Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


Скачать книгу

      Mit angehaltenem Atem pressten sie ihre Ohren gegen das dicke Holz und nach nur wenigen Sekunden konnten sie auch schon ein leises Knurren durch selbiges vernehmen. Dieses Knurren näherte sich begleitet vom Tapsen mächtiger Pfoten aus dem Inneren der Höhle. Dann löste ein deutlich wahrnehmbares Schnüffeln dieses Geräusch ab.

      »Zorm?« Der König klopfte gegen das Höhlentor. »Zorm, du solltest jetzt vielleicht besser aufwachen!«

      »Der rührt sich nicht«, stellte Grahlum fest.

      Tatsächlich konnten sie keinerlei Geräusche vernehmen, die auf ein Erwachen des Zerfetzers schließen ließen. Stattdessen wurde es für eine Weile ganz still in der Höhle.

      »Vielleicht sollten wir mal nachsehen«, schlug Storne vor.

      Der Druide verspürte jedoch keine Lust, den schwergängigen Mechanismus des Tores wieder zu betätigen. Ein weiser Mann wie er war natürlich stets darauf bedacht, unnötige Anstrengungen zu vermeiden.

      »Ich habe heute schon genug am Rad gedreht«, stellte er deshalb fest.

      Ein lautes Fauchen, das urplötzlich die Stille zerriss, ließ sie diesen Vorschlag auch sofort wieder vergessen. Ein gellender Schrei, der sich ganz eindeutig einer menschlichen Kehle entrang, folgte diesem Fauchen. Die zwei erfahrenen Barbaren hatten freilich schon viele Schreie gehört, weshalb sie diesen auch eindeutig als Todesschrei identifizieren konnten. Danach wurde es wieder ruhiger und nur noch ein genussvolles Schmatzen drang durch das Tor aus der Rauschhöhle.

      »Jetzt musst du dein zukünftiges Schoßtier zumindest nicht mehr füttern«, stellte der Druide fest. »So ein Bursche wie Zorm sollte für zwei, drei Tage reichen.«

      Der König nickte. »Ich hätte ja gedacht, dass ein erfahrener Krieger wie er auch unbewaffnet gegen eine solche Bestie bestehen kann. Denkst du, dass dieser Wahnsinn, der ihn befallen hat, auch seine Fähigkeiten als Kämpfer beeinflusst hat?«

      Grahlum der Greise wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Entweder das hat seine Kampfkraft beeinflusst oder der Umstand, dass er noch bewusstlos war.«

      »Oder das.« So wie sein Begleiter, so wandte sich auch Storne nun wieder dem Dorf zu.

      »Es hätte mich aber schon interessiert, was eigentlich mit ihm los war«, bemerkte Grahlum, während sie nebeneinander hergingen.

      »Wir werden es wohl nie erfahren«, seufzte der König etwas enttäuscht. Dann grinste er breit. »Eigentlich könnten wir Zorm den Zerfetzer jetzt in Zorm den Zerfetzten umbenennen.«

      Der Druide schmunzelte ebenfalls. »Dein Humor ist so feinsinnig und taktvoll wie immer. Anscheinend hast du dich bei Zorm nicht mit dieser maßlos übertriebenen Empfindsamkeit angesteckt.«

      Der Barbarenkönig hielt erschrocken inne. »Glaubst du etwa, dass so was möglich wäre?«

      Der Greise zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Spürst du vielleicht das Bedürfnis, über deine Gefühle reden zu müssen?«

      Die beiden Barbaren brachen angesichts dieser urkomisch absurden Frage in schallendes Gelächter aus. Sie lachten immer noch, als sie die Hütte des Druiden erreichten. Hier sollten sich ihre Wege trennen.

      »Ich muss meinen alten Knochen nun etwas Ruhe gönnen«, sagte Grahlum. »Du solltest es mir gleichtun. Morgen willst du ja gegen die Amazonen ins Feld ziehen und deshalb liegt eine lange, anstrengende Reise vor dir. Falls noch irgendwas sein sollte, weißt du ja, wo du mich findest.«

      Storne winkte lächelnd ab. »Was soll heute schon noch passieren? Außerdem bin ich König der Nordland-Barbaren, ich werde mit fast allem alleine fertig!«

      Der Druide schlug ihm auf die Schulter. »So ist es, Hoheit. Schlaf gut!«

      Nach diesen Worten verschwand er in seiner Behausung, während Storne sich auf den Weg zu seiner Heimstätte machte. Er ließ die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, während er durch das Dorf schlenderte, was immer wieder ein unwillkürliches Schütteln seines Kopfes verursachte. Seiner Überzeugung und Weltsicht zuliebe würde er sich darum bemühen, diese seltsamen Sachen zu vergessen, die Zorm der Zerfetzer zu ihnen gesagt hatte. Wie sonst sollte ein anständiger Barbar auch mit solch hanebüchenem Unsinn umgehen?

