Marie Wendland

Rapsblütenherz


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Freund war und sie liebte, meinte er es ja nicht böse…

      Johanna beendete ihre sinnlosen Gedanken, die sie in ihrem siebenundzwanzigjährigen Leben bereits unzählige Male ohne nennenswertes Ergebnis gewälzt hatte, und wandte sich um. Von ihrem leicht erhöhten Standpunkt aus blickte sie über den Derbypark: Eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge schob sich auf sauberen Wegen aus hellen Holzspänen durch das kleine Dorf weißer, spitzer Zelte. Sie sah Familien, die auf Picknickdecken und Campingstühlen große Eisbecher mit Erdbeeren verputzten, und Teenies, die in Reithosen, die noch nie einen Pferderücken gesehen hatten, und karierten Kniestrümpfen scheinbar gelangweilt in ihren Pommes herumstocherten. So sollte es sein. Zufrieden mischte sie sich unter die Leute, schlenderte an den Buden vorbei und sog die verlockenden Düfte der verschiedenen Leckereien ein, die nur in einer Atmosphäre wie dieser schmeckten. Während sie versuchte, sich zwischen einem großen Stück Pizza, asiatischen Nudeln und einem Crêpe mit Nutella zu entscheiden, hörte sie plötzlich aufgeregte Rufe und wurde fast von den Füßen gerissen, als die Menge zurückwich. Eine junge Mutter manövrierte hektisch ihre Kinderkarre an Johanna vorbei weg vom Tumult, sodass diese nun sehen konnte, was vor sich ging: Am Ausgang vom Abreitplatz tänzelte ein Pferd nervös auf der Stelle. Johanna fiel gleich auf, wie schön das Tier war. Das nussbraune Fell glänzte, der muskulöse Körper war grazil, der Kopf elegant geschwungen. Die großen, dunklen Augen aber waren angstvoll auf die Menschenmenge gerichtet. Als sich Helfer näherten, wieherte es schrill, erhob sich auf die Hinterbeine und schlug mit den Vorderhufen kraftvoll in die Luft. Trotz der Kapriolen ihres Pferdes blieb die Reiterin fest im Sattel und sprach mit leiser, melodischer Stimme, bis es sich wieder beruhigt hatte. Aus den Lautsprechern auf dem Turnierplatz klang ein Aufruf, der scheinbar ihr galt, aber die Frau schüttelte den Kopf und stieg ab. „Heute nicht“, hörte Johanna sie sagen, während sie ihr Pferd vorsichtig durch die Schaulustigen davonführte. Die Gelassenheit in ihrem Verhalten löste bei Johanna spontane Bewunderung aus.

      Als es nichts mehr zu sehen gab, zerstreute sich die Menschenmenge schnell wieder und Johanna bemerkte scheinbar als Einzige, dass Pferd und Reiterin etwas verloren hatten: Zwischen den Holzspänen des Weges lag eine kleine rote Schleife. Johanna hob sie auf und schaute sich nach ihren Besitzern um, die schon auf der anderen Seite des Abreitplatzes angekommen waren. Flink bahnte sie sich einen Weg durch die Besucher, die jetzt wieder gleichmäßig wie das Wasser in einem kleinen Bach über das Gelände flossen. Obwohl sie nicht die Schlankeste war, gelang ihr das mühelos, denn sonderlich groß war Johanna auch nicht. Unter den großen Bäumen am Rande des Derbyparks standen die Pferdehänger und -transporter der Turnierteilnehmer, einige davon in der Größe eines Linienbusses. Pferde warteten auf kleinen, abgesteckten Flächen auf ihren Einsatz, Reiter und Helfer wuselten geschäftig herum. Die Reiterin von eben band das nussbraune Pferd gerade vor einem silberfarbenen LKW an, als Johanna sie einholte. Das Pferd trippelte immer wieder nervös seitwärts und sie entschied sich instinktiv dazu, sich nur langsam zu näherten. „Hallo“, grüßte sie mit möglichst ruhiger Stimme, gleichermaßen an das Pferd und die Reiterin gewandt.

      „Hallo“, erwiderte die Frau fröhlich, obwohl sie doch soeben eines der wichtigsten Turniere des Jahres verpasst hatte. Sie musste Mitte vierzig sein und musterte sie mit aufmerksamen Augen, deren dunkles Grün Johanna sofort in ihren Bann zog. Während diese überlegte, was sie eigentlich hierher geführt hatte, nahm die Frau ihre Reitkappe ab, woraufhin sich ihr schulterlanges Haar wie von selbst wieder in eine perfekt sitzende Frisur verwandelte. Ähnlich dem Fell ihres Pferdes hatte auch die Reiterin glänzend dunkelbraune Haare, die Johanna unter anderen Umständen neidisch gemacht hätten. Überhaupt hatte die Frau eine derart natürliche Eleganz an sich, die sie garantiert zum Hassobjekt sämtlicher Frauen gemacht hätte, wäre da nicht dieses offene Lächeln gepaart mit einer fast einschüchternden Selbstsicherheit gewesen.

