Marie Wendland

Rapsblütenherz


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mach‘ ich“, rief Nana ihr hinterher. „Gute Besserung!“ Johanna war ihre Besorgnis unangenehm, denn sie war ja gar nicht wirklich krank. Sie musste nur hier raus!

      Trotzdem fühlte sie sich auf dem Heimweg so elend wie noch nie. Sie saß wie immer in der U2 und es roch wie immer muffig. Irgendwo schrie ein Baby und ein anderer Fahrgast beschwerte sich lautstark. Wie immer. Nur kam Johanna auf einmal alles fremd vor. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Die mechanische Frauenstimme kündigte den nächsten Halt an und fügte hinzu: „Ausstieg links.“ Mit zittrigen Fingern griff sie nach ihrem Notizbuch, um sich daran festzuhalten, aber plötzlich waren die Worte wieder da, die ihr in den letzten Monaten gefehlt hatten:

      Ausstieg links! Und ich stehe auf der rechten Seite, zerre an der Tür und komme nicht raus…

      „Was ist passiert?“, fragte Linea sofort, als Johanna mitten am Tag nach Hause kam.

      „Nichts, mir ging es nur nicht so gut.“ Johanna versuchte sich an ihrer Freundin vorbei in ihr Zimmer zu drängeln.

      „Bist du krank?“

      „Nein, ich musste da nur raus…Hajo…Mareck…ich…“. Ihre Stimme versagte und schon wieder kamen ihr die Tränen.

      „Ach, Süße!“ Linea umarmte sie. „Aber du bist trotzdem krank! Du hast Fieber!“

      Kapitel 8

      Erledigt

      Sie hatte Fieber. Denn sie war krank. Das wurde Johanna schlagartig klar, als sie die Augen öffnete. Sie versuchte sich zu orientieren und stellte fest, dass sie in ihrem Bett lag. Wie genau sie dort hingekommen war, konnte sie nicht sagen. Sie wusste nur, dass ihre Arme und Beine schmerzten, ihr Kopf zu platzen drohte und kalter Schweiß auf ihrer Stirn stand. Draußen vor dem Fenster war es dunkel. Wie spät war es denn schon? Sie setzte sich so ruckartig auf, dass ihr schwarz vor Augen wurde und sie sich wieder in die Kissen fallen ließ.

      Durch ihr Gepolter angelockt steckte Linea den Kopf durch die Tür und fragte: „Hey, du bist ja wieder wach. Wie geht’s dir?“

      „Ich weiß nicht…“ Johanna verzog das Gesicht, denn das Sprechen verursachte Halsschmerzen. Dann fiel ihr etwas ein, dass sie wieder hochfahren ließ. „Ich muss zu Moritz!“ Zum Glück war Linea bei ihr, bevor sie aus dem Bett kippte. Fürsorglich stopfte sie Kissen zurecht und lehnte Johanna dagegen wie eine lebensgroße Puppe.

      „Du musst nirgendwo hin!“, bestimmte ihre Freundin.

      „Aber ich hab‘ es ihm versprochen“, krächzte Johanna verzweifelt. „Ich muss ihn wenigstens anrufen!“

      „Ich mach‘ das. Er soll herkommen und sich um dich kümmern.“ Linea verließ den Raum und fügte beim Gehen hinzu: „Aber nicht, dass du denkst, dass ich das nicht gerne mache. Ich bin bestimmt eine gute Krankenschwester!“ Damit entlockte sie Johanna ein schwaches Lächeln, bevor diese dankbar die Augen wieder schloss. Nach einer Weile kam Linea zurück und verkündete: „Er kommt nicht. Er will dich nicht stören…“

      „Aber das ist doch lieb von ihm“, versuchte Johanna ihren Freund mal wieder zu verteidigen.

      „Pah! Eine kranke Freundin passt nicht in sein Weltbild, so sieht’s aus“, ereiferte sich Linea. Johanna wollte ihr widersprechen, aber zum einen fehlte ihr die Kraft dazu und zum anderen wusste sie, dass ihre beste Freundin Recht hatte.

      Am nächsten Tag schleppte Linea sie zum Arzt, der wenig überraschend einen heftigen grippalen Infekt diagnostizierte. Er schrieb sie gleich zwei Wochen krank, was bei Johanna eine fast überwältigende Erleichterung auslöste. Das anhaltende Fieber verhinderte zudem, dass sie zu viel über ihren unrühmlichen Abgang im Büro nachdenken konnte. Sie schlief viel und sogar ihre Träume waren seltsam formlos, nichts als schemenhafte Konturen, wilde Farben und Emotionen, die sie nicht fassen konnte. Wenn sie mal wach war, unterhielten Linea und ihre Mutter sie, die zudem bei jedem Besuch reichlich Hühnersuppe mitbrachte (auf die Johanna leider wenig Appetit hatte). Ansonsten lenkten seichte Soaps sie ab, die sie bestimmt schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dieser dumpfe Zustand wäre durchaus nicht unangenehm gewesen, wären da nicht die andauernden Kopf- und Gliederschmerzen gewesen. Aber solange ihr alles wehtat, hatte sie wenigstens einen greifbaren Grund sich elend zu fühlen.

