Marie Wendland

Rapsblütenherz


Скачать книгу

„Das Essen ist schon fertig, deswegen setzen wir uns lieber gleich. Wir hatten euch früher erwartet!“

      „Sorry, Mum, aber Hanni ist im Büro nicht fertig geworden, deswegen sind wir nicht rechtzeitig losgekommen“, erklärte Moritz ohne zu zögern und schien gar nicht zu merken, dass Johanna ihn ungläubig anstarrte.

      „Ach je, hast du viel zu tun, Schätzchen?“, erkundigte sich Edith, während sie am großen Esstisch Platz nahmen, der so aufwendig gedeckt war wie in einem Sternerestaurant.

      „Ja, ich bin kurz davor, ein wichtiges Projekt abzuschließen“, antwortete Johanna etwas lahm. Sie wollte Moritz nicht auflaufen lassen, also blieb ihr nichts anderes übrig als sein Spiel auf ihre Kosten mitzuspielen.

      „Wenn es zum Ende hin hektisch wird, liegt es immer am Projektplan“, warf Dr. Norbert Ulrich ein, der gerade mit einer Weinflasche hereinkam. Moritz‘ Vater war zwar Zahnarzt, was ihn aber nicht davon abhielt, zu allem und jedem eine Meinung zu haben.

      „Mit Terminen hast du es ja wirklich nicht so.“ Moritz lachte und seine Familie stimmte ein. Wie kam er darauf? Als Johanna stumm blieb, fügte er immer noch lachend hinzu: „Jetzt komm‘ schon, Hanni-Bunny, steh‘ doch einfach dazu!“ Während Charlotte, seine Schwester, irgendetwas von Schwächen erzählte, die ja jeder hatte, um die Situation halbwegs zu retten, entschuldigte Johanna sich und floh auf die Toilette.

      Sie schaffte es mit größter Mühe, die Tränen zurückzuhalten, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Noch nie hatte sie sich so gedemütigt gefühlt! Ach, doch, beim letzten Familientreffen der Ulrichs. Und dem davor. Und in Gegenwart von Hajo. Das konnte doch nicht richtig sein! Sie setzte sich auf den Klodeckel und fing an, in ihrer Handtasche zu kramen. Zuerst wollte sie ihre Mutter anrufen, dann doch lieber Linea. Anstelle ihres Handys fand sie aber ihr Notizbuch. Einer plötzlichen Eingebung folgend holte sie Evis Visitenkarte wieder hervor. Unschlüssig drehte sie sie in den Händen und las immer wieder die wenigen Worte. Dann nahm sie doch das Smartphone zur Hand, öffnete ihr E-Mail-Postfach und tippte - nur so zum Spaß natürlich - eine Mailadresse ein: [email protected]. Das war gar nicht schwer gewesen, warum also nicht weitermachen? Sie musste - und wollte - die Nachricht ja nicht abschicken.

      Betreff: Springderby / Rote Schleife im Sand

      Liebe Evi,

      Johanna stutzte und löschte das Geschriebene wieder. Sie hatte die Inhaberin des Lewat-Hofs zwar als Evi kennengelernt, jetzt kam es ihr aber unpassend vertraulich vor, da sie sich ja wie gesagt kaum kannten. Sollte sie deswegen diese Mail nicht auch besser gar nicht schreiben? Für ein paar Sekunden schwebten ihre Finger unschlüssig über dem Display, dann tippte sie weiter:

      Guten Tag Evelyn,

      wie du dich ggf. erinnerst, haben wir uns im letzten Jahr beim Springderby in Klein-Flottbek zufällig kennen gelernt.

      Du hattest mir im Laufe unseres Gesprächs angeboten, dich mal auf deinem Hof zu besuchen, und mir deine Karte gegeben.

      Deswegen jetzt meine Frage: Gilt das Angebot noch und wenn ja, wie lange könnte ich bleiben?

      Viele Grüße (auch an Carrie),

      Janna Herzog

      Der Name hatte sich wie von selber getippt und fühlte sich gleichzeitig erneut aufregend fremd an. Die Nachricht war viel direkter und undiplomatischer als Johanna es von sich kannte, was vielleicht daran liegen mochte, dass sie beim Schreiben kaum nachgedacht hatte. Die Worte flossen einfach so aus ihr heraus und das fühlte sich verdammt gut an. Wie es wohl wäre, wenn sie doch auf „Senden“ drücken würde? Wahrscheinlich würde sie sowieso nie eine Antwort erhalten. Und sie musste Evelyn Matthey auch nie wiedersehen… Also warum nicht? Was hatte sie schon zu verlieren? Sie holte einmal tief Luft wie vor einem Sprung vom Drei-Meter-Brett, dann tippte sie mit dem Daumen ganz sacht auf den unschuldigen blauen Button. „Nachricht gesendet“ erschien auf dem Display. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

      Johanna merkte, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, und atmete mit einem Seufzen aus. Es war ganz leicht gewesen! Und seltsamerweise fühlte sie sich auch selbst mit einem Mal viel leichter. Es war, als hätte sich eine verborgene Tür aufgetan, ein Ausweg. Natürlich würde sie niemals durch diese Tür gehen, aber allein das Gefühl, dass es sie gab, war eine ungeheure Erleichterung. Ob sich der violette Krokus auch so gefühlt hatte, als er zwischen den schweren Gehwegplatten zum ersten Mal den Himmel gesehen hatte? Konnten Krokusse überhaupt sehen? Johanna lachte bei diesem überspannten Gedanken einmal laut auf.

