Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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Magier betrachtete die vor ihm liegende Kette gramerfüllt. »Ja, auch ich habe noch nicht die Hoffnung verloren. Doch selbst wenn sich diese als unbegründet erweist, müssen wir dem untoten Haderlumpen endgültig den Garaus machen.«

      »So ist es!«, stimmte der Barbarenkönig ihm zu. »Der Halslutscher muss weg! Seinen verderblichen Einfluss auf meinen Stamm kann auch ich nicht hinnehmen. Deshalb werde ich Euch begleiten – als Führer und als zusätzlicher Streiter. In einem Kampf gegen eine so mächtige Kreatur dürfte Euch etwas schlagkräftige Hilfe wohl sehr gelegen kommen. Wir sollten sofort aufbrechen!«

      Grahlum der Greise schien von dieser Idee nicht sehr begeistert zu sein. »Hältst du es für klug, dich als Herrscher in ein solches Abenteuer zu stürzen? Du trägst immerhin die Verantwortung für den ganzen Stamm auf deinen Schultern. Wäre es nicht ratsamer, einen deiner Männer zu schicken?«

      »Unter normalen Umständen würde ich dir sicherlich Recht geben.« Storne atmete schwer aus. »Aber zurzeit kann ich keinem meiner Männer uneingeschränkt vertrauen. Was ist, wenn ich einen von denen auf diese Mission entsende und er auf einmal die Lust daran verliert, weil er urplötzlich die Mimose in sich entdeckt oder lieber bunte Topflappen häkeln möchte? Dieses Risiko ist mir zu hoch. Ich will diesem Spuk ein rasches Ende bereiten.«

      »Und wenn sich die finstere Aura des Vampirs auch deiner Seele bemächtigt?«, gab der Greise zu bedenken. »Wir können nicht wissen, ob überhaupt jemand dagegen immun ist.«

      Der König erhob sich von seinem Hocker und legte dem Druiden seine Hand auf die Schulter. »Dann, mein Freund, ist ohnehin alles verloren.«

      5

      Femaltosa, die Hauptstadt des Amazonenreichs, lag vor ihr.

      Sie hatte soeben den Rand des Dschungels erreicht, sodass sie in der Ferne bereits die ersten Gebäude durch das dichte Blattwerk der Bäume erspähen konnte. Nur ein paar sanfte, mit saftigem Gras bewachsene Hügel trennten sie noch von ihrem Ziel. Hinter diesen streckten sich Türme, Häuser, Säulen und Tempel aus Marmor oder hellem Kalkstein empor. Der Schein der Mittagssonne verlieh diesen Bauwerken das Aussehen schneeweißer, in ein Tuch aus grünem Samt gebetteter Juwelen – ein Anblick, der normalerweise für ein wohliges Gefühl der Heimkehr in Tissha sorgte.

      Dieses Mal trübte jedoch ihre glücklose Jagd dieses Empfinden. Ihre Mutter würde es bestimmt nicht sehr erfreut zur Kenntnis nehmen, dass sie ohne das entflohene Männchen heimkam. Dass sich ihr liebster Gespiele zurzeit seinen Weg durch die Verdauungsorgane eines Krokodils bahnte, würde der Königin wohl noch viel weniger gefallen. Schon jetzt bedauerte Tissha den armen Kerl, der den Zorn ihrer Mutter zu spüren bekommen würde. Aber für solche Anlässe gab es ja schließlich die Prügelknaben, von denen sich nahezu jede Amazone einen hielt.

      Eine Strafpredigt würde aber auch Tissha nicht erspart bleiben, weshalb sie ihren Weg nur mit wenig Begeisterung fortsetzte. Schnell erreichte sie dennoch die breite, mit hellen Steinen gepflasterte Straße, die sich durch die Hügel wand und in die Stadt hineinführte. Dass sie niemandem begegnete, während sie gemächlich auf dieser einherging, wunderte sie nicht. Nur selten verließ jemand Femaltosa südwärts in Richtung Dschungel. Die Wege nach Westen oder Norden aus der Stadt heraus wurden weit häufiger genutzt.

      Als sie jedoch die ersten Gebäude erreichte und noch immer keine lebende Seele entdecken konnte, wurde sie stutzig. Die sonst so betriebsame Ortschaft war wie ausgestorben. Noch nicht einmal irgendwelche Geräusche drangen aus den zwei- oder mehrstöckigen Wohnhäusern.

      Während sie zwischen diesen weißen, mit prächtigen Balkonen versehenen Bauwerken hindurchging, suchte sie vergeblich nach einer Erklärung für diese ungewohnte Stille. Es war ein ganz normaler Tag und keiner dieser Feiertage, die von den Amazonen mit dem Huldigen ihrer Göttinnen verbracht wurden. Die prunkvollen, aus hohen Säulen und marmornen Dächern bestehenden Tempel, an denen sie vorbeiging, waren deshalb auch allesamt menschenleer.

      Wo waren dann also all ihre Schwestern? Gab es irgendeine Schlacht, von der sie nichts wusste? Der Feldzug gegen die Barbaren war doch abgesagt worden, noch bevor sie sich aufgemacht hatte, um das entlaufene Haustier wieder einzufangen.

