Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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die vielen bunten Blumen, die vor fast jedem Hütteneingang wuchsen. Anscheinend gab es wirklich Dorfbewohner, die ihre Zeit mit dem Heranziehen dieses überflüssigen Unkrauts verschwendeten. Warum vernunftbegabte Wesen etwas derart Blödsinniges taten, das konnte sich der König beim besten Willen nicht erklären. Die allgegenwärtige Harmonie, die dieser Ort ausstrahlte, verursachte zudem ein starkes Gefühl der Entfremdung in ihm. Dies war nicht mehr das Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen war. Hier fühlte er sich ganz und gar nicht mehr heimisch und wohl.

      Aber auch die Einwohner des Barbarendorfs hatten sich verändert. Ohne dass es jemand zu stören schien, tollten die Kinder lachend und spielend umher, obwohl sie sich doch eigentlich im bewaffneten Zweikampf hätten messen oder sich der Körperertüchtigung hätten widmen sollen. Die Frauen standen tratschend und kichernd in kleinen Gruppen zusammen, statt sich um die Wunden ihrer Männer zu kümmern oder in anderer Form für deren leibliches Wohl zu sorgen. Selbst dieses unverschämte Verhalten fand keinerlei Widerspruch und wurde anstandslos geduldet.

      Für blankes Entsetzen in Storne sorgte letztendlich der Umstand, dass alle männlichen Barbaren ohne Waffen herumliefen und sie außerordentlich seltsam gekleidet waren. Sie trugen bunte Kleidung aus dickem Leinen, die fast ihre ganzen Körper verdeckte. Ihre massigen, beeindruckenden Muskeln konnte man so überhaupt nicht sehen.

      All das verstörte den König sehr. Er fühlte sich überfordert, kaum noch in der Lage, diesen fürchterlichen Traum noch länger ertragen zu können. Doch sein Begleiter, der Zerfetzer, zeigte kein Erbarmen. Fröhlich winkend rief er eine der Dorfbewohnerinnen herbei, die ihren Weg durch das Dorf zufällig kreuzte. Leise stöhnend stellte Storne fest, dass es sich bei dieser um Froengi handelte.

      Die Mittdreißigerin trug ein farbenfrohes Kleid und hatte es tatsächlich gewagt, sich Schminke in ihr altes, verbrauchtes Gesicht zu schmieren. Darüber hinaus zeigte ihr Gebaren keinerlei Respekt oder Unterwürfigkeit, sondern nur ein geradezu empörendes Selbstbewusstsein.

      »Froengi, meine Teuerste!«, begrüßte Zorm die Greisin. »Erzähle uns doch ein wenig über das Leben hier im Dorf!«

      »Oh, es ist einfach wunderbar«, frohlockte Froengi. Ihr Lächeln war dabei so strahlend und jugendlich, als hätte sie ihre besten Jahre nicht schon längst hinter sich gelassen. »Wir alle leben hier in vollkommener Eintracht und Zufriedenheit – frei und ohne Sorgen. Wir machen nur, was uns gefällt, wobei wir einander stets achten und respektieren. Es gibt keine Waffen, keine Gewalt und keine Kämpfe mehr. Da alle anderen Rassen und Völker Archainos ebenfalls den Pfad der Gewaltlosigkeit gewählt haben, gibt es auch keine Kriege mehr. Wir leben in einer Welt des Friedens und der Liebe, in der jedes Wesen auf seine Art glücklich werden kann.«

      Storne Stahlhand verspürte ein leichtes Schwindelgefühl. Alles um ihn herum schien sich zu verändern. Die Umgebung verschwamm, sie wurde unscharf wie eine Spiegelung in unklarem Wasser und die Menschen wurden mehr und mehr zu geisterhaften Schatten. Möglicherweise war dies ein Anzeichen dafür, dass sich sein Traum dem Ende neigte – so hoffte er zumindest. Vielleicht war es aber auch nur die Reaktion seines Verstandes auf diesen kolossalen Schwachsinn, den das alte Weib da von sich gegeben hatte.

      »Wer ist euer König?«, wollte er wissen. »Wer lässt es zu, dass dieser ganze Unfug hier geschieht? Bin ich etwa noch euer Herrscher?«

      Froengi sah ihn mitleidig und ein wenig amüsiert an. Storne nahm dies wie durch einen Schleier wahr.

      »Aber nein«, sagte sie. »Wir haben gar keinen König mehr. Wir entscheiden alle gemeinsam über die Belange des Stammes. Wenn eine wichtige Entscheidung ansteht, versammeln wir uns alle im Langhaus und stimmen darüber ab. Jede Stimme zählt dabei gleich viel. Wir nennen das Demokratie.«

      Storne hatte genug. Er wollte nicht länger in dieser abstrusen Traumwelt verweilen. Seine rechte Hand fand ihren Weg in sein Haar, während er ächzend sein Haupt senkte. Erst als er so an sich herabsah, bemerkte er, dass auch er diese seltsame Kleidung aus Leinen trug, welche die Pracht seines famosen Leibes vollständig verbarg. Dann fiel sein Blick dorthin, wo sich eigentlich seine stahlharten, völlig fettfreien Bauchmuskeln befinden sollten. Eine beachtliche Wampe wölbte nun dort den groben Stoff.

