Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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fand auch keine Arbeit für seine verzweifelte Tochter und wurde immer ungeduldiger und gereizter zu Hause. Fatima musste sich immer öfter den Vorwurf anhören, dass sie ihm zwei Mädchen geboren hatte.

      3

      Es war ein Zufall, dass Mohamed in seinem Stammcafé von einem anderen Müßiggänger erfahren hatte, dass es achtzig Kilometer weiter westlich von Marrakesch in der Nähe der Kleinstadt Chichaouna an der Fernstraße nach Essaouira, eine Kooperative gab, in der auch ungelernte Frauen eine Arbeit finden konnten.

      In der Kooperative Khemisa wurden hunderte von alten Argan Bäumen gepflegt, bewässert und von den Frauen der Kooperative abgeerntet. Die viele tausend Beerenfrüchte mussten aufwändig von Hand geöffnet und entkernt werden. Die Nusskerne wurden sodann mit Steinwerkzeug gespalten und die ausgelösten Samenplättchen geröstet. Im nächsten Arbeitsschritt kneteten und pressten die Frauen die gerösteten Samenplättchen mit einer Steinmühle kalt, um aus dem Teig das wertvolle Arganöl zu gewinnen.

      Fast drei Tage braucht eine Arbeiterin, um ohne Maschinen zeitraubend und anstrengend einen Liter reines Arganöl zu gewinnen. Die Kooperative wurde neben vielen anderen in Südmarokko 1996 von der marokkanischen Chemie­professorin Zoubida Charrouf gegründet. Die Professorin, selbst Halbberberin, hatte an der Universität von Rabat festgestellt, dass Arganöl Saponine, Spinasterol und Schottenol enthält, ebenso einen hohen Anteil von ungesättigten Fettsäuren und Antioxidativen. Damit hilft das wertvolle Öl gegen Krebs, Entzündungen, Durch­blutungsbeschwerden, senkt den Cholesterinspiegel und findet auch in der Kosmetikindustrie immer mehr Anwendung, da es Narben- und Faltenbildung vorbeugt.

      All das interessierte Mohamed allerdings herzlich wenig. Für ihn war nur wichtig, dass Laila hier eine Möglichkeit hatte, für wenig Geld und unter dem Mindestlohn, aber bei freier Kost und Logis und sogar mit einer Krankenversicherung ohne eine Ausbildung zu arbeiten.

      Am nächsten Tag meldete sich Mohamed bei der Arbeit für einige Tage krank, was nicht weiter auffiel, und fuhr mit Laila im Bus bis nach Chichaouna. Weinend hatte Laila von ihrer Mutter und ihren Geschwistern Abschied genommen. Während die Brüder hämisch grinsten, klammerte sich die kleine Nouria vergeblich an ihre große Schwester und die Mutter stieß ein verzweifeltes Wehklagen aus. Es half alles nichts. Mohameds Entschluss stand fest. Laila musste weit weg von Nabil, arbeiten und Geld verdienen.

      Fatima hatte ihrer Tochter noch ins Ohr flüstern können, dass sie Samima heimlich unterrichten würde, damit die ihren Sohn Nabil über Lailas neue Unterkunft informieren könne. Auf dem Weg zur Busstation nahm Laila traurig und hoffnungslos die ersten Sonnenstrahlen wahr. Das Rot der ihr so vertrauten Häuser am Rande ihrer Heimatstadt schimmerte früh morgens noch blass.

      Ihren Pass hatte Mohamed seiner Tochter vorsorglich ab­genommen, als sie mit sehr wenig Gepäck in dem stickig heißen Bus anderthalb Stunden durch die trockene Souss Ebene in die Kleinstadt fuhren. Die letzten fünf Kilometer mussten Vater und Tochter die staubige Landstraße in flirrender Hitze entlanglaufen, bis Reihen von Argan­bäumen die Kooperative ankündigten. Bis auf die An­pflanzungen der teilweise schon sehr alten Bäume, war die Gegend so steinig und karg, dass auch das Leben der Vögel verkümmerte.

      Ausgezehrt, traurig, hilflos und durstig betrat Laila widerwillig den bekiesten Hof. Alles wirkte hier einfach, aber sauber. An der linken Seite wartete ein Parkplatz auf die ersten Besucherbusse. Vor Kopf trennte eine zwei Meter hohe Mauer den Vorplatz vom eigentlichen Hof der Kooperative.

      Mohamed schritt als erster forsch durch das hölzerne Tor und betrat den Hof, in dessen Mitte ein kleiner Brunnen plätschernd Wasser spendete. Laila folgte sehr zögerlich. Sie hatte Angst vor der unbekannten Welt. Zwei alte, knorrige Olivenbäume standen vor einer langen, überdachten Ter­rasse, die zwanzig Frauen unterschiedlichen Alters Schatten bot. Die Arbeiterinnen saßen auf Kissen, neben sich Körbe, voll mit Argan Früchten. Einige öffneten die Beeren und holten die nussartigen Samen aus der Frucht, andere spalteten die Nüsse und einige pressten mit schweren Stein­mühlen das begehrte Öl aus dem gekneteten Teig der Samen.