      Derart in Gedanken versunken bemerkte er die Gestalt erst spät, die sich ihm in der Dunkelheit näherte. Er erkannte sie dann jedoch sofort. Es war Vorak der Verstümmler, ein weiterer Heerführer in seinen Diensten, dessen Fähigkeiten jedoch bei Weitem nicht an die des leider verblichenen Zerfetzers heranreichten.

      »Ah, Vorak!«, begrüßte Storne seinen Untergebenen fröhlich. »Mein bester Feldherr, wie geht es dir denn so?«

      Der rothaarige, bärtige Barbar sah seinen König überrascht an. »Bester Feldherr? Ich dachte, das wäre Zorm.«

      »Äh, ja natürlich«, berichtigte sich Storne rasch. »Ich meinte ja auch zweitbester Feldherr. Aber darüber unterhalten wir uns ein andermal. Jetzt verrate mir doch erst einmal, ob deine Männer gut vorbereitet sind für den großen Feldzug gegen die Amazonen.«

      »Na ja, darüber wollte ich gerade mit dir reden«, erklärte Vorak.

      Er tat dies mit einem Zögern, das eines Barbaren natürlich nicht würdig war. Prompt fühlte sich Storne auf unangenehme Weise an das Gebaren Zorms erinnert. Noch mehr davon wollte der König jedoch auf gar keinen Fall über sich ergehen lassen. Sein Gesicht verfinsterte sich deshalb zusehends und in erschreckendem Maße.

      »Sprich, Mann!«, forderte er mit einem drohenden Knurren. »Sprich sofort! Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dir sonst die Zunge aus dem Maul reiße und sie dir an deine Stirn nagle.«

      »Ein paar der Männer haben Bedenken bezüglich des Feldzugs geäußert«, berichtete Vorak nun hastig. »Nicht viele, nur vier oder fünf von ihnen. Sie sagten etwas von Gewalt gegen Frauen und dass sie damit nicht einverstanden wären. So etwas würde sich nicht mit ihren ethischen Grundsätzen vereinbaren lassen, haben sie gesagt.«

      Storne Stahlhand zuckte zusammen. Schon wieder drangen völlig unbekannte Worte an sein Ohr, die nur einem gänzlich verwirrten Geist entsprungen sein konnten. Darüber hinaus verspürte er ein stärker werdendes Kribbeln in seiner rechten Hand. Irgendwas zog sie wie ein Magnet in Richtung seines Haupthaars.

      Er rang sich trotzdem ein hohnvolles Lachen ab. »Jede Amazone würde sich totlachen über so alberne Einwände. Danach würde sie den, der sie geäußert hat, wahrscheinlich bei lebendigem Leib häuten und ihn dann noch mal fragen, was er da gerade über Gewalt gegen Frauen gesagt hat.«

      »Ich sehe das ja auch so«, gab Vorak zu. »Aber die Jungs wollen trotzdem wissen, ob auch wirklich alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft wurden.«

      Storne verlor nun gänzlich die Kontrolle über seine Rechte. Sie schoss nach oben und pflügte durch sein Haar.

      »Natürlich wurden alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft«, erwiderte er entnervt. »Wir haben einen Unterhändler geschickt, der sich mit einer Abgesandten der Amazonen auf neutralem Boden getroffen hat. Dort hat er unsere berechtigten und äußerst vernünftigen Forderungen überbracht, dass sich die Amazonen gefälligst zu unterwerfen haben und sie meine uneingeschränkte Herrschaft bedingungslos anerkennen sollen. Die Gesandte der Amazonen hat dieses großzügige Angebot abgelehnt, woraufhin ihr unser Abgesandter den Kopf vom Hals geschlagen hat. Also mehr Diplomatie geht doch nun wirklich nicht!«

      »Aha … nun gut. Aber da ist noch etwas.« Wieder druckste Vorak herum, doch ein Blick in die zornigen, tiefschwarzen Augen des Königs ließ ihn schleunigst fortfahren. »Wir alle bewundern natürlich deine enorme Stärke, deine mächtigen Muskeln und die Makellosigkeit deiner Bräune. Wie du deine Brustmuskeln zucken lassen kannst, imponiert uns natürlich auch ungemein. Doch einige von uns haben sich die Frage gestellt, ob diese Eigenschaften wirklich ausreichen, um ein guter Herrscher zu sein.«

      Storne Stahlhand schwieg. Kein Laut drang über seine Lippen, während er seinen Untergebenen eine Zeit lang mit versteinerter Miene anstarrte. Dieser sah