      Moritz meldete sich überhaupt nicht, was Linea nur mit vernichtenden Blicken quittierte. Johanna, die ja eigentlich wütend oder traurig darüber hätte sein müssen, war es erstaunlich egal. Als sie am Ende der ersten Woche wieder dazu in der Lage war, wählte sie trotzdem seine Nummer.

      „Hanni-Bunny! Alles wieder fit?“, fragte ihr Freund gutgelaunt.

      „Es wird langsam.“

      „Cool! Hör’ mal, Schnuffi, wir treffen uns heute mit ein paar Leuten bei Jan. Komm‘ doch auch!“

      „Du, Moritz, ich liege seit einer Woche krank im Bett, habe gerade mal kein Fieber mehr und bin noch total erledigt. Ich kann heute noch nicht wieder auf eine Party gehen“, erwiderte Johanna entschuldigend. Gleichzeitig merkte sie, wie irgendwo unter dem tauben Krankheitsgefühl Wut in ihr hochkochte. Sie ignorierte sie und fügte schnell hinzu: „Du kannst doch heute Abend zu mir kommen. Ich bin bestimmt nicht mehr ansteckend und ich würde mich echt freuen!“

      „Was soll ich denn bei dir, wenn’s dir noch so schlecht geht?“ Er räusperte sich unbehaglich. „Aber gut, wenn ich dir damit einen Gefallen tue, komm‘ ich eben kurz, bevor ich zu Jan fahre.“

      Plötzlich war Johannas Wut verschwunden, genauso wie das unterschwellig schlechte Gewissen, das sie Moritz gegenüber immer verspürte. Ihr Kopf wurde vollkommen klar.

      „Nein“, sagte sie ruhig.

      „Was? Aber du hast doch gesagt…“

      „Ja, aber ich habe es mir anders überlegt. Bitte komm‘ heute Abend nicht. Ich möchte, dass du gar nicht mehr kommst. Moritz, es tut mir leid, aber es ist aus!“ Sie legte auf, bevor er etwas sagen konnte. Sie wollte nichts mehr hören! Keine Entschuldigungen, keine Vorwürfe, keine Versprechen und erst recht keine Liebesbekundungen. Denn da, wo mal ihre Liebe zu ihm gewesen war, war nur noch ein schales Gefühl. Johanna wartete darauf, dass die Tränen kamen, aber nichts passierte. Sie war einfach nur erschöpft. Also legte sie sich wieder hin, zog die Bettdecke bis zum Kinn und schloss die Augen. Es war wirklich aus!

      * * *

      Sonnenstrahlen tanzten auf den Wänden als Johanna wieder erwachte. Sie horchte in sich hinein und stellte überrascht fest, dass sie sich gut fühlte: Nichts tat mehr weh, ihre Stirn war kühl und ihre Nase nicht mehr verstopft. Anscheinend war sie wieder gesund! Sie öffnete das Fenster, um die Krankheit aus dem Zimmer zu verscheuchen, wobei der frische Duft des Frühlings vermischt mit den allgegenwärtigen Abgasen hereinströmte. Draußen sangen Vögel. Nach einer ausgiebigen Dusche fühlte auch Johanna sich wieder frisch und wie ein Mensch. Während sie sich abtrocknete, fiel ihr auf, dass sie noch weiter abgenommen hatte (was kein Wunder war, wenn man nichts als dünne Hühnerbrühe aß). Die Frau, die sie jetzt aus dem Spiegel heraus ansah, hatte eine erstaunlich gute Figur! Johanna musste grinsen und ihr Spiegelbild grinste zurück.

      Da sie gerade alleine in der Wohnung war, wanderte sie ziellos herum, nachdem sie sich fertig gemacht hatte. Die Erinnerung daran, dass sie gestern mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte, kam langsam wieder an die Oberfläche, aber die Erkenntnis erschreckte sie nicht so sehr, wie sie es erwartet hatte. Bis auf die Geräusche der Großstadt im Hintergrund war es still und Johanna hatte das Gefühl, sich in einem Vakuum zu befinden. Ihre Beziehung zu Moritz gab es nicht mehr, ihr Alltag, das Büro, alles schien unendlich weit weg. Noch in dieser seltsamen Stimmung setzte sie sich mit einem Käsebrot und in eine Decke gewickelt auf den Balkon. Langsam kaute sie und war erstaunt darüber, wie wunderbar so etwas Selbstverständliches wie das Schlucken sein konnte, wenn es gerade noch stechende Schmerzen verursacht hatte.

      Es war nicht die Leere, die sie genoss, wurde ihr klar, es war die Möglichkeit, die sich ihr dadurch bot! Neben ihrem Körpergewicht hatte sich auch irgendetwas in ihr verändert und diese andere Johanna