Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es passt schon


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zu lallen, während Lutscher nur noch glasig in sein Buch starrte. „Als ordentlicher Korpsstudent bekommt man vom Biertrinken immer so einen Durst“, nuschelte Olaf erklärend.

      Beim nächsten Lied war Olaf etwas unaufmerksam und es passierte ein unverzeihlicher Fauxpas. Der Verbindungs­bruder hatte sein Kommersbuch einfach zugeschlagen, bevor der Erstchargierte sein Gesangbuch geschlossen hatte. Die Gemeinschaft hieb grölend die Hände auf die schweren Holztische, als der Vorsitzende die Strafe verkündete.

      Olaf musste die Gläser aller Anwesenden austrinken! Und wenn ihm das noch einmal passieren würde, müsste er das Bier seiner Verbindungsbrüder erst in seine Mütze schütten und dann aus der Mütze trinken. Alle, außer Anton und Lutscher, lachten lauthals, weil das so eine lustige Strafe war.

      Olaf erhob sich bereits etwas unsicher, ging gehorsam von Platz zu Platz und schüttete sich die Reste jedes Glases seiner Korpsbrüder in die Kehle. Donnernder Beifall, als sich der Verlierer schwankend an seinen Platz tastete. Anton und Lutscher hingegen waren heilfroh, dass Olaf ihnen die Humpen austrinken musste, denn beide hätten ihre Reste nicht mehr in ihrem Körper unterbringen können.

      Die Freude währte allerdings nicht allzu lang, denn nach kürzester Zeit standen zwei neue, randvoll gefüllte Humpen vor den beiden Gästen. Beide hatten die Schnauze gestrichen voll und wollten jetzt endgültig nach Hause torkeln. Beim ersten schwankenden Versuch blickte der Erstchargierte vorwurfsvoll zu den beiden Besuchern.

      „Haalt-hiergeblieben! Erst wird mit uns noch ein ordent­licher Salamander gerieben!“

      Anton und Lutscher erstarrten. Jetzt artete die ganze Veranstaltung zu später Stunde noch in eine Tierquälerei aus. Als Lutscher gerade protestieren wollte, dass „Tsallmanda“ aber artengeschützt wären, erhoben sich alle Teilnehmer der Kneipe sehr förmlich. Der Vorsitzende befahl mit leicht lallender Stimme das alte Ritual:

      „ad exercitium salamandri!“

      Es folgte ein allseitiges, lautstarkes „Prost“, jeder setzte den Humpen an seine Lippen, und auch die beiden Gäste fühlten sich verpflichtet, ihr Glas bis auf einen Rest zu leeren, der beiden an den Mundwinkeln bis in den Hemd­kragen runterlief.

      Auf Kommando wurden die leeren Humpen von allen lautstark auf den Tisch geknallt und dann kräftig auf der Holzplatte gerieben. Die ganze Zeremonie wurde dreimal wiederholt. Der Klassiker eines „geriebenen Salamanders“.

      Der dann einsetzende Moment absoluter, feierlicher Stille wurde nur von einem unbeabsichtigten, aber dennoch sehr heftigen Entweichen von Kohlensäure aus Lutschers willen­losem Körper unterbrochen. Der Rest der Gemeinschaft nahm das bekannte Geräusch mit verständnisvollem Wohl­wollen zur Kenntnis.

      Nach dem nächsten, lauthals geschmetterten Lied, hatte der Vorsitzende endlich ein Einsehen. Die beiden Gäste sahen so erbarmungswürdig aus, dass sie vorzeitig entlassen wurden. Der Erstchargierte gab ihnen noch die Erwartung mit auf den Heimweg, dass die Burschenschaft beide doch bald wieder als Gäste und möglichst auch als junge „Füchse“ begrüßen könne.

      Als Lutscher und Anton von dem Hausmeister hilfsbereit unter den Armen gefasst und schwankend zur Tür begleitet wurden, schmetterten ihnen achtundzwanzig gut ange­feuchtete Kehlen noch ein „Vale fratres spiritu“-„Auf Wiedersehen, Ihr Brüder im Geiste“ nach.

      Zum Glück ging es von der trutzigen Verbindungsburg nur abwärts bis zum Marktplatz. Die beiden Gastesser mussten sich gegenseitig stützen, als sie über glattes Kopfstein­pflaster und holprige, ausgetretene Sandstein­stufen, schwankend wie ein Kieslaster in der Kurve, nach unten torkelten. Lutscher schlitterte in eine dunkle Ecke und hielt sich mit der linken Hand würgend an der Hauswand fest. Anton registrierte leicht schadenfroh, dass seinem Freund das günstige Abendessen anscheinend wohl nochmal durch den Kopf ging.

      Währenddessen hatte Anton die Stange eines nagelneuen Hinweisschildes für den Aufstieg Richtung Schloss zu fassen bekommen und versuchte, in aufrechter Körper­haltung zu bleiben. Da das Schild aber erst am Nachmittag frisch einbetoniert worden war, stellte Anton mit vernebel­tem Hirn verblüfft fest, dass sich die Stange mit ihm gedreht hatte und jetzt in bedrohlicher Schieflage zur Lahn zeigte.

