Marie Wendland

Rapsblütenherz


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die eine kleine, aber feine Unternehmensberatung gründeten: Fischer & Jahnke. Als Jahnke altersbedingt ausschied (oder weil er schlicht keine Lust mehr hatte, das war nicht genau überliefert) wurde daraus Fischer & Partner. Einer dieser Partner, ein gewisser Hans-Joachim Stegmann, tat sich als besonders geschäftstüchtig hervor, was zu Stegmann, Fischer & Partner führte (man beachte die Reihenfolge). Dann schied auch noch Fischer aus (ganz sicher, weil er keine Lust mehr hatte) und es blieb Stegmann & Partner (mit sehr klein geschriebenen Partnern).

      Nana grinste Johanna jetzt an: „Sag‘ mal, hast du da etwa ein Franzbrötchen in der Tüte?“ Sie deutete mit ihrem manikürten Finger auf Johannas Tasche. Ihre dunkelroten Gelnägel waren fast furchterregend lang.

      „Schon möglich. Aber hattest du nicht gerade schon ein…“ Johanna fischte einen letzten Krümel von der glänzenden Oberfläche und begutachtete ihn. „…Nutellabrötchen?“

      „Ja, aber ich muss heute noch drei Flüge für Napoleon buchen, da brauche ich doch Nervennahrung.“ Das war zweifellos wahr und da das Franzbrötchen bei Nana, die im Gegensatz zu Johanna essen konnte, was sie wollte, sowieso besser aufgehoben war, gab diese nach.

      „Ok, aber nur die Hälfte!“

      „Danke“, flötete Nana ihr hinterher, als sie durch eine weitere Glastür in ein helles Großraumbüro ging, das durch halbhohe Wände und exotische Kübelpflanzen, die nur ein Dienstleister gießen durfte, da sonst die Garantie erlosch, in mehrere Nischen unterteilt war. Am Ende des langen Raums trennten Glaswände ein großzügiges Einzelbüro ab, das dadurch starke Ähnlichkeit mit einem Aquarium hatte. Allerdings beobachtete man hier nicht das, was sich im Aquarium befand, sondern wurde durch die Glasscheiben beobachtet. Heute war der Glaskasten jedoch noch leer und unbeleuchtet, was Johanna aufatmen ließ. Napoleon war noch nicht auf der Bildfläche erschienen.

      Auf Grund seiner hervorstechenden Eigenschaften (klein und drahtig, selbstsüchtig und machthungrig) wurde Hajo Stegmann von seinen Mitarbeitern „Napoleon“ genannt. Natürlich nur hinter seinem Rücken, denn der Spitzname war keinesfalls als Kompliment gemeint.

      Johanna bog in die zweite Nische auf der linken Seite ab, in der sich zwei Schreibtische gegenüberstanden, und ließ ihre Tasche auf den unbesetzten fallen. „Guten Morgen, Mareck“, begrüßte sie ihren Kollegen, dessen Hände bereits konzentriert über seine Tastatur flogen. In den sieben Monaten, die sie inzwischen hier arbeitete, war es noch nie vorgekommen, dass sie vor ihm da war. Mareck Praski war Anfang sechzig und arbeitete bereits seit Anbeginn der Zeit in der Firma. Er hatte immer ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht und trug zu jeder Gelegenheit Jeans, Hemd und extravagante Gürtel und Sneaker, die bestimmt teurer waren als die meisten maßgeschneiderten Anzüge. Überhaupt hatte Johanna das Gefühl, Mareck würde nur noch zum Spaß arbeiten. Wobei sie den Spaß an der Sache noch nicht entdeckt hatte. Wenn sie es sich leisten könnte, würde sie nicht hier sein. Oder doch, sie würde trotzdem jeden Tag wieder kommen. Schließlich sollte Napoleon doch nicht auch diese Schlacht gewinnen.

      „Hallo Hanna!“ Mareck wandte sich vom Bildschirm ab und sah ihr zu, wie sie ihren Schreibtisch sorgfältig für den Arbeitstag einrichtete. „Hast du gestern noch ein Geburtstagsgeschenk für deinen Freund gefunden?“ Es war zum Ritual zwischen den beiden geworden, dass vor Arbeitsbeginn (zumindest bevor auch Johanna mit der Arbeit anfing) erstmal geklönt wurde.

      „Ne, noch nicht. Ich hab‘ noch nicht die richtige Idee“, erwiderte Johanna schulterzuckend und versuchte die Schuldgefühle beiseite zu schieben, dass sie auch eigentlich gar keine Lust hatte, darüber nachzudenken.

      „Ein bisschen Zeit hast du ja auch noch“, tröstete Mareck sie. „Und ich kann ja auch noch mal überlegen.“

      „Danke dir!“ Johanna lächelte ihren Kollegen an. Als sie im letzten Jahr frisch von der Uni in die Arbeitswelt gestolpert war, hatte er sie nicht nur in ihre Aufgaben eingearbeitet, sondern ihr auch gezeigt, wie der Hase lief - im Berufsleben im Allgemeinen und in diesem Unternehmen im Besonderen. Ohne ihn hätte sie keine drei Wochen durchgehalten.

