass er einfach nicht abschließend erkennen kann, dass dieser Dhamma nicht zu Ernüchterung, etc. führt, wobei er unsicher bleibt, ob es eine Alternative gibt, die zu Ernüchterung, etc. führt.

      Siddhartha ist auf einer Suche. Er hat ein Ziel vor Augen, das für ihn von Bedeutung ist. Das setzt aber nicht voraus, dass die Erfüllung seines Strebens darin besteht, dieses Ziel zu erreichen, wie er es sich ursprünglich vorgestellt hat. Es bedeutet auch nicht notwendigerweise, dass ein Scheitern darin, Erleuchtung zu erreichen, ein vollständiges Scheitern in diesem Streben wäre. Gerade in den Erfahrungen mit Alara Kalama und Udaka Ramaputta muss er die Natur dieses Strebens erneut überdenken. Sollte er sich ausgemalt haben, es würde ihn im Wald zu einer vollständigen Antwort führen, die im Palast nicht verfügbar war, wäre er nicht nur einmal, sondern zweimal enttäuscht worden. Dies bedeutet aber nicht, dass er auf seiner Suche nicht weiter vorangekommen ist. Es bedeutet vielmehr, dass er beginnt, sich vom Streben nach absoluten Antworten abzuwenden, und stattdessen versucht, Verblendungen zu überwinden, die er durch Erfahrung erkennen kann. Wie mir hier scheint, beginnt sich die Bedeutung dieses Strebens bereits in eine zu verwandeln, die durch den Mittleren Weg bestimmt wird, statt durch das Positiv-Absolute, das durch die Idee des Erwachens repräsentiert wird.

      Siddharthas Enttäuschung über religiöse Lehrer spiegelt sich in der Erfahrung jedes anderen Menschen wider, der jemals eine Autoritätsperson idealisiert hat und desillusioniert wurde. Die meisten von uns wählen Stellvertreter, um sich von der Autorität der Eltern zu lösen, aber auch diese werden dann als unzulänglich empfunden. Das kann der Fall sein, wenn wir die Begrenztheit eines Lehrers oder Hochschulprofessors erkennen, den wir in unserer Jugend gekannt oder idealisiert haben. Es kann passieren, sexuellem Missbrauch durch einen Guru zum Opfer zu fallen. Möglicherweise führt die kritische Perspektive, die Geschichtswissenschaft und Philosophie in Bezug auf fundamentalistische Überzeugungen über Jesus oder den Buddha bieten dazu, dass sie nicht mehr als die absolut makellosen Persönlichkeiten erscheinen, als die wir sie idealisiert hatten.

      Dennoch bleibt der Archetyp bestehen. Wir müssen nicht aufhören, Erwachen bedeutungsvoll zu finden, oder uns von ihm inspirieren zu lassen oder in die Richtung zu streben, die es repräsentiert, nur weil wir erkennen, dass es uns an Begründungen für den Glauben an dessen Verwirklichung mangelt. Idealisierungen fallen, aber sie müssen keine Ideale mitreißen. In vielerlei Hinsicht werden Ideale stärker, wenn sie nicht mehr projiziert werden, wenn sie aufhören, Perfektion in Personen oder Dingen anzunehmen, die nicht perfekt sind. Dann sind wir besser in der Lage, ihre verworrenen und unvollkommenen Teile zu erkennen, die wir eher durch Erfahrung finden.

      e. Der Wald: Askese

      Die Episode von Siddharthas Verweilen mit den beiden Lehrern schließt die Waldphase noch nicht ab. Siddhartha hat den Mittleren Weg noch nicht explizit entdeckt, auch wenn er sich auf ihn zubewegt. Indem er über die absolute Autorität der beiden Lehrer hinausgegangen ist und seine eigene authentische