      Mohamed schaute sehr skeptisch. Kein Mann zu sehen, der aufpasste, dass fleißig gearbeitet und nicht geschwätzt wurde. Aber wenigstens trugen alle Frauen Kopftücher. Er ging auf die älteste Arbeiterin zu und verlangte selbstbe­wusst, den Chef zu sprechen. Zuerst schaute die Alte gar nicht hoch. Als Mohamed seine Frage ungeduldig und lauter wiederholte, blickte ihn die runzlige Arbeiterin etwas spöttisch an.

      „Den gibt´s hier nicht“, war alles, was der unsympathische Besucher zu hören bekam. Einige Fragen später war Mohamed zwar schlauer, aber auch frustrierter. Es gab hier tatsächlich keinen Chef. Aber es gab eine Chefin. Lailas Vater war verblüfft und verunsichert. In was für einer Kooperative war er hier nur gelandet? Aber nach einer so langen Fahrt wollte er sein Vorhaben mit Laila jetzt unbedingt zu Ende bringen. Er musste wohl oder übel akzeptieren, mit einer Frau zu verhandeln. Etwas kleinlaut verlangte er, dann eben die Chefin zu sprechen.

      Nach einer Viertelstunde Wartezeit erschien Latifa, die Leiterin der kleinen Dorf–Kooperative. Jetzt war Mohamed entsetzt. Latifa war erst Ende zwanzig. Und trug kein Kopftuch. Aus seiner Sicht noch viel zu jung, um ein solches Unternehmen zu leiten. Mohamed empfand es als weiteren Affront, dass die junge Frau ihm gegenüber auch noch erstaunlich selbstbewusst auftrat. Am liebsten wäre er mit seiner Tochter wieder nach Marrakesch zurückgefahren.

      Latifa hatte die Situation mit wenigen Blicken erfasst und bot Vater und Tochter in ihrem Büro ein Sitzkissen aus rotem Leder an. Unaufgefordert erschien wie von Geister­hand eine ältere Frau mit heißem, süßem Pfefferminztee, den sie in kleine Teegläser mit silberner Ummantelung goss. Nach dem ersten, unverbindlichen Geplänkel konnte sich Latifa noch ein besseres Bild machen. Laila war nicht freiwillig hier, konnte aber in ihrem Alter nichts gegen den Willen ihres despotischen Vaters unternehmen, der seine Tochter in Khemisa zum Arbeiten zwingen wollte.

      Latifa spürte, dass Laila sich in der Gegenwart des auto­ritären Vaters unwohl fühlte und Angst hatte. Aber viel­leicht konnte gerade eine Zeit in der Frauen Kooperative dem Kind helfen, Abstand zu gewinnen, reifer und selbst­sicherer zu werden und sich mit zunehmendem Alter gegen den tyrannischen Vater zu behaupten. So wie auch ihr die vergangenen Jahre in der Kooperative geholfen hatten, erwachsen und selbstbewusst zu werden.

      Latifa beschloss, Vater und Tochter erstmal die Koopera­tive zu zeigen, bevor eine Entscheidung getroffen wurde. Alles in den Häusern und im Außenbereich war einfach, aber sauber. Der Schlafsaal für die Frauen, die in eigenen Betten, welche durch Vorhänge abgeteilt werden konnten und mit eigenen Schränken versehen war, wirkte auf Laila befreiend und anheimelnd. Der Speiseraum, die Küche, und die Toiletten-alle Böden waren gefliest und die Wände weiß gekalkt.

      Laila registrierte dankbar, dass es sogar Waschbecken und zwei Duschen gab. Aus den Leitungen floss sauberes, klares Wasser und die Fenster ließen Licht und Luft in die Räume. Laila und auch Mohamed waren nur am Staunen. Hier war alles besser, als in dem umgebauten Ziegenstall in Marra­kesch, wie sich Mohamed mit aufkommender Missgunst eingestehen musste.

      Während der Besichtigung erklärte Latifa die Arbeit in Khemisa, welches wiederum zu einer von sechs Haupt­kooperativen gehörte, die zusammen den landwirtschaft­lichen Verband „Targanine“ bildeten.

      Vor Mohamed erwähnte Latifa nichts von den Fort­bildungen für Frauen, die neben der Arbeit hier angeboten wurden. Auch erfuhr der Despot nichts von den Schu­lungen über das Rechtssystem in Marokko, welche Frauen über ihre Rechte aufklärten, mit dem Ziel, dass sie eine Gleichstellung in der Ehe und zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft einfordern konnten. Auch die Alpha­betisierungs-, Schneider-, Näh-, und Kunsthandwerker­kurse erwähnte Latifa ebenso wenig wie den Fonds, den „Targanine“ eingerichtet hatte, um Frauen mit zins­losen Darlehen in einer Notsituation zu helfen.

      Vor Allem, um sich vor gewalttätigen Ehemännern und Vätern behaupten zu können.

      Vielmehr war die junge Leiterin zu Mohamed liebens­würdig, ohne unterwürfig zu wirken. Sie umschmeichelte ihn als verantwortungsbewussten Vater, der diesen langen Weg auf sich genommen hatte, um seiner Tochter eine der wenigen Arbeitsstellen zu vermitteln. Sie erwähnte das ausreichende