Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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Hand schlug sich der Ork vor die Brust, was einen dumpfen, hohlen Ton erzeugte. »Meinem leuchtenden Beispiel zu folgen und ein ebenso großer Krieger wie ich zu werden, das ist natürlich der sehnlichste Wunsch all meiner Söhne. Sie alle sind unsagbar stolz darauf, einen Vater wie mich zu haben und sie alle werden nach meinem Tod stolz die Geschichten meiner Heldentaten erzählen.«

      »Ein lebender Vater würde ihnen dann gewiss lieber sein«, gab Zorm zu bedenken. »Ein Vater, der für sie da ist, der sich ihre Sorgen anhört und mal was Schönes mit ihnen unternimmt. Einen Ausflug ins Grüne oder ein nettes Gesellschaftsspiel zum Beispiel. Ich habe zwar noch keine Familie, aber ich werde eines Tages ein solcher Vater sein. Ich habe so viel Schlechtes getan, habe so viel Leid verursacht und so unglaublich vielen Wesen den Tod gebracht. Das muss nun ein Ende haben. Ich werde nur noch Gutes tun, ich werde eine Familie gründen, mit der ich gemeinsam die Liebe und den Frieden hinaus in die Welt tragen werde.«

      Der blonde Barbar richtete sich auf. Er erhob sein Haupt und starrte in den dunkler werdenden Himmel, als würde er dort oben etwas Erhabenes, etwas Bedeutungsvolles erblicken.

      Dann fuhr er mit lauter, feierlicher Stimme fort. »Hier und jetzt gelobe ich im Beisein Hunderter dahingemordeter Seelen: Mein Weg soll von nun an der Pazifismus sein!«

      »Pattsi… was?« Die Augen des Orks verengten sich zu schmalen Schlitzen. »So ein Wort gibt es doch gar nicht!« Ein Augenblick verging, dann blitzte ein Funke vermeintlicher Erkenntnis in ihm auf. Voller Misstrauen musterte er den Barbaren. »Ist das vielleicht eine List, Mensch? Willst du mich etwa verwirren, weil du glaubst, mich so leichter besiegen zu können?«

      »Aber nein, versteh doch«, flehte Zorm eindringlich. »Ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich will nie wieder kämpfen. Kämpfen ist doof!«

      Ob nun die Empörung oder die Verwirrung in ihm überwog, dessen war sich Meuchelhammer nicht gewiss. Sein Antlitz zeigte jedoch eindeutig die Anzeichen großer Verwunderung.

      »Du willst echt nicht kämpfen?«, erkundigte er sich noch einmal ungläubig.

      »Nein!«, erwiderte Zorm entschlossen.

      »Etwas raufen vielleicht?«

      »Nö!«

      »Könntest du wenigstens dein Schwert erheben, damit ich dich reinen Gewissens erschlagen kann?«, schlug der Ork vor. »Du brauchst dich auch nicht zu wehren.«

      Der Zerfetzter verneinte vehement. »Das werde ich auch nicht tun! Ich will nur noch nette Sachen machen – so wie Bilder malen, Gedichte schreiben oder einen kleinen Garten mit bunten Blumen anlegen.«

      Während Morack Meuchelhammer nun versuchte, das soeben Gehörte zu verarbeiten, verfolgte der schwarz gefiederte Beobachter – noch immer unbemerkt von den beiden Kriegern auf seinem Ast hockend – das Gespräch aufmerksam. Es schien fast so, als könnte er jedes Wort der beiden Kontrahenten verstehen. Als der Ork plötzlich seine Keule erhob und sich dem Barbaren drohend näherte, zuckte er nur kurz und leicht erschrocken zusammen. Der blonde Barbar auf dem Leichenhaufen tat es ihm gleich.

      »Jetzt hab ich die Schnauze aber so langsam voll!«, äußerte sich Morack lautstark. »Ich bin hierhergekommen, um gegen Zorm den Zerfetzer zu kämpfen, einen der mächtigsten Barbarenkrieger unserer Zeit. Man hat mir von deiner Wildheit, deiner Stärke und deiner Unerbittlichkeit erzählt. Du wärst beinahe ein so fähiger Kämpfer wie ich, haben sie gesagt, mir im Kampf vielleicht sogar ebenbürtig. Doch was sehe ich nun vor mir? Ein jammerndes, rückgratloses Etwas! Ein widerliches, feiges Gewürm, das sich mit wirren Worten einem anständigen Kampf zu entziehen versucht. Erhebe endlich dein Schwert, du Lappen!«

      Morack Meuchelhammer hatte in dieser endlosen Schlacht, die er sein Leben nannte, schon viel gesehen. In die Augen unzähliger Feinde hatte er geblickt, während er ihnen den Bauch aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgerissen oder Schlimmeres angetan hatte. Er hatte gegen Kreaturen gekämpft, deren bloßer Anblick andere in die Flucht geschlagen hätte oder sie sogar wahnsinnig hätte werden lassen.

