Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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ja vielleicht sofort hier auf diesem Platz gevierteilt.«

      »Ach, deshalb seid ihr alle hier zusammengekommen«, vermutete Tissha. »Die Sensationsgier hat euch herbeigelockt.«

      Ihre Gesprächspartnerin nickte eifrig. »Na klar! Ein solches Schauspiel will sich natürlich keine von uns entgehen lassen. Wir Amazonen sind Kriegerinnen – aber wir sind auch Frauen!«

      Die Prinzessin lächelte, obwohl die Sorge um ihre Freundin aus Kindheitstagen sie bereits ergriffen hatte. Sollte es Sossha tatsächlich gewagt haben, die Königin mit irgendwelchen unsinnigen Anliegen zu behelligen, war es um ihr Weiterleben wahrhaftig nicht gut bestellt. Ihre Mutter war beileibe nicht für ihre Nachsicht oder Mildtätigkeit bekannt.

      Ohne weitere Verzögerung bahnte sie sich deshalb ihren Weg durch die Menge zum Palast, dem beeindruckendsten und gewaltigsten Bauwerk der Stadt. Mächtige Säulen umgaben diesen rechteckigen Bau aus weißem, grau geädertem Marmor, der auf einem hohen, reich ornamentierten Sockel ruhte. Sie trugen das flache Satteldach, dessen Stirnseite mit kunstvollen, lebensgroßen Reliefs verschiedener Göttinnen und legendärer Kriegerinnen verziert war. All das hatte solch enorme Ausmaße, dass es bei niedrigem Stand der Sonne einen großen Teil der Stadt in Schatten tauchte.

      Dieser Pracht jedoch keinerlei Aufmerksamkeit schenkend hastete Tissha die breite Treppe empor, die zum Eingang des Palastes führte. Die zwei Amazonen, die das riesige Tor flankierten, standen bei ihrem Anblick stramm und salutierten, indem sie das untere Ende ihrer langen Speere einmal auf den Boden schlugen. Ihre Augen blickten dabei stur geradeaus an der Prinzessin vorbei. Auch ihre Köpfe, auf denen sie bronzene, mit einem Kamm aus Pferdehaar verzierte Helme trugen, verharrten starr und regungslos.

      Dieses Gebaren gehörte ebenso zu ihrer Tätigkeit als Palastwache wie ihre Gewandung, die sich deutlich von der herkömmlichen Kleidung der Amazonen unterschied. Üblicherweise trugen die Angehörigen dieses Volkes leichte, recht knappe Lederrüstungen oder weiße, nicht immer blickdichte Tuniken, die ihnen maximal bis zu den Knien reichten. Lederstiefel oder hoch geschnürte Sandalen waren indes das verbreitetste Schuhwerk. Die beiden Wächterinnen mussten jedoch Schilde und Harnische aus Metall tragen. Allerdings bedeckten diese Rüstungen auch nur einen äußerst geringen Teil der gesamten Körperfläche. Ihren Nutzen im Kampf hätte deshalb wohl auch jeder halbwegs erfahrene Krieger infrage gestellt.

      Nachdem Tissha das Tor durchschritten und den Thronsaal betreten hatte, vernahm sie auch schon das unverkennbar durchdringende, enervierende Geräusch streitender Amazonen. Auf der gegenüberliegenden Seite des pompösen, über fünfzig Meter langen Saals sah sie ihre Mutter auf ihrem goldenen Thron sitzen. Ein Dutzend hektisch plappernder, wild gestikulierender Frauen stand vor der Königin. Diese hatte ihren rechten Ellenbogen auf die Armlehne gestützt und ihre Stirn in ihre Handfläche gebettet. Tissha kannte sie gut genug, um zu wissen, dass diese Körperhaltung unter Umständen das erste Anzeichen eines bevorstehenden Blutvergießens sein konnte.

      Mit großen Schritten eilte sie darum dem Thron entgegen. Der widerhallende Klang, den ihre Stiefel auf dem spiegelglatten Marmorboden verursachten, ließ ihre Mutter aufblicken und alle anderen Anwesenden verstummen.

      »Meine Tochter!« Königin Khelea atmete erleichtert auf. »Wie froh ich bin, dich zu sehen. Bitte befreie mich von diesen hohlen Tussen, bevor ich ihnen eigenhändig die Hälse umdrehe!«

      Die anwesenden Amazonen sahen sie entrüstet an.

      »Verzeiht, Eure Majestät, aber so despektierlich dürft selbst Ihr uns nicht behandeln!«, echauffierte sich Sossha.

      Wie Tissha es von ihr gewohnt war, trug sie eine schwarze, mit Nieten besetzte Lederrüstung und dazu passende, hohe Stiefel. Zusammen mit ihren feuerroten Haaren, die sie straff nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, verlieh ihr dieser Aufzug ein recht strenges Aussehen.

      Die Königin in ihrer blütenweißen, mit silbernen Stickereien versehenen Robe schaffte es dennoch, wesentlich mehr Dominanz auszustrahlen. Jede einzelne Faser ihres Körpers schien die Verkörperung herrschaftlicher Macht und Autorität zu sein.