      Auf einer Kreuzung, in deren Mitte sich klares Wasser aus einem großen, runden Brunnen ergoss und kaskadenförmig an selbigem herunter plätscherte, blieb sie stehen. Sie hatte eine Bewegung zu ihrer Linken wahrgenommen. Doch es waren nur ein paar Männchen, die man mit der alltäglichen Säuberung und Pflege Femaltosas beauftragt hatte. Schweigend und mit gesenkten Häuptern, so wie es sich für das Mannsvolk gehörte, verrichteten sie ihre Arbeit. Einige fegten die Straßen, andere putzten die Fassaden der Gebäude und wieder andere kümmerten sich um die sorgsam arrangierten Blumenbeete, von denen eine Vielzahl das Stadtbild verschönerte. Die Amazonen legten halt großen Wert darauf, dass ihr urbanes Umfeld ebenso perfekt war wie sie selbst.

      Tissha setzte ihren Weg in Richtung Stadtmitte und somit zum Palast der Königin fort.

      Von dort drang bald ein lautes Raunen und Gemurmel zu ihr, das offenbar von einer großen Menschenmenge verursacht wurde. Irgendetwas Ungewöhnliches schien dort vor sich zu gehen und das erregte großes Interesse in ihr. Von der Neugier getrieben beschleunigte sie also ihren Schritt.

      Sie durchquerte mehrere Parkanlagen, lief an dem beeindruckenden, von Arkaden umkränzten Amphitheater vorbei und erreichte zügig die Allee, die geradewegs zum Herrschaftssitz ihrer Mutter führte. Sorgsam zurechtgestutzte Zypressen und imposante Statuen, die zumeist berühmte Kriegerinnen darstellten, säumten abwechselnd diesen breiten Pfad. Erst nachdem sie diesem eine Weile lang gefolgt war, konnte sie die unzähligen Amazonen erkennen, die den weitläufigen Platz vor dem Palast bevölkerten. Scheinbar sämtliche Einwohnerinnen dieser Stadt hatten sich dort ohne ersichtlichen Grund versammelt.

      Sie blieb einen Augenblick lang stehen und betrachtete verblüfft die vielen Hundert Frauen, die sie zum Großteil persönlich kannte. Deren Aussehen entsprach natürlich ausnahmslos dem gestrengen Schönheitsideal der Amazonen. So wie auch Tissha waren sie alle hochgewachsen, schlank und durchtrainiert, ohne dabei übermäßig muskulös zu wirken. An Oberweite besaßen sie angesichts ihrer grazilen Körper erstaunlich viel, doch nicht so viel, dass es zu üppig erschien oder die Ästhetik ihrer tadellosen Erscheinungen störte. Ihre allesamt anmutigen Gesichter, die samtene Haut und ihr volles, glänzendes Haar komplettierten dieses Bild typischer Amazonen. Makel oder Schönheitsfehler kannten die Angehörigen dieses Volkes nicht. Ihre Herkunft machte sie immun gegen Mängel dieser Art.

      »Gibt es hier etwas umsonst?«, fragte Tissha eine ihrer Artgenossinnen, nachdem sie sich in das Getümmel begeben hatte. Es war Kihna, eine blond gelockte Kriegerin, an deren Seite sie schon oftmals gekämpft hatte. »Oder was treibt ihr alle hier?«

      »Prinzessin!«, rief die blonde Amazone überrascht und aufgeregt. »Gut, dass Ihr hier seid. Etwas Außergewöhnliches geschieht gerade im Palast, etwas, das es vorher noch nie gegeben hat. Sossha ist mit ein paar anderen Kriegerinnen vor die Königin getreten, um einige Maßnahmen bezüglich der Verbesserung unserer Lebensbedingungen einzufordern.«

      »Verbesserung unserer Lebensbedingungen?« Tissha sah verwirrt drein. Sie kannte Sossha sehr gut, schon als Kinder hatten sie zusammen gespielt. »Was gibt es denn an unserem Leben zu verbessern? Wir haben doch alles, was wir für ein sorgenfreies Dasein benötigen: Nahrung im Überfluss, eine wunderschöne, saubere Stadt, Kleidung und jede Menge Schminkutensilien. Die Männer erledigen jede anstrengende oder schmutzige Arbeit für uns, wenn sie sich nicht gerade um ein anderes Bedürfnis kümmern müssen, das unsereins so haben könnte. Was bitte soll man da noch verbessern?«

      Kihna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung! Ein paar Mädels haben aber erzählt, Sossha gäbe schon seit einigen Tagen seltsame Dinge von sich. Sie wolle sich für Gleichberechtigung einsetzen, hätte sie gemeint, was immer das auch bedeuten soll. Einige der Schwestern waren aber wohl ihrer Meinung und haben sich ihr angeschlossen. Vor einer Stunde sind sie dann gemeinsam in den Palast marschiert, um ihre Forderungen zu stellen.«

      Die Blondine lachte laut auf. »Stellt Euch das doch nur einmal vor – gewöhnliche Amazonen nehmen sich das Recht heraus, irgendwelchen Blödsinn von der Herrscherin zu fordern.