Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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aus ihren Käfigen heraus anstarren – einfach entwürdigend.«

      »Na ja«, meldete sich nun eine weitere Amazone zu Wort. Die Tunika, die sie trug, war bis zu ihrem Bauchnabel hin ausgeschnitten. »Das stört mich eigentlich weniger. Wenn es mir dann doch mal zu viel wird, bekommt der Bursche einfach ein paar Hiebe mit der Peitsche übergebraten. Wenn er jedoch ansehnlich ist, nehme ich ihn meist mit in meine Gemächer.«

      Die anderen Amazonen kicherten leise, doch Sossha schien nicht amüsiert zu sein.

      »Ja aber das kann es doch nicht sein!«, ereiferte sie sich. »Außer roher Gewalt haben wir doch keinerlei Handhabe, um sie in ihre Schranken zu weisen. Na gut, vielleicht noch Essensentzug, Strafarbeiten oder andere seelische Folter – aber das war es dann auch schon. Diese Burschen haben einfach zu wenig Rechte. Man beraubt uns somit der Möglichkeit, sie mit rechtlichen Einschränkungen zu maßregeln oder uns wenigstens für ein solches Vorgehen zu engagieren. Vielleicht sollten wir mal darüber reden, wie wir dies ändern können.«

      Erneut fanden Sosshas Worte Anklang bei ihren Mitstreiterinnen. Neben sich vernahm Tissha das leise Aufseufzen ihrer Mutter.

      »Wartet!« Die Prinzessin ließ ihren Blick über die vor ihr stehenden Amazonen gleiten. »Ihr wollt den Männern mehr Rechte geben, um euch dann dafür einsetzen zu können, dass man ihnen diese wieder beschneidet? Missstände erschaffen, um sich gegen sie auflehnen zu können – wie bekloppt ist das denn bitte?«

      Da ihr bereits der Nacken vom vielen Kopfschütteln schmerzte, wartete sie nicht auf eine Antwort. Sie hatte ohnehin mehr als genug von dieser sinnfreien Diskussion.

      »Überhaupt ist eure ganze Vorstellung hier eine einzige Lachnummer! Eure Argumente sind nur ein großer Haufen Koboldkacke! Wir Frauen herrschen uneingeschränkt über das Land der Amazonen – jetzt und auch in Zukunft. Wir herrschen über das Land und über jeden einzelnen seiner männlichen Einwohner. Wir können tun und lassen, was wir wollen; wir können anziehen, was wir wollen und wir können unsere Haustiere behandeln, wie wir wollen. Wie kommt ihr durchgeknallten Weiber also auf diese völlig hirnrissige Idee, irgendeine von uns könnte dem anderen Geschlecht gegenüber benachteiligt werden? Gleichstellungsbeauftragte – was genau stimmt denn mit euch nicht?«

      Die selbst ernannten Frauenrechtlerinnen sahen betreten und schweigend zu Boden. Offenbar vermochten sie es nicht, den Ausführungen Tisshas irgendwas entgegenzusetzen. Nur Sosshas Streitlust schien noch ungebrochen zu sein.

      »Was du sagst, stimmt leider nicht so ganz«, verkündete sie trotzig und mit siegessicherer Miene. »Es gibt da etwas, das ausschließlich den Männern vorbehalten ist. Warum genießen nur sie das Privileg, unterdrückt zu werden? Was ist, wenn sich auch eine Frau in die Sklaverei begeben möchte? Wird uns dieses Recht auf freiwillige Knechtschaft etwa nicht verweigert?«

      Tissha legte ihren Kopf leicht schräg und formte ein mitleidiges Lächeln mit ihren vollen Lippen. »Ernsthaft, Sossha? Jetzt wird es aber wirklich lächerlich, oder?«

      Sie sprach nicht weiter, weil etwas an der rothaarigen Amazone ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie trat ganz nahe an selbige heran und untersuchte ihr Gesicht mit zusammengekniffenen Augen.

      »Was hast du denn da?«

      »Wo?« Sossha betastete vorsichtig ihre Wangen. Als eine ihrer Fingerspitzen auf eine kleine, rötliche Erhebung stieß, riss sie ihre Augen weit auf. »Was … was ist das?«

      Ihre Begleiterinnen taten es Tissha gleich und mit neugierigen Blicken taxierten sie das Antlitz ihrer Rädelsführerin.

      »Das ist ein Pickel!«, stellte die Amazone in der weit ausgeschnittenen Tunika plötzlich voller Bestürzung fest.

      Alle anwesenden Frauen wichen vor Sossha zurück, als wäre sie soeben in Flammen aufgegangen. Einige schlugen sich entsetzt ihre Hände vor den Mund, andere begannen sogar hysterisch zu kreischen. Selbst Khelea zuckte erschrocken auf ihrem Thron zusammen.