      Nachdem die Mannschaft den Vormittag über, motiviert durch gelegentliche Späße und einen kleinen Tratsch am Wasserspender, friedlich vor sich hin gearbeitet hatte, hörte Johanna gegen 11:00 Uhr eine ungehaltene Stimme im Empfangsbereich, gefolgt von Nanas hektischen Erklärungsversuchen. Sofort verstummte jede Unterhaltung und alle Augen richteten sich starr auf ihre Bildschirme. Wenig später rauschte Napoleon grußlos durchs Büro und verschwand in seinem Aquarium. Wie jeden Tag trug er ein weißes Hemd, das immer einen Knopf zu weit aufgeknöpft war, und einen Anzug, dessen Hose trotz oder gerade wegen seiner durchtrainierten Figur zu eng saß. Johanna hatte nicht hören können, worüber Hajo sich dieses Mal geärgert hatte, aber eigentlich war es auch egal. Irgendeinen Grund gab es immer.

      „Neuer Auftrag! Ich hab‘ gewusst, dass der Alte anbeißt!“ Hajo hatte die Zähne zu einem triumphierenden Grinsen gebleckt, als er wenig später wieder vor seine Mitarbeiter trat. „Schnell wachsendes, mittelständisches Unternehmen, viele neue Leute, viele neue Projekte und jetzt knirscht es an allen Ecken.“

      „Mareck!“, warf Paul ein. Er machte nie viele Worte, aber eigentlich war damit auch alles gesagt.

      „Genau“, stimmte Johanna ihm mutig zu, „Mareck ist absolut der Richtige, wenn es um Kulturwandel geht. Außerdem hat er die meiste Erfahrung.“

      „Ach, Kulturwandel wird überbewertet. Ein paar neue Meetingregeln hier, einige Kennzahlen da und zum Schluss ein teures Firmenevent und die Sache ist erledigt“, sagte Hajo mit einer wegwerfenden Geste. Ja, für Stegmann & Partner war die Sache damit erledigt, überlegte Johanna, wie es für den Kunden aussah, war eine andere Frage. Aber das sollte hier ja niemanden mehr interessieren, sobald die Rechnung beglichen war. „Außerdem fühlt unser Mareck sich im Büro am wohlsten“, wischte Hajo den Vorschlag nun endgültig vom Tisch. „Ihr werdet das irgendwann auch noch merken, dass man in einem gewissen Alter nicht mehr in der ersten Reihe stehen muss.“ Mareck lächelte nur weiter sein unergründliches Lächeln und sagte gar nichts. Dabei war natürlich auch ihm die Scheinheiligkeit, die aus Hajos Worten triefte, nur allzu bewusst. So sehr Johanna ihn auch für seine Gelassenheit bewunderte, konnte sie manchmal nicht verstehen, warum er sich nie zur Wehr setzte. Er hätte schon vor Jahren das Zeug zum Partner gehabt und war Hajo fachlich haushoch überlegen. „Dirk fährt mit zum Kunden“, verkündete Napoleon jetzt und unterbrach damit ihre Überlegungen.

      Dem fraglichen Kollegen war die Entscheidung sichtbar unangenehm, aber er nickte nur und bedankte sich sogar. Dirk war kein schlechter Kerl, aber Johanna hatte schnell gelernt, dass seine Loyalität zu Hajo am größten war. Irgendwie konnte sie ihm das noch nicht mal vorwerfen, denn mit drei kleinen Kindern und einem hohen Kredit hing für ihn natürlich viel von diesem Job ab.

      „Warum hast du dich eigentlich nie selbstständig gemacht?“, fragte Johanna Mareck leise, als alle zurück an die Arbeit gegangen waren. Er hatte die Lippen so fest aufeinander gepresst, dass sie weiß wurden, was ihr zeigte, dass er sich insgeheim sehr wohl ärgerte.

      Trotzdem lächelte er sie jetzt an und antwortete ruhig: „Wozu denn? Ich verdiene doch hier gutes Geld.“

      „Aber er schikaniert dich. Er ignoriert deine Ideen. Das kann dich doch nicht glücklich machen.“

      „Ach Hanna, es ist doch nur ein Job!“ Damit wandte Mareck sich wieder seinen Auswertungen zu, während Johanna ihm wortlos die wertvolle zweite Hälfte ihres Franzbrötchens hinüberschob.

      Um Punkt 13:00 Uhr erschien Nana hinter der Glastür und gab ein unauffälliges Zeichen. Nach und nach erhoben sich daraufhin Paul, Dirk, Mareck, Johanna und Merit, die für die Buchhaltung zuständig war, und verließen das Büro. Mit Brotdosen oder einer Currywurst vom Imbisswagen beladen trafen sie sich wenig später auf ein paar Bänken auf einer nahegelegenen Grünfläche zur Mittagspause wieder. Auch das war zum Ritual geworden. Heute war es schon sommerlich warm, aber ein frischer Wind ließ Johanna kurz erschaudern. Trotzdem blinzelte sie genießerisch in die Sonne, die zwischen zwei Bürotürmen hervorlugte.

      „Oh Mann, es tut mir echt leid“, wandte sich Dirk an Mareck. „Aber was soll