Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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beendete die unergiebige Auseinandersetzung zwischen dem choler­ischen Professor und dem hilflosen Inhaber der Ausflugs­gaststätte.

      Vor der Tür lachte Frida heute das erste Mal. Klaus fand, es klang wie ein asthmatischer Presslufthammer. Auf der Rückfahrt, die meist bergab ging, entwickelte Anton nach dem ausgiebigen Essen eine Energie, als hätte er Koka­blätter als Beilage bekommen.

      Andrea wollte in mütterlichem Interesse unbedingt noch Antons Zimmer besichtigen. Klaus war es egal. Im Zimmer angekommen, war Andrea doch über die wohnmäßige Müll­tonne ihres Sohnes überrascht. Klaus, der für sein Leben gern saugte, ließ sich von Anton den alten Staub­sauger geben, den er dem damaligen Erst­semester zum Einzug geschenkt hatte, und saugte in allen Ecken. Keine Wollmaus mehr, aber der Beutel war voll.

      Frida schlug vor, dass sie in dem nun gesäuberten Zimmer doch ein paar ihrer selbst verfassten Haikus vortragen könnte. Andrea war sofort begeistert und Klaus heuchelte ein Interesse an den japanischen Kurzgedichten, musste aber jetzt schon ein Gähnen unterdrücken.

      Zufrieden klappte Frida ein kleines Notizbuch auf und begann die Lesung mit der Rezitation eines Obstgedichtes

      „Apfel hart und sauer

      Krüppelbaum im Hain

      nur dem Wurm schmeckt`s fein“

      Klaus und Andrea sahen sich hilflos an. Der Tiefgang der dreizeiligen Kurzgedichte „Land der aufgehenden Sonne“ konnte sich nicht jedem erschließen. Mittlerweile war Frida bei einer Ode an ihr Fahrrad gelandet.

      „Quietschen, schieben und ermatten

      Fahrrad, alt und schwer

      gestern hatt` ich einen Platten“

      Unmittelbar nach der ersten Zeile setzte passenderweise ein heftiges Quietschen aus dem Nachbarzimmer ein. Lutscher hatte Damenbesuch. Frida stockte und klappte irritiert das Buch zu. Anton feixte wissend und Andrea schaute ihren schmunzelnden Mann verlegen an, schaute dann auf die Uhr und meinte schnell: „Unser Zug fährt doch bald. Wir müssen, Klaus“.

      Obwohl Andrea und Klaus es vehement ablehnten, dass die Kinder sie unnötigerweise zum Bahnhof bringen würden, beharrten Anton und Frida, der die Bekanntschaft mit Antons Eltern anscheinend gut gefallen hatte, darauf, den Besuch auf jeden Fall am Bahnhof zu verabschieden. Klaus und Andrea schauten sich so hilflos an, als stände ihnen eine Wurzelbehandlung bevor. Die Kinder gingen ja selbstver­ständlich davon aus, dass sie mit dem Zug gekommen wären.

      Auf der Fahrt zum Bahnhof zeigte Anton seinen Eltern noch stolz das Lokal, in dem er Frida kennengelernt hatte.

      „Ich gehe ja in keine Disco mehr. Wegen meinem speziellen Tanzstil hab` ich in Marburg schon dreimal Hausverbot bekommen. Das schein` ich auch von Dir geerbt zu haben, „Vatter“. Du tanzt ja auch wie ein Popcorn in der heißen Pfanne. Deswegen haben wir uns hier beim Billardspielen getroffen“, erklärte Thalers Großer den ungewöhnlichen Treffpunkt am Rande der Altstadt. Das Lokal befand sich im Erdgeschoß eines mittelalterlichen Fachwerkhauses, das sich seit über fünfhundert Jahren an den Schlossberg klammerte. Und weil die Fundamente in den letzten hundert Jahren durch den rumpelnden Autoverkehr immer mehr nachgegeben hatten, hing der Billardraum ziemlich schief.

      Alle paar Jahre musste der Wirt die Billardtische mit der Wasserwaage neu vermessen und Keile unter zwei Füße schieben. Jetzt wäre es auch mal wieder überfällig, erklärte Frida, denn die Kugeln würden schon von allein in die Löcher auf der rechten Seite rollen. Billard fand Klaus sofort sehr gut, denn das hatte er selber als Student nächtelang gespielt.

      „Wenn wir das nächste Mal kommen, lade ich Euch zum Billardspielen ein. Mal sehen, ob ich Euch schlagen kann. Aber jetzt finden wir schon allein zum Bahnhof. Genießt den Abend noch. Am besten, Ihr spielt gleich ein paar Runden Billard hier“, versuchte Klaus, sich auf die Schnelle zu verabschieden.

      „Frida hat aber beschlossen, dass wir Euch auf jeden Fall zum Zug bringen und Euch noch bei der Abfahrt winken, und dann machen wir das dann auch so“, beharrte Anton, der seiner Freundin eine kostenlose Freude bereiten wollte.

