Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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Korporierte in „Vollwichs“ mit Lederstiefeln, engen, weißen Hosen und einer „Pekesche“, einer Kneip­jacke im historischen Husarenstiel mit Kordeln herum. Andere trugen nur die schwarze Kneipjacke mit den goldenen Knöpfen und den Stickereien, und einige wenige hatten sich mit einem schwarzen Anzug begnügt. Aber alle hatten ihre Verbindungsbänder in den Farben der Rheu­manen an, ihre „Zipfel“, die kurzen Bänder, welche am Hosenbund hingen und die bunten Mützen auf dem Kopf. Anton und Lutscher wirkten so deplatziert, als wären sie gerade vom Mars gelandet.

      Beide wurden höflich gebeten, sich mit einem Füllfeder­halter in ein großes, aufgeschlagenes Gästebuch einzu­tragen. „Hoffentlich ist das nicht schon eine Eintritts­erklärung“, argwöhnte Anton und Lutscher murmelte: „Ich fühle mich hier wie in Walhalla“, während er seinen Namen sehr unleserlich in das dicke Buch schrieb.

      Hinter allen anderen Namen war ein „Zirkel“ gezeichnet, der erste Buchstabe der Burschenschaft mit Verschling­ungen drum herum. Bei den Rheumanen also ein großes R mit kunstvollen Ziselierungen links und rechts. So wie es auch im grün/blauen Wappen der Fechtbrüder dargestellt war. Eigentlich wollten Anton und Lutscher ja nur schnell was essen und trinken und dann unbemerkt schleunigst wieder verschwinden. Aber ganz so einfach würde es wohl heute Abend nicht werden.

      Endlich entdeckten Anton und Lutscher das Pflaster des Kommilitonen und die weißen Pickel von Berti. Ansonsten kannten sie niemand hier. Beide standen einige Zeit verun­sichert mit dem frisch gezapften Pils in der Hand neben dem Ständer des Gästebuchs, bis Olaf und Berti ihre Gäste freudig begrüßten. Lutscher ließ sich aus Höflichkeit hinreißen, Olaf ein halbherziges Kompliment zu seiner ersten Mensur mit geglücktem Schmiss zu machen. Und Anton wünschte dem Gezeichneten eine möglichst große, breite und dauerhaft rot Narbe, was Olaf mit einem versuchten Lächeln quittierte.

      „Es soll ja auch Frauen geben, die auf solche männlichen Verzierungen stehen“, versuchte Anton das Gespräch positiv im Fluss zu halten. Olaf und Berti nickten eifrig. Genau das hatten sie sich erwünscht. Anton wurde jetzt unruhig. Er konnte das Knurren seines Magens kaum noch verbergen. Denn wegen dem versprochenen Abendessen hatte er heute Mittag sogar auf den Mohnstriezel verzichtet, um sich heute bis zur Magenerweiterung voll zu essen.

      Das erste Pils spürte Anton daher schon. Aber ohne weitere Nachfrage hatte ihm einer der servilen „Füchse“ bereits ein zweites, frisch gezapftes Helles in die andere Hand gedrückt, bloß weil das erste Glas nur noch halb voll war. „Bei uns wird kein Bier schal“, zwinkerte ihm die aufmerksame Bedienung zu und schwenkte das Tablett Richtung Olaf und Berti, die bereits mit zwei Bier in Vorlage waren.

      Alle anderen in der Halle waren anscheinend die endlosen Bierlieferungen gewöhnt und betrachteten die laufend nach­gereichten Bierchen als willkommene Grundlage für eine gelungene „Kneipe“.

      Endlich war es soweit. Der Erstchargierte bat zu Tisch. Der Hausmeister, dem Anlass entsprechend in schwarzer Hose, weißem Jackett und schwarzer Fliege gekleidet, öffnete die Doppeltür in den Speisesaal. Ein riesiger Raum mit holz­verkleideten, dunklen Wänden und einem neu­gotischen, sehr hohem Deckengewölbe empfing die hung­rigen Gäste. Dreißig Gedecke standen auf massiven Eichen­tischen, die in U-Form aufgestellt waren. Vor Kopf würde das Präsidium sitzen. Die schweren, geschnitzten Stühle stammten noch aus der Gründerzeit vor dem ersten Weltkrieg und hatten Generationen von süffigen „Kneipen“ überstanden. Neben den Tellern standen so große Bierhumpen, dass sich die Maßkrüge auf dem Oktoberfest wie Schnapsgläser ausmachten.

      Anton und Lutscher blickten sich hilflos an. Sie würden sich ihr Essen hart ertrinken müssen.

      Und ausgerechnet morgen wollten Antons Eltern, Klaus und Andrea Thaler, nach Marburg kommen, um Frida das erste Mal zu treffen. Anton musste also zumindest etwas fit sein, um bei Frida und seinen Eltern einen halbwegs annehmbaren Eindruck zu hinterlassen.