      »Das ist unmöglich!«, rief sie erschüttert. »Wir sind Amazonen – wir bekommen keine Pickel!«

      Auch Tissha hatte sich rückwärts ein paar Schritte von ihrer Freundin entfernt. »Aber da ist einer, ganz eindeutig! Ich habe solche Wucherungen schon mal bei Männern gesehen.«

      »Das ist ja schrecklich!«, schluchzte nun die brünette Amazone mit bebender Stimme. Die Furcht trieb ihr die Tränen in die Augen »Ist das etwa ansteckend? Könnten wir etwa auch solche widerwärtigen Verunstaltungen bekommen?«

      Das erste Mal seit Anbeginn der Zeit sahen sich die Amazonen mit einer Hautunreinheit konfrontiert. Die anwesenden Frauen gerieten aufgrund dessen in Aufruhr. Sie plapperten wild durcheinander, verliehen lautstark ihrer Besorgnis Ausdruck oder stellten Vermutungen darüber an, wie es zu der Deformation Sosshas kommen konnte. Stimmen wurden laut, dass es jetzt vielleicht sogar zu weiteren, anderen Missbildungen kommen könnte. Grauenerregende Wörter wie Krähenfüße, Tränensäcke oder gar Krampfadern wurden hinter vorgehaltener Hand geflüstert.

      Die Geschädigte selbst sah indes hilfesuchend um sich. Ganz eindeutig hatte sich eine leichte Panik ihrer bemächtigt, wofür unter den gegebenen Umständen auch wirklich jede Amazone Verständnis gehabt hätte. Nach einer Weile gelang es ihr jedoch, ihre Fassung wieder zu erlangen. Beeindruckt stellte Tissha fest, dass Sossha nun sogar versuchte, einen Nutzen aus ihrem furchtbaren Schicksalsschlag zu ziehen.

      »Da könnt ihr mal sehen, liebe Schwestern, wie sehr wir in dieser Gesellschaft auf unser Äußeres reduziert werden!«, rief sie in der Absicht, das eigentliche Thema dieser Zusammenkunft wieder in den Vordergrund zu rücken. »Seht doch nur, wie immens euch mein kleiner Makel verunsichert. Das ist das Ergebnis eines völlig übertriebenen Schönheitswahns, der uns Frauen seit unserer Geburt aufgezwungen wird. Wollt ihr euch etwa weiter diesem Diktat beugen?«

      Die von ihr erwünschte Resonanz blieb aus. Zu geschockt waren ihre Mitstreiterinnen von dem Anblick ihres entstellten Gesichts. In ihren Köpfen gab es neben ihrer Betroffenheit und Furcht derzeit keinerlei Platz für andere Gedanken.

      »Gib es auf, Sossha«, forderte die Königin deshalb mit triumphierendem Lächeln. »Für deinen Gleichberechtigungs-Mumpitz interessiert sich hier nun wahrlich niemand mehr.«

      Mit kraftvoller Stimme wandte sie sich an die anderen Anwesenden. »Aber, liebe Schwestern, was sollen wir jetzt tun? Wir wissen nicht, was Sossha befallen hat. Ist es eine Krankheit? Vielleicht sogar eine Seuche? Wäre es ratsam, Sossha frei herumlaufen zu lassen, obwohl wir nicht wissen, woran sie leidet und ob es ansteckend ist?«

      Sie warf ihrer Tochter einen vielsagenden Blick zu und diese verstand sofort, was ihre Mutter nun von ihr erwartete.

      Während im Saal über die Fragen der Königin nachgedacht oder beratschlagt wurde, trat Tissha vor ihre ahnungslos dreinblickende Freundin. Mit einem kurzen Blick in die Runde vergewisserte sie sich davon, dass Sossha auf keinerlei Beistand der anderen Kriegerinnen mehr zählen konnte.

      »Tut mir echt leid, Herzchen«, drückte sie dann ihr aufrichtiges Bedauern aus.

      Mit einem kraftvollen, technisch einwandfrei ausgeführten Kinnhaken schickte sie die rothaarige Amazone anschließend zu Boden. Die anderen Frauen verstummten und sahen auf die Bewusstlose herab.

      »Bringt sie in ihre Gemächer!«, befahl die Königin. »Sperrt sie dort ein, bis wir mehr über ihr seltsames Leiden herausgefunden haben. Nehmt aber den Hinterausgang, die Menge vor dem Palast soll von alledem nichts mitbekommen.«

      Mit ernster Miene und finsterem Blick musterte sie jede einzelne ihrer Untertaninnen im Saal. »Und was euch betrifft: Ich weiß nicht, welcher Irrsinn sich in eure Hirne geschlichen hat und warum ihr Sossha gefolgt seid. Auch mit euch stimmt irgendwas nicht, das ist mal sicher. Also werdet ihr in den nächsten Tagen eure Häuser auch nicht verlassen. Darüber hinaus will ich nie wieder etwas von Gleichberechtigung, Femminisstuss oder so einem Quatsch hören. Sollte eine von Euch meinem Befehl nicht Folge leisten, werde ich mir aus ihrer Haut ein paar neue Handschuhe oder einige andere modische Accessoires machen. Gleiches gilt natürlich für den Fall, dass ihr irgendjemandem davon erzählt, was hier heute vorgefallen