      „Ist dir schlecht geworden?“, hörte sie Edith auf der anderen Seite der Tür irritiert fragen.

      „Nein, alles gut!“, antwortete Johanna, die immer noch mit der Visitenkarte eines Reiterhofes in der Hand auf dem unglaublich schicken Klodeckel in diesem unglaublich schicken Badezimmer saß, und fing hysterisch an zu lachen.

      Kapitel 7

      Ausstieg links

      Nach „dem Vorfall“, wie Moritz‘ Mutter Johannas Entgleisung diskret nannte, hatte Moritz sie noch vor dem Aperitif nach Hause gefahren. Erschöpfung… schlimme Migräne… PMS… Da konnte es schon mal passieren, dass man nicht mehr ganz bei sich war. Wenigstens Linea hatte auf Grund von Johannas Schilderung der Ereignisse noch einen wirklich heiteren Abend erlebt.

      Seitdem waren zwei Wochen vergangen. In der Stadt war immer noch Frühling und Moritz war immer noch sauer. Wobei das nicht ganz stimmte: Moritz war nicht sauer, das war er nie. Trotzdem ließ er Johanna spüren, dass er ihr Verhalten absolut missbilligte. Ihr tat es auch wirklich leid, dass sie ihn vor seiner Familie bis auf die Knochen blamiert hatte (seine Formulierung!), sie sah es aber trotzdem nicht ein, sich zu entschuldigen. Schließlich hatte er sie zuerst im Stich gelassen! Entsprechend frostig war die Stimmung zwischen ihnen. Einerseits entlastete das Johannas Terminplan deutlich, anderseits litt der Harmoniemensch in ihr sehr unter der Unstimmigkeit. Vielleicht sollte sie doch einlenken… Kurzentschlossen drehte sie auf dem Bahnsteig so abrupt um, dass sie bei den übrigen Bahnreisenden eine Massenkarambolage verursachte, und fuhr mit der nächsten S-Bahn zu ihrem Freund.

      Es war gerade erst Viertel nach sieben als Johanna bei Moritz ankam, eine Uhrzeit zu der er garantiert noch schlief. Trotzdem klingelte sie so lange, bis ein zerzauster Blondschopf im Türspalt erschien. „Mo, ich muss mit dir reden!“

      „Jetzt? Weißt du, wie spät es ist?“

      „Ja und ich weiß auch, dass ich dich geweckt habe und dass ich wahrscheinlich auch zu spät zur Arbeit komme, aber es ist wichtig.“ Sie sah ihn bittend an. „Ich will, dass wieder alles normal ist zwischen uns!“

      „An mir hat es nicht gelegen“, brummelte Moritz.

      „Nein…doch…ich weiß nicht. Es tut mir leid, dass ich uns den Abend verdorben habe, aber ich kam mit so blöd vor“, versuchte Johanna zu erklären.

      „Was?“ Moritz sah sie an, als hätte sein verschlafenes Hirn ernsthafte Schwierigkeiten ihre Worte zu erfassen. „Ich geh‘ erstmal kurz aufs Klo“, fügte er hinzu, als ihm das wohl auch aufgefallen war. Johanna mochte ihn in diesem Moment nicht bitten, sich zu beeilen, weil sie ja schließlich zur Arbeit musste, und nickte nur.

      „Weiß du, ihr habt alle über mich gelacht“, begann sie erneut, als ihr einige lange Minuten später ein wacherer Moritz gegenüberstand.

      „Nein, das hast du falsch verstanden. Wir haben doch nur mit dir gelacht.“

      „Aber…“ Johanna stutzte. „Ich hab‘ doch gar nicht gelacht. Ich…“

      „Dann war das ein Missverständnis!“, unterbrach Moritz sie schnell. Sein Hundeblick wirkte ehrlich betroffen. „Vielleicht bist du ein bisschen überempfindlich, Schnuffi. Ich liebe dich doch!“ Er wollte sie küssen, aber Johanna zögerte.

      „Versprich‘ mir, dass du nicht mehr vor deiner Familie über mich lachst. Oder vor deinen Freunden!“ In ihrer Vorstellung war das eine selbstbewusste Forderung gewesen, in der Realität klang ihre Stimme aber ziemlich jämmerlich.

      „Ich