Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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dem Langhaus verbreiten, denn die gleiche Verblüffung ergriff nun Besitz von Grahlum, wie sie auch der König noch immer verspürte.

      »Na und?«, wunderte sich der Druide. »Das ist doch bei all unseren Schlachten so. Oftmals kommt gar kein Kämpfer aus ihnen zurück und das ist auch ganz gut so. Schließlich berücksichtigen wir diese Verluste ja auch bei der Kalkulation unserer Nahrungsreserven.«

      Unverhohlene Missachtung und Entrüstung schlugen dem Druiden nun aus dem Antlitz des Zerfetzers entgegen. »Wie könnt ihr nur so herzlos sein? Ist euch das Leben der anderen Stammesmitglieder denn gar nichts wert? Ihr sprecht vom Töten, als sei es das Normalste auf der Welt. Das ist doch … barbarisch!«

      Der Barbar hielt verdutzt inne. Irgendwas schien ihn an seiner eigenen Aussage zu verstören.

      »Unser guter Zorm tickt nicht mehr ganz richtig«, mischte sich nun der König wieder ein, der noch immer vor seinem Thron stand und sich mit der flachen Hand seinen Hintern rieb. »Du wirst es nicht glauben, Druide, aber er ist vor Morack Meuchelhammer aus dem Kampf geflohen. Er hat einfach die Biege gemacht und nun sülzt er mich voll mit irrem Geschwafel von friedvoller Konfliktbewältigung und ähnlichem Tinnef. Er hat sogar behauptet, dass Gewalt nicht die Lösung für alles sei.«

      Von diesen Worten geradezu schockiert und mit sorgenvoller Miene betrachtete Grahlum den blonden Hünen eingehend. Dann ging er langsam um ihn herum, blieb vor ihm stehen und legte ihm die linke Hand auf seine Stirn.

      »Hast du vielleicht einen Schlag auf den Kopf bekommen?« Mit dem Daumen schob er das linke Augenlid des Zerfetzers nach oben, um dessen Augapfel begutachten zu können. »Oder hast du irgendeine andere Verletzung während der Schlacht erlitten?«

      Zorm wischte die Hand des Druiden mit einer groben Bewegung beiseite. »Mir fehlt gar nichts«, stellte er dann fest. »Ich habe mich noch nie so gut gefühlt wie in diesem Moment. Nach all den Jahren des Kämpfens und des Mordens verspüre ich nämlich so etwas wie Frieden in mir. Die Erkenntnis ist in mir erwacht, dass nur ein friedvolles Miteinander aller Rassen dieser Welt ein erstrebenswertes Ziel ist. Nur diesem Ziel werde ich mich fortan widmen.«

      Zorm der Zerfetzer musterte erst den Druiden, dann sogar den König mit abfälligen Blicken, die fast schon an Majestätsbeleidigung grenzten. »Aber das könnt ihr beiden natürlich nicht verstehen. Ihr seid weiterhin gefangen in diesem jahrhundertealten Irrglauben, dass Krieg und Zerstörung der Sinn eurer Existenz sei. Mitgefühl, Barmherzigkeit, Einfühlungsvermögen – all das ist euch fremd. Euch fehlt die Fähigkeit zur Empathie.«

      Als Geste der Hilflosigkeit warf Storne Stahlhand seine Arme in die Luft. »Jetzt lässt der sich auch noch neue Wörter einfallen! Die Blitzbirne ist doch total meschugge!«

      Grahlum winkte den König wortlos zu sich. Gemeinsam entfernten sie sich so weit von Zorm, dass dieser ihre gedämpften Stimmen nicht mehr vernehmen konnte. Neben der Festtafel unter dem gestrengen Blick einer Elchtrophäe steckten sie ihre Köpfe zusammen.

      »Ich habe keine Ahnung, was mit dem Burschen los ist«, gab der Druide flüsternd zu. »Aber so können wir ihn auf gar keinen Fall im Dorf herumlaufen lassen. Mit seinem ganzen Gequatsche von Frieden und diesen seltsamen, erfundenen Wörtern erschreckt er die anderen ja zu Tode.«

      Storne nickte ernst. »Soll ich ihm die Runkel runterhauen?«

      Erst nach einigem Zögern und Nachdenken verneinte Grahlum. »Vielleicht finde ich ja doch heraus, was mit ihm nicht stimmt. Bis dahin sollten wir ihn irgendwo einsperren. Wie wäre es mit der Rauschhöhle?«

      Wieder stimmte der König ihm zu. Die Rauschhöhle befand sich am Rande des Dorfes. In ihr wurden alkoholisierte Barbaren eingesperrt, die bei einem der regelmäßig stattfindenden Besäufnisse über die Strenge schlugen oder bei den obligatorischen Schlägereien zu viel Schaden anrichteten. Für einen geistig derart aus der Fassung geratenen Burschen wie Zorm war dies natürlich eine ideale Unterbringungsmöglichkeit.