      „Is au egaaal,“ meinte Lutscher, als sich die beiden die letzten Meter bis zu ihrem Haus am Marktplatz schleppten. Aber jetzt kam das Schwierigste - die steile, ausgetretene Holztreppe mit den Holzstufen in unter­schiedlichen Höhen. Eine Steilvorlage für gelungene Stürze, die beide aber so laut fluchend und grunzend schafften, dass ein Teil der Mitbewohner schimpfend wach geworden war. Anton hatte noch einen halbwegs klaren Moment und hangelte sich den Putzeimer im Flur in sein Zimmer, bevor sein Freund auf die Idee kam, dass ein Eimer vor dem Bett nicht die schlechteste Idee wäre.

      „Nie mehr“, ging es Anton, durch den Kopf, als er sich das dritte Mal über den Eimer beugen musste. „Lieber ess´ ich jeden Tag wässrigen Labskaus in der Mensa, als mich noch einmal einladen zu lassen“.

      Mit einer unendlichen Rotationsgeschwindigkeit seines Drehschwindels im Hirn versuchte der Jurastudent den Rest der Nacht irgendwie hinter sich zu bringen, damit er den morgigen Besuch seiner Eltern überstehen konnte.

      3

      Als Anton verkatert wachgeworden war, musste er zwangsweise wieder sparen. Er sparte sich das Frühstück, das er sowieso nicht bei sich behalten hätte. Und er sparte sich auch die kostenlose Dusche im Institut für Leibes­übungen, einfach, weil er keine Zeit mehr hatte. Denn es klopfte nicht nur heftig in seinem Kopf, sondern auch an seiner Tür. Draußen stand Frida, seine Freundin seit dem vorletzten Semester und scheuchte ihn mit Vorwürfen am Morgen aus den Federn. Nebenan durfte Lutscher laut schnarchend noch ausschlafen. Beneidenswert.

      Richtig, heute war ja Samstag, und die Eltern wollten stören kommen. Antons Mutter, Andrea, hatte schon seit letztem Semester darauf gedrängt, die erste feste Freundin ihres ältesten Sohnes endlich mal kennenzulernen. Klaus, Antons „Vatter“, war die Begegnung dagegen relativ egal. „Der Bursche tobt sich sowieso noch aus und hat bald wieder eine andere. So wie in der Vergangenheit ja auch“, maulte Klaus, der keine richtige Lust hatte, nach Marburg zu fahren. Vor allem nicht, unter diesen Bedingungen.

      Denn Anton hatte seiner Mutter sehr vorsichtig am Telefon beigebracht, dass bei Frida der Humor bei jeglicher Umweltverschmutzung flöten ging. Und Klaus` alter Kombi wäre ein Megabeispiel an Umweltverschmutzung. Davor käme nur noch ein veraltetes Kohlekraftwerk in der Ukraine. Was Anton niemand, auch Lutscher nicht, verraten hatte, war die Tatsache, dass Fridas Libido auch nur dann richtig in Fahrt kam, wenn die CO2 Werte auf niedrigem Niveau stabil blieben. Ansonsten musste sich Anton bei hohen Feinstaub- und Abgaswerten nur anhören, dass seine Freundin vollkommen überreizt wäre. „Ich auch, ich auch“, seufzte der Jurastudent resigniert, dem im Wintersemester oder bei Tiefdrucklagen eine harte Zeit bevorstand.

      Deshalb hatte Anton seiner Mutter der guten Stimmung wegen vorgeschlagen, dass seine Eltern doch bitte, bitte mit dem Zug nach Marburg kommen sollten. „Und bringt die Räder mit, damit wir etwas rumfahren und unternehmen können“ hatte Anton noch zu einer Zeit ergänzt, als er von den Folgen der Einladung zur „Kneipe“ noch nichts ahnen konnte.

      Zu guter Letzt bat Anton seine Eltern noch leicht verschämt darum, seinen „Genderstern“ nicht mit einer falschen Ansprache zu reizen. Frida legte nämlich viel Wert auf eine bewusste, genderspezifische Sprache. Klaus hatte dazu seine eigene Meinung, die er zu Hause ungefragt zum Besten gab. Er genderte auf Teufel komm raus und suchte ständig neue Begriffe, wie er die deutsche Sprache gendergerecht umstellen konnte.

      „Der Störenfried – die Störenfrieda, die Krankenschwester - der Krankenbruder; der Sünden­bock-die Sündengeiß;“, war noch das Harmloseste, was der Familienvater grinsend vor sich hin brabbelte, während Andrea ihren Mann eindringlich ermahnte, seine Meinung bei dem Besuch in Marburg doch besser für sich zu behalten.

      Frida war Samstagvormittag mit ihrem alten Damenfahrrad gekommen und nervte Anton mit ihrer Energie am Morgen. „Ich wünschte nur, die hätte einmal einen Abend bei den Rheumanen erlebt, dann ging`s ihr aber auch anders“, dachte Anton griesgrämig, als er barfuß zu dem Fünf Liter Wasserboiler im