      Der Vorsitzende hielt eine Eröffnungsrede, gespickt mit vielen lateinischen Wendungen und begrüßte die beiden Gäste, die als Kommilitonen von Olaf und Berti herzlich willkommen waren. Er äußerte unverblümt die Hoffnung, dass ihnen das lustige Verbindungsleben so gut gefallen würde, dass sie sich als dienende „Füchse“ in ihre Gemeinschaft einbringen wollten. Donnernder Applaus und heftiges Klopfen auf die Eichentische.

      „Ein jeder bringt sich bei uns ein, hilft und dient der Gemeinschaft, wo er nur kann. Und feiert gern und kräftig. Dafür kann man dann auch sicherlich das Studentenleben drei Semester länger genießen,“ motivierte der Erst­chargierte die ausgehungerten Gäste, deren Magen zu­nehmend wie ein Hofhund knurrte.

      Nach einem weiteren Bier registrierte Anton nur noch leicht verschwommen, dass der Hausmeister endlich die Vor­speise servierte.

      Lauwarme Biersuppe mit ein paar verlorenen Zwiebel­ringen. Auf dem linken und rechten Arm seines noch weißen Jacketts balancierte der vielbeschäftigte Mann jeweils gekonnt drei schwappende Suppentassen, um die illustre Gesellschaft in einer noch tolerierbaren Zeit zu bedienen. Als Lutscher mitbekam, dass immer wieder Schweißtropfen des überlasteten Hausmeisters von der Stirn in die vorderen Tassen tropften, war der Hunger bereits vor dem ersten Gang wie weggeblasen.

      Bis alle aufgegessen hatten und der nächste Gang kam, hatte einer der verpflichteten „Füchse“ bereits aufmerksam jedem der Gäste einen frischen Humpen Pils vor die Nase gestellt. Das freundliche Zuprosten des Präsidiums beant­worteten Anton und Lutscher nur noch widerwillig.

      Der angewelkte Salat als nächster Gang konnte die Wirkung des Humpens nicht im Geringsten mildern. Berti nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass seine Gäste bereits schon am frühen Abend erhebliche Ausfälle zeigten. „Ihr seid doch nicht dehydriert?“ sorgte sich der Burschenschaftler um seine beiden Kommilitonen. „Eer`s Gegnteill“, nuschelte Anton unsicher.

      „Alles nur Trainingssache. Nach zwei Semestern als „Fuchs“ gibt sich das von alleine“, erklärte Berti, als er für sich und Olaf die nächste Lage herbeiwinkte.

      Anton hatte sich mittlerweile als Selbstschutz einen Bier­deckel über sein riesiges Glas gelegt, als endlich der Haupt­gang kam. Klöße und Schweinelende in einer Schwarzbier­soße, zu der man Prost sagen konnte. Das etwas zähe, bier­getränkte Fleisch ließ Anton lieber liegen und konzentrierte sich auf die Kartoffelklöße. Er hatte nur leider bereits so viel Bier im Magen, dass er nach einem Kloß schlapp machte.

      Lutscher erhob sich nach dem zweiten Kloß und schlurfte schwankend zur Toilette. Der Vorsitzende schaute ihm ver­ständnisvoll hinterher, während der Rest der Gemeinschaft mit gutem Appetit zulangte.

      „Kann ich Dein Fleisch noch haben?“, fragte Berti Anton, der matt und hilflos nickte. Berti durfte bereits Olafs Fleischportion übernehmen, da Olaf nach der Biersuppe mensurbedingt streikte.

      Die Nachspeise wurde von der fröhlichen Zechgemein­schaft bejubelt und die Frau des Hausmeisters wurde mit Beifall bedacht. Es gab ein „Bieramisu“. Ein Tiramisu, welches mit Schwarzbier und schwarzem Kaffee angemacht wurde. Es gab bei den Rheumanen nichts, was nicht in irgendeiner Form mit Bier veredelt wurde.

      Die Wirkung war bei Anton verheerend. Während er durch das dunkle Bier in einen zunehmenden Dreh­schwindel fiel und sich einfach nur noch nach Hause wünschte, putschte ihn gleichzeitig der Kaffee extrem auf. An Schlaf war diese Nacht vermutlich nicht mehr zu denken.

      Eigentlich wollten sich Anton und Lutscher nach dem Nachtisch schnellstens verabschieden und Richtung Markt­platz torkeln. Aber der gestrenge Vorsitzende ließ noch keinen vorzeitigen Abschied zu, denn die Gäste müssten ja erst noch die eigentliche „Kneipe“ erleben. Deswegen wären sie ja sicherlich gekommen.

      Anton und Lutscher fielen fast vom Stuhl, als der Vor­sitzende um „Silentium“ bat, nochmals die beiden voll­trunkenen Gäste begrüßte und die „Füchse“ aufforderte, die Kommersbücher zu verteilen.

      Jetzt wurde es richtig heiter, denn die Gemeinschaft wollte singen. Der Vorsitzende gab die Liednummern vor, und alle, außer Lutscher und Anton, schlugen begeistert ihre Gesangbücher auf. Nach der feierlichen Ansage „Autem cantabo“ begannen achtundzwanzig Männerkehlen kraft­voll zu singen. In der folgenden Pause entdeckte