      „Kann ich dir helfen?“, fragte die Frau freundlich und Johanna fiel peinlich berührt auf, dass sie diese die ganze Zeit schweigend anstarrte.

      „Ja, äh, nein, eigentlich nicht. Ich wollte Ihnen nur das hier zurückgeben.“ Sie reichte ihr die rote Schleife. „Sie müssen sie eben am Abreitplatz verloren haben.“

      „Oh, danke, die brauchen wir noch“, freute sich die Frau und tätschelte ihr Pferd, das jetzt ruhig neben ihnen stand und angefangen hatte, Johanna zu beschnuppern.

      „Wofür?“, fragte diese neugierig und direkter, als sie es von sich gewohnt war. Sogleich kam sie sich blöd vor. So machte man nun wirklich keinen Small Talk! Und wahrscheinlich sollte sie sowieso besser gehen und diese Frau in Ruhe lassen. Diese war ja sozusagen bei der Arbeit und Johanna hatte auch noch einiges geplant, um ihren freien Tag perfekt zu machen.

      „Die Schleife soll andere warnen“, erklärte die Reiterin aber gelassen. „Alle Pferde, die gerne mal auskeilen, tragen so eine im Schweif, damit es nicht schon auf dem Abreitplatz Verletzte gibt. Eigentlich ein sehr hübsches Symbol für so eine garstige Sache.“ Während sie sprach, hatte Johanna unbewusst begonnen, das Pferd am Hals zu tätscheln.

      „Du bist also garstig? So siehst du gar nicht aus“, murmelte sie und lächelte, als das Pferd sein Maul an ihrer Handfläche rieb. Sie hatte ganz vergessen, wie weich Pferdenüstern waren.

      „Doch, doch, sie tut nur so unschuldig“, grinste die Frau und klopfte das Pferd, das also eine Stute war, ebenfalls. „Sie heißt übrigens Excelsior’s Who Cares und der Name ist Programm.“ Who Cares… „Wen kümmert’s“ im Sinne von „Na und?!“… Eigentlich kein schlechtes Lebensmotto, überlegte Johanna. Aber natürlich nicht für sie selbst.

      „Das ist aber ein komplizierter Name“, sagte sie stattdessen, weil es ihr unverfänglicher erschien.

      „Ja, das stimmt. Aber es musste ein Name mit E her, denn ihr Vater war eben Excelsior. Und da sie wahrscheinlich schon direkt nach der Geburt so, sagen wir mal, selbstbewusst war wie jetzt, drängte sich „Who Cares“ wohl auf. Und im Ergebnis ist es dann diese Monstrosität von einem Namen geworden.“ Sie lachte. „Wir nennen sie aber einfach Carrie.“

      „Schön, dich kennen zu lernen, Carrie“, sagte Johanna zu der Stute, die genau zu wissen schien, dass die Rede von ihr war.

      „Und ich bin übrigens Evi“, fügte die Frau hinzu und hielt Johanna die Hand hin. Ihr Händedruck war fest und herzlich. Johanna fand es außerdem sympathisch, dass die andere nicht davon ausging, dass man sie kannte, auch wenn sie ja eine erfolgreiche Sportlerin zu sein schien.

      „Ich bin …“ Sie zögerte und schwankte wie so oft zwischen Johanna und Hanna, bis sie sich schließlich selbst sagen hörte: „Ich bin Janna.“ Das war überraschend spontan und klang irgendwie aufregend fremd, aber sie war durchaus nicht unzufrieden. Schließlich befand sie sich ja gerade auch in einer vollkommen ungeplanten Situation und plauderte mit einer völlig Fremden. Die Stute Carrie knabberte jetzt gemütlich an etwas Heu, Evi hatte sich ins Gras fallen lassen und Johanna kam es ganz natürlich vor, sich zu ihr zu setzen.

      „Carrie mag dich“, meinte Evi.

      „Ach, das kann ich mir gar nicht vorstellen. So gut kenne ich mich mit Pferden gar nicht aus“, wiegelte Johanna ab.

      „Damit hat das auch nichts zu tun. Manche Menschen haben einfach ein Gespür für Pferde und du scheinst dazuzugehören. Ich hab‘s auf jeden Fall noch nie erlebt, dass gerade Carrie zu jemandem so schnell Vertrauen gefasst hat. Sie ist normalerweise sehr misstrauisch. Kannst dir auf jeden Fall was drauf einbilden.“ Johanna lächelte verlegen und sie schwiegen eine Weile, was aber nicht unangenehm war.

      „Bist du nicht enttäuscht?“, fragte Johanna irgendwann.

      „Enttäuscht? Warum?“

      „Du hast bestimmt hart für dieses Turnier trainiert und dann konntest du nicht starten“, erklärte Johanna.

      „Doch, ich hätte antreten können, aber das wäre nicht gut gewesen, vor allem nicht für Carrie. Deswegen habe ich entschieden, es zu lassen. Aber enttäuscht bin ich nicht, so ist einfach das Leben“, erwiderte Evi und Johanna hatte keinerlei Zweifel, dass sie das genauso meinte.

      Die Sonne sank immer tiefer und tauchte den Derbypark in warmes Licht. Johanna