      Schweißnass und schreiend erwachte Storne Stahlhand aus seinem Traum. Sein Herz schlug wie eine Kriegstrommel und er keuchte, als hätte er gerade einen Oger huckepack durch den Wald getragen. Die seltsamen Äußerungen Froengis und Zorms schwirrten noch durch seinen benommenen Verstand. Es beunruhigte ihn sehr, dass nun auch schon sein Unterbewusstsein damit anfing, sich alberne, neue Wörter auszudenken. Das noch immer vor seinem inneren Auge präsente Bild seines verunstalteten Körpers beunruhigte ihn jedoch wesentlich mehr.

      »Nun krieg dich mal wieder ein, du elende Memme«, maßregelte er sich selbst. »Was bist du, ein Barbar oder ein verängstigter Säugling? Das war nur ein Traum, ein öder, blöder Traum.«

      Um sich gänzlich von der Richtigkeit dieser Aussage zu überzeugen, strich er sich mit der Hand behutsam über seine Körpermitte. Die steinharten, deutlich herausragenden Erhebungen, über die seine Fingerspitzen dabei glitten, ließen ihn erleichtert aufatmen.

      Danach erhob er sich von seinem Bett, einem mit Tierfellen bedeckten Gestell, das aus dicken, mit Lederriemen zusammengebundenen Ästen bestand. Obwohl es sich um die Hütte des Königs handelte, war auch die übrige Einrichtung dieser Unterkunft eher schlichter und rein zweckmäßiger Natur. Unnötiger Zierrat und Gerümpel waren jedem Barbaren ein Graus. Neben dem Bett gab es lediglich einen Tisch mit vier Stühlen, ein paar Truhen, einen aus groben Steinen gemauerten Kamin und eine Vielzahl von Waffen, die mit Haken an der Wand befestigt waren. Da in dem Kamin kein Feuer brannte, war das kleine Fenster der Hütte zurzeit die einzige Lichtquelle. Doch auch diese war momentan wenig ergiebig, da es – anders als in Stornes Traum – noch tiefste Nacht war. Die herrschende Finsternis hielt den König jedoch nicht davon ab, die Tür seiner Behausung zu öffnen und einen kurzen Blick hinaus zu werfen.

      Das Dorf lag ruhig und so wie er es kannte vor ihm. Keine farbenfrohen Hütten oder bunten Blumen beleidigten sein Auge. Wieder entrang sich seinem Brustkorb ein erleichtertes Seufzen. Er schloss die Tür, ging zu seinem Bett und legte sich beruhigt darauf nieder. Nach nur wenigen Augenblicken fiel er wieder in einen tiefen, diesmal traumlosen Schlaf.

      Nach seinem Empfinden waren erst wenige Minuten vergangen, als ihn ein lautes, unbekanntes Geräusch erneut aus dem Schlaf riss. Es war ein durchdringendes, schräges Tröten, wie er es noch nie zuvor vernommen hatte und das ihn erschrocken hochfahren ließ. Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster drangen, widerlegten seine Vermutung bezüglich der Dauer seines Schlafes, was ihm jedoch einerlei war.

      Ihn erfasste eine unbändige Wut auf den Verursacher dieses infernalischen Lärms, der nun ohne Unterlass seine Trommelfelle drangsalierte. Keinem Dorfbewohner war das Verursachen lauter Geräusche gestattet, bevor der König aus seinem hoheitlichen Schlummer erwacht war. Dieser Krach stellte somit auch einen ungeheuerlichen Affront und eine Missachtung seiner Autorität dar.

      Wie ein wilder Stier, die Zornesröte im Gesicht und der Raserei nahe, stürmte Storne deshalb aus seiner Hütte. Dass er barfuß war und noch seinen Schlaf-Lendenschurz trug, bemerkte er dabei gar nicht. Ihn trieb nur noch das Bestreben, den Ruhestörer rasch ausfindig zu machen und dem Krawall ein Ende zu bereiten.

      Recht schnell entdeckte er den Störenfried neben dem Dorfbrunnen. Es war kein Angehöriger des Stammes, es war noch nicht mal ein Barbar. Ein ziemlich mickrig aussehendes Kerlchen stand da, fremdartig bekleidet mit hohen Stiefeln, einer knielangen, weißen Tunika und einem blauen Wappenrock darüber. Das Wappen auf seinem Rock zeigte einen aufrecht stehenden, weißen Löwen. Eine ebenso weiße, lange Feder zierte die alberne Mütze auf dem Kopf des Fremden.

      An seine Lippen presste er ein seltsames, goldfarbenes Musikinstrument. Es bestand aus einer langen, mehrfach gewundenen Röhre, die in einer trichterförmigen Öffnung endete. An die Kriegshörner der Barbaren erinnerte dieses Ding den König, nur dass es nicht aus dem Horn eines Tieres gemacht war, sondern aus Metall.

      Voller Inbrunst, die Backen aufgebläht wie die Schallblasen eines Frosches, blies der Unbekannte in sein Musikinstrument. Die drohende Gefahr, die sich ihm in Form eines wutschnaubenden