Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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Spielen der traditionellen Musik lernte Laila den schüchternen Nabil kennen und verliebte sich in ihn. Obwohl Nabil, der Noble, als Sohn von Ajwad und Samima direkt gegenüber wohnte, fiel ihr der zurückhaltende, hochgewachsene junge Mann doch erst im Orchester auf. Laila suchte immer häufiger das Gespräch mit Nabil, der sich gern mit Laila nach dem Musizieren noch etwas unterhielt.

      Obwohl Nabil ein Jahr älter als Laila war und in eine höhere Klasse ging, hatte es sich Nabil nach einiger Zeit angewöhnt, auf Laila zu warten, um mit ihr den vierzig Minuten langen Fußweg von der dunklen und feuchten Schule bis nachhause zu gehen. Beide hätten sich zu gern an den Händen gefasst, aber sie hielten sittsam Abstand und trennten sich, bevor die Elternhäuser in Sicht kamen. Denn Mohamed und Ajwad hätten aus unterschiedlichen Gründen eine Beziehung zwischen ihren beiden Kindern mit aller Macht verhindert.

      Ajwad war der Ansicht, sein gutaussehender Sohn müsste beruflich und auch familiär nach etwas Besserem streben. Dazu gehörte aus seiner Sicht eine Schulausbildung bis zur Hochschulreife und danach ein Studium an einer der beiden Universitäten von Marrakesch. Und dort sollte sein Sohn dann eine gleichgesinnte, strebsame Frau aus guter Familie kennenlernen, welche die Karriere ihres Mannes be­dingungslos fördern würde. Denn Ajwad hatte bei sich selbst erfahren dürfen, wie sehr sich Fleiß und Einsatz lohnten. Seinen Kindern sollte es in der Zukunft unbedingt noch besser gehen, als ihm. Ein Schwiegervater wie Mohamed stände diesem Ziel nur im Wege.

      Mohamed hatte ganz andere Pläne mit Laila. Mit bald sechzehn Jahren kam sie in ein heiratsfähiges Alter, brauchte also keine weitere Schulbildung mehr, sondern gehörte in den Schoß einer konservativen Familie, die sie um viele Kinder bereichern sollte. Nabil hätte er als Schwiegersohn niemals akzeptiert. Denn der war die Brut des arroganten Aufsteigers Ajwad, einem Berber Schakal.

      Weil Laila und Nabil die Einstellung ihrer Väter kannten, hielten sie ihre Liebe vor anderen geheim, trafen sich nach der Schule zum Spaziergang in einem Park und trauten sich dort, von anderen unerkannt auf einer Bank an den Händen zu fassen. Für beide war es ein großes Glück, dass sie sich gegenseitig ihre Gedanken, Sorgen und Hoffnungen erzählen und auch ihr Leid klagen konnten. Jeder hörte dem anderen zu und hatte Verständnis für die Träume des anderen.

      Laila hätte zu gern weiter gelernt, war zielstrebig, ohne ihren Vater auch kontaktfreudig und wollte sich nach oben arbeiten. Nabil hingegen wäre froh, wenn sein Vater nicht so viel Erwartungen in ihn setzen würde und fest davon ausging, dass er studieren müsste. Am besten Ingenieur­wissenschaften, um dann in der Zukunft Chef aller Straßenreiniger von Marrakesch zu werden. Nabils Mutter belächelte hingegen den Traum ihres Mannes, wenn der ihr immer wieder von seinen Plänen mit Nabil erzählte.

      Nabil liebte Pflanzen, Gärten, Parks und konnte sich immer wieder vorstellen, als Gärtner mit Blumen, Büschen und Bäumen zu arbeiten, denn in Marrakesch gab es durch das reichliche Wasser aus dem Atlasgebirge eine einzigartige und bunte Pflanzenwelt.

      So wie Laila heimlich an den Luxushotels vorbei schlich und von einer Arbeit in einem dieser Hotels träumte, war Nabils Ziel einmal die Woche der Jardin Majorelle im Herzen der roten Stadt. Dieser ummauerte botanische Garten wurde bereits 1923, während der Zeit der französischen Besatzung, im Zentrum von dem französischen Maler Jaque Majorelle angelegt.

      Wege, Mauern, kleine Plätze, Bänke und Pavillons sind bis heute in einem speziellen Kobaltblau, dem „Majorelle Blau“ mit grüner Umfassung gehalten. Zwischen Wasserläufen, kleinen Brücken und einem Teich wachsen Pflanzen aus allen 5 Kontinenten. Neben Bambusarten, vielfarbigen Bougainville und Laubbäumen, dominieren verschieden­artige, teils sehr hohe Kakteen. 1980 wurde der öffentlich zugängliche, aber zwischenzeitlich verwilderte Garten von Yves Saint Laurent und seinem Lebensgefährten Pierre Bergé gekauft, liebevoll restauriert und in eine Stiftung überführt. Eine Majorrelle blaue Villa im Art Deco Stil, die dem Modeschöpfer viele Jahre als Rückzugsort für die Entwicklung seiner kreativen Ideen diente, steht inmitten des Parks an einem kleinen Teich.