      Klaus und Andrea fielen keine Argumente mehr ein. Sie kamen aus der Nummer nicht mehr raus. Also fuhren Sie mit den Kindern bis zum Bahnhof und stellten sich mit den Rädern brav auf den Bahnsteig. Nur wenige Minuten später fuhr brausend der stündliche Regionalzug nach Kassel ein. Andrea und Klaus herzten ihren Großen und drückten auch die neue Freundin. Beide bestätigten immer wieder, wie schön doch der Besuch in Marburg gewesen wäre. Beim Einsteigen sprach Andrea eine Einladung für Frida nach Kassel aus, welche die auch wohlwollend dankend annahm. Zischend schlossen sich die Türen und der Zug fuhr ruckend los. Sie waren gefangen. Aber die Kinder winkten ihnen liebevoll hinterher.

      „Schöne Scheiße“, fluchte Klaus, der auf dem Streckenplan über dem Fenster festgestellt hatte, dass der Zug das nächste Mal erst in Schwalmstadt hielt. Und das waren über vierzig Kilometer.

      Erschöpft sanken beide in die abgewetzten blauen Velours Sitze, nachdem sie ihre Fahrräder im Gang befestigt hatten. Klaus war jetzt hundemüde und kurz vor dem Einschlafen, sodass er die Gefahr nicht spürte, die auf sie zukam.

      Kurz vor Schwalmstadt-Treysa näherte sich Thalers von hinten eine blau gekleidete Dame mit fescher roter Kappe, kontrollierte und entwertete die Fahrscheine der mit­fahrenden Reisenden. Als sie die dösende Andrea und den übermüdeten Klaus weckte, wussten beide im ersten Moment nicht, um was es ging. Dann fiel es Klaus mit Schrecken ein. In der Eile hatten sie keine Fahrscheine gelöst.

      Die blau gekleidete Dame blieb trotzdem verständnisvoll und hilfsbereit. Selbstverständlich könnten sie bei ihr nach­lösen. Klaus seufzte erleichtert. Aber es wäre auch neben dem üblichen Fahrpreis eine Strafgebühr von sechzig Euro pro Person fällig.

      „Wir nennen das: erhöhtes Beförderungsentgelt“, erklärte die freundliche Dame dem entsetzten Klaus. „Das gilt, wenn Sie sofort zahlen. Ansonsten muss ich Ihre Per­sonalien aufnehmen und die Sache zur Anzeige bringen. Aber dann wird es wirklich teuer“.

      Klaus suchte aus Andreas und seinem Portemonnaie hektisch die letzten Scheine zusammen, drückte der verdutzten Kontrolleurin das Geld in die Hand und hetzte mit Andrea zu den Fahrrädern. „Es passt schon. Wir brauchen keine Quittung“, erklärte er der Frau, als sich bereits quietschend die Türen des Zuges öffneten, weil der Zug nur für zwei Minuten in Schwalmstadt hielt. Jetzt nur schnell raus aus dem Zug und zurück nach Marburg.

      Mittlerweile war es dunkel geworden, und es hatte ange­fangen zu regnen. Mindestens zweieinhalb Stunden Fahrt auf der vielbefahrenen Bundesstraße lagen jetzt vor ihnen. Ohne Helm und ohne Regenschutz. Andrea und Klaus waren beide stocksauer. Andrea war auf Klaus sauer und der war ebenfalls auf sich sauer.

      „Diese Mist Bahnfahrt war so sinnvoll wie ein zweiter Hintern“, schimpfte Klaus und Andrea maulte, dass sie besser von Anfang an mit offenen Karten hätten spielen sollen.

      „Außer, dass Frida vielleicht etwas enttäuscht gewesen wäre, hätte uns doch nichts passieren können. Und wir wären jetzt schon bald zu Hause. Außerdem hätten wir das erhöhte Beförderungsentgelt gespart. Wir könnten das nächste Mal nach Marburg auch gleich die Bahn nehmen. Dann ist Ruhe bei den Kindern. Und billig ist es auch“, warf Andrea ihrem Mann vor, der sich stillschweigend eingestehen musste, dass seine bessere Hälfte mal wieder recht hatte. Er hatte die Fahrt gründlich verbockt.

      Als Klaus` Akku nach dreißig Kilometern schlapp machte, weil Klaus das Teil natürlich nicht aufgeladen hatte, stellte Andrea eine berechtigte Frage: „Warum sind wir eigentlich nicht mit dem nächsten Zug nach Marburg zurückge­fahren?“

      „Weil unser Geld durch die saublöde Strafgebühr alle war und wir nicht nochmal schwarz mit dem Zug fahren können. Ich kriege sonst noch Sicherungsverwahrung und „Schwarzfahren“ darf ich vor Frida erst recht nicht sagen“, stöhnte Klaus pitschnass und trat kräftig in die Pedale, um seiner Frau auch ohne elektrische Hilfe bis zum Auto nach Marburg folgen zu können. Es wurde dreiundzwanzig Uhr, als die beiden durchgeschwitzt und völlig durchnässt bei ihrem alten Kombi ankamen und die Fahrräder aufladen mussten.

      Die