      »Also gut«, sprach Storne deshalb. »Du lenkst ihn ab und ich setze ihn außer Gefecht.«

      Während sich Grahlum nun mit einem aufgesetzten Lächeln Zorm zuwandte, schlenderte der König einmal um die Festtafel herum, um sich dem Zerfetzer unauffällig von hinten nähern zu können. Dabei nahm er einen der vielen Hocker mit, die um selbige herumstanden. Selbstverständlich waren diese Hocker sehr massiv und aus extrem harten Holz gefertigt. Immerhin mussten sie das Gewicht eines ausgewachsenen Barbaren aushalten und nur in den seltensten Fällen betrug selbiges weniger als einhundertzwanzig Kilo.

      »Mein lieber Zorm«, begann der Druide nun weiterhin scheinheilig grinsend. »Wie stellst du dir denn dieses friedliche Miteinander aller Rassen so vor? Sollen wir eine Art Rat bilden, in den jede Rasse ihre Vertreter entsendet? Und anstatt sich wie bisher gegenseitig abzumurksen, diskutieren die dann dort miteinander?«

      Augenscheinlich bereitete es dem alten Kapuzenträger einiges an Mühe, bei diesen Worten ein Kichern zu unterdrücken. Kein Wunder also, dass sein Verhalten das Misstrauen des Zerfetzers erregte.

      Dieser legte seine Stirn in Falten. »Was soll das? Dein Interesse und deine Freundlichkeit sind ganz offensichtlich ebenso falsch wie dein Grinsen. Was hast du vor?«

      »Aber Zorm, mein Freund, traust du mir etwa nicht?« Die vorgetäuschte Betroffenheit des Druiden war ganz sicher kein Beweis großer Schauspielkunst. »Ich will dir helfen und dich verstehen. Als Erstes möchte ich mehr über diese M-Party erfahren, von der du vorhin gesprochen hast.«

      »Das heißt Empathie!«, entgegnete Zorm. »Und Leute wie du …«

      Von weiteren Erklärungen hielt ihn ein Schlag ab, den er an seinem Hinterkopf verspürte. Dieser war zwar schmerzhaft, doch keinesfalls heftig genug, um den Barbaren niederstrecken zu können. Um einen massiven Holzhocker in Brennholz zu verwandeln, dafür reichte dessen Wucht allerdings aus.

      Empört drehte sich Zorm zu dem hinter ihm stehenden König um. »Sag mal, was war denn das jetzt für eine Aktion? Dir ist schon klar, dass so etwas wehtut?«

      Storne antwortete nicht, sondern zertrümmerte schweigend einen weiteren Hocker auf dem Schädel des Zerfetzers. Lediglich ein Bein des Möbelstücks behielt er in seiner Hand zurück. Nun begann Zorm zu wanken, doch noch immer vermochte er es, sich auf den Beinen zu halten. Erst nach ein paar weiteren Schlägen mit dem zum Knüppel umfunktionierten Hockerbein ging er endlich bewusstlos zu Boden.

      »Ganz schön zäh, der gute Zorm«, stellte der König anerkennend fest, während er seine provisorische Schlagwaffe hinter sich warf.

      Grahlum der Greise nickte. »Aber leider auch durchgeknallter als ein volltrunkener Iltis. Ich gehe vor und sehe nach, ob die Luft rein ist. Wir sollten unnötiges Aufsehen vermeiden. Es könnte etwas befremdlich auf die anderen Stammesmitglieder wirken, wenn ihr König einen besinnungslosen Heerführer durch das Dorf schleppt.«

      Storne lud sich also den schlaffen Körper des niedergeschlagenen Barbaren ohne Mühe auf seine breite Schulter. Dann positionierte er sich neben der Doppeltür des Langhauses, während der Druide selbige durchschritt und langsam davon schlenderte. Sein gemächlicher Gang und das unbekümmerte Gebaren, welches er dabei zeigte, sollte den Eindruck von Gelassenheit und Gemütsruhe vermitteln. Um diesen Anschein noch zu verstärken, pfiff er dabei eine heitere Melodie vor sich hin.

      Storne beobachtete den Greisen derweil aufmerksam und fasziniert. Zutiefst beeindruckt war er von diesem genialen, sehr originellen Einfall, mithilfe fröhlichen Pfeifens Unschuld vorzutäuschen. Wie dankbar er doch sein konnte, dass ihm ein solch weiser, erfahrener Mann zur Seite stand. Er würde sich diese grandiose Idee auf jeden Fall merken müssen.

      Inmitten der Ortschaft, in der Nähe des Dorfbrunnens, blieb der Druide stehen. Noch immer Luft durch seine gespitzten Lippen pustend sah er sich um, weiterhin um ein möglichst harmlos erscheinendes Auftreten bemüht. Außer einer ungewöhnlich großen Krähe, die sich auf dem Dach des königlichen Langhauses niedergelassen hatte, konnte er jedoch keinerlei Lebenszeichen ausmachen.

      Die Sonne hatte die Herrschaft über das Land schon fast gänzlich der Dunkelheit anvertraut, weshalb sich die meisten Einwohner