      Die Wachleute kannten Nabil und sein staunendes Interesse an dem kleinen Paradiesgarten mittlerweile gut und ließen den jungen Mann regelmäßig durch eine Seitentür ohne Eintritt zu zahlen in den Park. Und Nabil dankte es den Gärtnern, indem er gern, ohne ein Entgelt, bei der Pflege der Pflanzen, der Wege und der Wasserläufe mithalf.

      Auch wenn die Ziele der beiden jungen Leute sehr unterschiedlich waren, kamen sie sich in ihren Gesprächen doch immer näher, verstanden und respektierten sich und spürten, dass sie zusammengehörten. Ihre Liebe wuchs, und ihre Sehnsucht nach einer gemeinsamen Zukunft wurde umso stärker, je mehr sie ihre Beziehung verheimlichen mussten.

      2

      Lailas und Nabils stilles Glück hielt nicht lange. Eines Abends erzählte Badr, Lailas kleiner Bruder, unbeabsichtigt, dass er Laila und Nabil nach der Schule gemeinsam nach Hause hatte gehen sehen. Beide hätten sich unterhalten, sich angesehen und gelacht. Mohameds Augen verengten sich zu schmalen, stechenden Schlitzen, die Stirn knitterte in tiefe Falten, seine Nasenflügel bebten und beide Mundwinkel fielen so nach unten, dass die gelben Zahnstummel wie Stücke von Runkelrüben aus seinem gefletschten Mund ragten. Er wirkte jetzt wie ein Raubtier.

      Im nächsten Moment explodierte Mohamed und brüllte zischend durch die Küche, als hätte man Karbid in einen Eimer Jauche geworfen. Die gestrickte weiße Gebetsmütze war weit nach hinten gerutscht. Alle duckten sich ängstlich und fürchteten einen Gewaltausbruch des hasserfüllten Vaters. Obwohl Laila immer wieder zitternd versicherte, es wäre nur ein Zufall gewesen, dass Nabil mit ihr nach Hause gegangen war, denn sie hatten ja einen gemeinsamen Schulweg, half nichts gegen den Wutanfall des Vaters.

      Entscheidend für Mohamed war Lailas Lachen. Sie hatte mit Nabil gelacht. Eine Todsünde, die noch verschlimmert wurde, weil Laila ihren schwarzen Niqab nicht aufgehabt hatte und jedermann, vor allem der lüsterne Bock von nebenan, ihr Gesicht sehen konnte.

      An diesem Abend fällte Mohamed die Entscheidung, Laila von der Schule zu nehmen und sie schnellstens zu verheiraten. Aber vorher würde er noch mit seinem Erzfeind Ajwad reden und ihm befehlen, dass dessen zuchtlose Lendenfrucht jeden Kontakt zu seiner Tochter unterlassen musste.

      Ajwad hörte sich zuerst schweigend Mohameds gebrüllte Vorwürfe an, bevor er seinerseits seinen Nachbarn anschrie, er würde sich verbitten, dass dessen sittenlose Tochter seinen anständigen Sohn verführen würde.

      Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, drohte Mohamed daraufhin, dass Ajwad mit seiner Berbersippe in der Zukunft ohne sein kostbares Wasser auskommen müsse. Ajwad konterte mit einem überlegenen Grinsen, dass er mittlerweile genügend gespart hätte, um sich einen eigenen Wasseranschluss zu leisten. Und außerdem würde er Mohamed empfehlen, sich genügend Petroleum und Kerzen anzuschaffen, denn die Stromleitung würde er morgen noch kappen.

      Mohamed spie seinem, ehemals gut gelittenen Nachbarn, die Drohung ins Gesicht, dass es dann immer mal vorkommen könne, dass seine randvolle Tonne aus dem Wellblechanbau, zufälligerweise vor Ajwads Tür umkippte. Worauf Ajwad seinem Hinterlieger entgegnete, er hätte als Müllwagenfahrer so viele gute Beziehungen zum Rathaus, dass er den hohen Herren schon klarmachen würde, in was für einem Schwarzbau ohne Genehmigung Mohameds Sippe primitiv hauste. Und dann säße Mohameds Familie ganz schnell auf der Straße.

      Das Gebrüll der beiden Streithähne hallte über das Grundstück und wurde erst unterbrochen, als beide Frauen erschienen, ihre hochgradig erregten Männer trennten und jeweils in die eigene Wohnung zerrten.

      Letztlich waren alles nur leere Drohungen, die niemals wahrgemacht wurden. Aber nach dieser Auseinander­setzung sprachen Mohamed und Ajwad kein Wort mehr miteinander. Ajwad ließ sich tatsächlich schnellstens einen eigenen Wasseranschluss legen, rührte aber auf Bitten von Samima die Elektroleitung nicht an und erwähnte auch nichts von dem Schwarzbau im Rathaus.

      Für Mohamed war das allerdings ein weiterer Grund, Ajwad zu verfluchen. Denn damit war die ehemalige Pattsituation aufgehoben, und er war allein von Ajwad abhängig, ihm den Strom zu überlassen, den er ab jetzt auch noch bezahlen musste, denn bislang wurde der Strom stillschweigend mit der Wasserentnahme verrechnet.

      Zwar schleppten Jamal und Badr die Tonne aus dem Anbau