Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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verkaterten Jurastudenten aufge­fallen, dass Fridas Finger aufdringlich nach Terpentin rochen und schwarze Farbreste an Daumen und Zeigefinger klebten. Die Farbe stammte von einer selbstlosen Aktion der jungen Aktivistin. Frida hatte heute Nacht über das „o“ der Mohrenapotheke zwei Punkte getupft. Der Apotheker der nun umbenannten „Möhren Apotheke“ würde sich wundern.

      Trotz Antons Bitte sah es Klaus überhaupt nicht ein, seinem ältesten Abkömmling zuliebe mit den Fahrrädern im Zug nach Marburg zu fahren. Viel zu umständlich, zumal er von der Fahrradtour zum Edersee am letzten Wochenende noch den Fahrradgepäckträger auf der Anhängerkupplung sitzen hatte. Außerdem war der Familienvater viel zu ungeschickt, den Träger ohne Hilfe seines Schwiegervaters Herbert auf- und abzubauen. Also blieb das Gerät vorerst auf der Anhängerkupplung sitzen.

      „Wir brauchen den Studenten ja nicht alles auf die Nase zu binden. Ich schlage vor, wir fahren mit dem Auto zum Marburger Bahnhof, parken da und fahren vom Parkplatz mit den Rädern in die Stadt. Von mir aus sollen die glauben, wir wären mit dem Zug gefahren“, bestimmte Klaus und hievte mit Andrea die beiden schweren E Bikes auf den Träger. Dass man den gewichtigen Akku abmachen und sich das Heben damit erleichtern könnte, wäre dem unpraktischen Steuerberater niemals in den Sinn ge­kommen.

      „Und Du hältst schön dicht und erzählst Anton und auch Emil nichts“, ermahnte Klaus seine jetzt dreizehnjährige Tochter Emma, die in die Blüte ihrer Pubertät hineinwuchs und häufig genau das Gegenteil machte, was Klaus und Andrea erwarteten. „Ist mir doch vollkommen wumpe, wie Ihr nach Marburg kommt, „Schimmelchen“, Hauptsache Ihr fahrt mich vorher noch auf den Pferdehof“.

      Klaus nickte ergeben. Das war zwar ein Umweg, aber Emma wollte den ganzen Tag auf dem Pferdehof mit ihren Freundinnen und ihrem Pony „Schmidtchen“ verbringen, was für die Eltern ein Glücksfall war, denn so war das Kind beschäftigt. Das Wort „Papi“ hatte Emma mittlerweile aus ihrem Sprachschatz entfernt. Seitdem bei ihrem fünfzig­jährigen Vater die Haare immer grauer wurden, strich die pferdebegeisterte Amazone ihrem Vater regelmäßig liebe­voll über die Haare und nannte ihn nur noch „Schimmelchen“, was Klaus im Familienkreis sogar ganz gut gefiel. Vor Freunden und Bekannten war ihm das reiterliche Kosewort allerdings etwas peinlich.

      Thalers mittlerer Sohn, Emil, der mit achtzehn Jahren in der Schule glatt durchgelaufen war und im Frühsommer sein Abitur bestanden hatte, verbrachte jetzt ein ganzes Jahr in Granada, um ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren.

      „So wie Anton mache ich es auf keinen Fall und fange gleich mit irgendeinem Studium an. Ich will erstmal den Kopf frei bekommen, mir ganz in Ruhe überlegen, was ich mal machen möchte, und mich dann in einem Jahr entscheiden“, hatte Emil seinen Eltern nach der Zeugnisübergabe im Gloria Kino erklärt.

      Bei Anton hätte Klaus noch die größten Einwände für so eine Idee gehabt, aber jetzt nickte er verständnisvoll. Granada hieß ja auch, dass der Junge ab und zu mit dem Bus an die Küste nach La Herradura fahren und sich um Thalers, außerhalb der Ferien leerstehendes Ferienhaus kümmern konnte. Emil war vernünftig, würde das Haus in Ordnung und sauber halten. Bei Anton war sich Klaus nach dem Chaos Urlaub vor zwei Jahren nicht ganz so sicher.

      Außerdem wollten Opa Herbert und Oma Gisela, Andreas Eltern, die in Baños de Fortuna, einem kleinen Thermalbad bei Murcia, im Hinterland der Costa Blanca, überwinterten, ihren Enkel in Granada regelmäßig besuchen und liebend gern verwöhnen.

      Emil hatte kurz vor dem Abi noch den Führerschein bestanden. So wie Anton auch vor zwei Jahren in der Fahrschule von Claire Grube, genannt die „Klärgrube“. Zu Klaus großem Glück war der Führerschein diesmal auch nicht so teuer geworden, wie befürchtet, weil Emil, genau wie sein älterer Bruder, regelmäßig auf privaten Plätzen in dessen altem Kombi geübt hatte. Emil und Klaus gingen dabei etwas geduldiger miteinander um, als Klaus und sein Erstgeborener vor zwei Jahren. Aber Klaus empfand sich ja als sensibel, lernfähig und kompromissbereit, was er sich selber regelmäßig gern bestätigte, zumal das anscheinend kein anderer in der Familie bemerkte.