      »Schweig, Sossha!«, befahl sie. »Du stehst ohnehin schon kurz davor, ein paar deiner Gliedmaßen einzubüßen. Die Meute vor dem Palast wartet schon sehnsüchtig darauf, dich in möglichst viele Teile zerlegt bewundern zu dürfen.«

      »Jetzt beruhigt euch alle mal ein bisschen«, schlug Tissha vor, während sie sich neben den Thron und somit an die Seite der Königin stellte. »Um was geht es denn hier überhaupt?«

      Ihre Mutter stieß ein verächtliches und von Herzen kommendes Schnaufen aus. Obwohl sie schon fast ein halbes Jahrhundert alt war, gab es in der tiefschwarzen Mähne auf ihrem Kopf kein einziges graues Haar. Nach Falten suchte man in ihrem ebenmäßigen Gesicht ebenfalls vergebens. Nur etwas härtere, reifere Züge hatten die Jahre in ihrem Gesicht hinterlassen, was sie zwar von den jüngeren Frauen unterschied, ihre Attraktivität aber in keiner Weise schmälerte. Körperlicher Verfall und das Vergehen von Schönheit setzte bei Amazonen halt erst nach dem Tod ein.

      »Ja, Sossha«, sagte sie grimmig. »Um was geht es denn hier eigentlich? Sei doch so gut und erkläre es meiner Tochter. Warum seid ihr noch mal hergekommen?«

      Die rothaarige Amazone räusperte sich und dachte kurz nach, als würde sie einen auswendig gelernten Text aus ihrem Gedächtnis abrufen. »Wir sind hierhergekommen, um uns für die Einsetzung einer demokratisch gewählten Gleichstellungsbeauftragten auszusprechen. Für die Förderung und Durchsetzung unserer Interessen halten wir ein solches Amt für unabdingbar. Die Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft muss vorangetrieben werden.«

      »Genau!«, rief eine brünette Kriegerin zu ihrer Linken. Sie reckte ihre rechte Faust in die Luft. »Für den Feminismus und gegen das Patriarchat!«

      Ihre Begleiterinnen begannen zu applaudieren, einige gaben auch Rufe der Zustimmung von sich. Die hohen Wände des Saals reflektierten und verstärkten diese Geräusche, sodass sie zu einem ohrenbetäubenden Lärm wurden.

      Tissha warf der Königin einen fragenden Blick zu. Doch Khelea blickte nur ebenso fragend und hochgradig genervt zurück. Sogar einen Ausdruck der Ratlosigkeit glaubte die Prinzessin in den Augen ihrer Mutter erkennen zu können. Warum sich diese noch so ruhig verhielt und nicht schon längst ein paar Hinrichtungen befohlen hatte, war Tissha ein Rätsel.

      »Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft«, wiederholte sie langsam die Worte Sosshas, so als würde sie sich jeden Buchstaben davon auf der Zunge zergehen lassen. »Falls es euch entgangen sein sollte – unsere Gesellschaft besteht eigentlich nur aus Frauen! Wer soll denn da ungleich behandelt werden? Wir halten uns Männer als Haustiere und Sklaven, wenn die jetzt hier stehen würden, könnte ich das ja noch verstehen.« Sie wandte sich an die Amazone mit dem braunen Haar. »Und was bitte ist ein Feminiesmuß oder ein Patz… Patzi… Patziachat?«

      »Keine Ahnung«, lautete die Antwort. »Ist mir gerade so eingefallen. Aber ist auch egal. Wir brauchen auf jeden Fall jemanden, der sich für unsere Rechte einsetzt. In Zukunft könnte es ja irgendwie zu Diskriminierungen oder Herabwürdigungen von Frauen kommen. Dann muss sich diese Person dem entschlossen entgegenstellen.«

      »In Zukunft?« Sossha zeigte ein hohes Maß an Empörung. »Was heißt denn hier in Zukunft? Verzeih, Schwester, aber es liegt ja wohl schon heute einiges im Argen. Warum, zum Beispiel, müssen wir alle so leicht bekleidet rumlaufen? Wir sind doch nicht dafür da, um irgendwelche voyeuristischen Neigungen zu befriedigen!«

      Wieder erfüllte zustimmendes Murmeln den Saal.

      »Ihr könnt euch doch kleiden wie ihr wollt«, wandte die Königin ein. »Was kann denn ich dafür, dass ihr alle den gleichen Modegeschmack habt? Von mir aus könnt ihr auch bodenlange Gewänder oder Hosen tragen. Die Säcke, in denen unsere Männchen Kartoffeln transportieren, würden euch bestimmt auch gut stehen.«

      Sossha schüttelte den Kopf. »Hosen oder lange Gewänder? Bei den Temperaturen draußen? Nee, das ist viel zu warm und kämpfen kann man in solchen Klamotten auch nicht anständig.« Sie sah an sich herab und strich sanft über ihre lederne Kleidung. Ganz offensichtlich fand sie selbst viel Gefallen