      Doch nun bot sich dem Ork ein Anblick, der ihn zutiefst verstörte und sein Weltbild bis ins Mark erschütterte: Über die ausgeprägten, nervös zuckenden Wangenknochen des Barbaren bahnte sich eine Träne langsam ihren Weg nach unten.

      »Das … das war total fies von dir«, jammerte der Zerfetzer. »Warum sagst du so garstige Sachen zu mir? Denkst du denn gar nicht darüber nach, was solche Beleidigungen in den Seelen anderer Wesen anrichten können? Wörter können mehr verletzen als Schwerter, weißt du? Sie schneiden tief in dein Innerstes und hinterlassen dort Narben, die niemals richtig verheilen.«

      »Ich werde dir dein Innerstes gleich mal zeigen!«, erwiderte Morack und seine Stimme wurde mehr und mehr zu einem bedrohlichen Knurren. »Dann kannst du ja mal nachschauen, was meine Worte dort hinterlassen haben. Weiß deine Mutter eigentlich, was für einen erbärmlichen Sitzpinkler sie in diese Welt gesetzt hat?« Ein höhnisches, boshaftes Grinsen machte sich im Gesicht der Grünhaut breit. »Oder hast du etwa gar keine Mutter? Hat dich vielleicht eine Ziege bei ihrem Stuhlgang versehentlich mit ausgeschissen? So muss es sein, Barbar: Deine Mutter ist eine alte, dreckige und stinkende Ziege!«

      »Och menno!« Wie ein trotziges Kind stampfte Zorm mit seinem linken Bein auf, wobei er versehentlich den Schädel einer der unter ihm liegenden Leichen zertrümmerte. Blut, kleine Schädelsplitter und ein wenig Hirnmasse blieben an seinem Fellstiefel kleben. »Wieso beleidigst du denn jetzt auch noch meine Mutter? Weißt du eigentlich, wie lieb ich meine Mami habe? Meine Mutti ist die allerbeste Mutti auf der ganzen Welt! Du bist wirklich ein ganz ungehobelter Bursche – schlecht erzogen, total aggressiv und absolut unsensibel. Ich will mir diese Unverschämtheiten auch gar nicht mehr anhören!«

      Mit einer ungelenken Bewegung warf Zorm der Zerfetzer sein blutbesudeltes Breitschwert von sich. Es landete scheppernd zu Füßen des verwirrt dreinblickenden Orks.

      »Du … du ungehobelter, grünehäutiger Rüpel!« Diese Worte als Abschiedsgruß hinterlassend wandte sich der Barbar ab, um dann leise schluchzend den Leichenberg hinunterzulaufen.

      Morack öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen und erhob dabei seine Hand. Er ließ sie jedoch wieder sinken, als er feststellen musste, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Stumm und in nicht unerheblichem Maße verwirrt blickte er dem Zerfetzer hinterher.

      Dieser bahnte sich weiterhin heulend seinen Weg über die vielen Toten, für deren Ableben er zum größten Teil selbst gesorgt hatte. Dass ihm der Schatten einer kleinen, fliegenden Kreatur folgte, das bemerkte er nicht.

      Ein einsamer, irgendwie verloren wirkender Ork blieb zurück. Erst nach einigen Minuten fand dieser seine Sprache wieder.

      »Das war ja mal ein Ding«, sagte er leise zu sich selbst. »So was ist mir ja noch nie passiert.«

      Ratlos schaute er um sich. Einen anderen würdigen Gegner suchte er vergeblich. Alles, was er hätte niedermähen können, war schon geflohen oder lag mehr oder weniger leblos und zumeist recht lädiert auf dem Boden herum.

      Schulterzuckend entschloss er sich deshalb dazu, ebenfalls den Heimweg anzutreten. Nachdem er das Schwert des Barbaren aufgehoben hatte, schlenderte er langsam von dannen. Die seltsamen Worte des Zerfetzers hallten derweil in seinen Gedanken wider. Ja, auch er mochte seine Mutter sehr und es war wohl auch an der Zeit, sie mal wieder zu besuchen.

      Vorher würde er ihr aber noch ein paar Blümchen pflücken.

      2

      Noch nie hatte ein Barbarenkönig eine solch unangenehme Unterredung führen müssen wie die, welche Storne Stahlhand nun bevorstand.

      Etwas nervös saß er deshalb im herrschaftlichen Langhaus auf dem riesigen, wuchtigen Thron, der an der südlichen Wand des geräumigen Holzbaus stand. Zwei dicke, mehr als mannshohe, lodernde Fackeln flankierten dieses Ehrfurcht einflößende Symbol der Macht. Schon vor Jahrtausenden war dieses aus den bleichen Totenschädeln der unterschiedlichsten Kreaturen Archainos angefertigt worden. Mit viel Geschick hatte man die vielen fleischlosen Häupter zusammengefügt und anschließend mit einem speziellen Harz behandelt, sodass der Zahn der Zeit diesem imposanten