      Nachdem Klaus mit Andrea und dem alten Kombi in Marburg angekommen war und lange eine kostenlose Parkmöglichkeit im Gewerbegebiet hinter dem Haupt­bahnhof gesucht hatte, fuhren beide mit ihren E Bikes Richtung Elisabethkirche. Andrea hatte ihren Mann während der Autofahrt zweimal daran erinnert, dass es selbstverständlich sei, die erste feste Freundin ihres ältesten Sohnes auch zum Essen einzuladen. Das erste Mal hatte Klaus die Provokation seiner Frau einfach überhört. Beim beharrlichen Nachhaken von Andrea nickte er dann nur kurz. Ihm würde schon was Passendes einfallen.

      Kurz hinter der achthundert Jahre alten, gotischen Hallen­kirche mit den beiden markanten Türmen und dem Grab­mal der Heiligen Elisabeth kam ihnen ihr Sohn mit Freundin entgegen. Beide trugen vorbildlich einen Helm. Unter Fridas Helm flatterte ein langer, roter Pferdeschwanz. Kleidungsmäßig sah die Politikstudentin aus, als gehörte sie zur Kelly Familie aus der Zeit ihrer Auftritte in der Fußgängerzone. Viel sackartiger Plunder, braun, beige und hellgrün, ließ keinerlei weibliche Körperkonturen mehr erkennen. Man konnte Antons Freundin also keine über­triebene Eitelkeit vorwerfen. Und der Große sah mit seinem Helm über den tiefen Augenringen aus, als wäre er gerade aus einem Überraschungsei geschlüpft, fiel Klaus belustigt auf.

      Im nächsten Moment merkte Klaus aber mit Schrecken, dass er die Helme in Kassel in der Garage gelassen hatte. Da lagen sie jetzt gut. Aber außerdem hatte ihn sein Kopfschutz sowieso nur gedrückt und gejuckt. Nur - jetzt wäre es vielleicht doch besser gewesen, die Helme dabei zu haben, denn Frida musterte die Eltern ihres Freundes bereits von Weitem sehr kritisch. Eine zweite Falte der Missbilligung zeigte sich auf ihrer Stirn, als Anton seine Eltern seiner Freundin vorstellte.

      Nach dem etwas labbrigen Händedruck von Frida, den er erst noch verarbeiten musste, überlegte Klaus fieberhaft, wieso ihm das Gesicht von Frida so bekannt vorkam. Es fiel ihm erst ein, als die Studentin mit einem „Ihr fahrt ja auch Fahrräder mit Lithium Batterien!“ eine gewisse Miss­billigung gegenüber den Akkus von Thalers Rädern zum Ausdruck brachte. Jetzt hatte er es. Das Gesicht von Frida erinnerte Klaus erstaunlich an eine Mutation ihres Schafes Lotti, das Emma vor über zwei Jahren mit der Flasche aufgezogen hatte, und das jetzt bei Mike und Ellen Rusher ein Gnadenbrot in einem einsamen Tal der Alpujarras, in der südspanischen Sierra Nevada, bekam.

      Klaus spürte, wie sich in seinem Hinterkopf ganz leicht eine gewisse Antipathie aufbaute. Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln, denn Andrea schien der ersten festen Freundin seines ältesten Sohnes auf der Beliebtheitsskala von eins bis zehn bereits schon im Vorfeld mindestens eine Acht gegeben zu haben.

      Anton wirkte an diesem Samstagvormittag ziemlich apa­thisch. „Erstaunlich. Bis jetzt ist der Junge doch nur bergab gefahren“, wunderte sich Klaus, als er die nahe Mensa als Ziel ihrer Fahrradtour vorschlug. Er begründete den sehr fadenscheinigen, aber kostengünstigen Vorschlag damit, dass er das heutige Studentenleben in allen Facetten richtig kennenlernen wollte. Andrea schaute ihren Mann sehr streng an, während Anton spontan konterte: „Die hat am Samstag zu, Vatter. Da musst Du Dir schon was Besseres einfallen lassen“.

      Andrea schlug daraufhin die „Dammühle“ vor, jenes beliebte Ausflugslokal, das etwas außerhalb von Marburg im Grünen lag.

      „Aber wir haben doch gar nicht reserviert. Wahrscheinlich kriegen wir überhaupt keinen Platz und stehen uns nur die Beine in den Bauch“, versuchte Klaus die drohende, hohe Essensrechnung noch abzuwenden. Es half nichts. Der heute Vormittag so maulfaule Anton fand die Idee seiner Mutter auch gut.

      Nur Frida zögerte noch und wollte wissen, ob die dort auch vegetarisches Essen hätten. „Bestimmt gibt es das dort“, legte sich Andrea fest, ohne die Karte zu kennen. Damit musste Klaus sich resigniert geschlagen geben, obwohl er in einem letzten verzweifelten Einwand noch darauf hinwies, dass die beiden Studenten, ohne elektrische Unterstützung, fast zehn Kilometer bergauf fahren müssten.

      Auf der Fahrt fuhr Andrea mit Frida plaudernd vor und freute sich, die Freundin von Anton etwas kennenzulernen. Klaus blieb bei Anton, der heute ziemlich matt wirkte, und half dem Jungen, Anschluss zu halten.

      Als sie nach einer lang gezogenen Steigung, bei der Antons Gesicht die Farbe einer ungekochten Garnele zeigte, Marburg