Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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ab und wieder auf, drehten sich umeinander wie bei einem wilden Tanz und zerwühlten dabei die schmutzige Brühe um sich herum. Diese schoss in kleinen Fontänen empor und spritzte wirr umher, sodass Tissha die zwei Wesen in ihrem tödlichen Reigen nur undeutlich erkennen konnte. Hin und wieder erspähte sie eine menschliche Hand aus dem Wasser ragen. Dann wieder ein Bein und manchmal auch ein riesiges, weit geöffnetes Maul voller scharfer Zähne oder einen um sich peitschenden, geschuppten Schwanz.

      All das dauerte freilich nicht lange. Dann beruhigte sich die Wasseroberfläche wieder, bis auf ein paar Luftblasen, die leise auf ihr zerplatzten. Während das Braun des trüben Wassers sich zusehends in ein dunkles Rot verwandelte, beobachtete die Amazone das Sumpfloch wachsam und mit schussbereitem Bogen. Sie konnte jedoch keinerlei Anzeichen dafür ausmachen, dass dem gefräßigen Reptil der Sinn nun nach einem Nachschlag stand. Stattdessen entschwand es als schemenhaftes Gebilde in den Tiefen des Sumpflochs.

      »Na, Weltklasse«, bemerkte Tissha, als sie den Fetzen Stoff erblickte, der von kleinen, roten Wellen getragen langsam auf sie zutrieb. Mehr als dieser Lendenschurz war von dem Haustier ihrer Mutter nicht übrig geblieben. »Dich sammle ich jetzt ganz sicher nicht ein. Ohne Inhalt nutzt du meiner Mutter nämlich herzlich wenig.«

      Sie sah noch einmal dorthin, wo sie den blonden Jüngling das letzte Mal erblickt hatte. »Das hast du nun von deinem albernen Freiheitsdrang«, murmelte sie nachdenklich. »Ich würde zu gerne wissen, welcher Irrsinn es war, der diese widernatürliche Sehnsucht in dir geweckt hat.«

      Sie wandte sich zum Gehen, doch eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm, ließ sie innehalten. Auf einem der Bäume in ihrer Nähe entdeckte sie eine ungewöhnlich große Krähe, die sie aufmerksam zu beobachten schien. Nur ganz selten verirrte sich ein Vogel dieser Art so weit in den Süden. Tissha nahm von seiner Anwesenheit darum auch voller Erstaunen Notiz. Darüber hinaus wurde ihr erst jetzt klar, dass sie sich schon seit einer geraumen Weile beobachtet gefühlt hatte. Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse hatte sie dieses Gefühl jedoch verdrängt.

      »Was machst du denn hier?«, fragte sie sanft. »Folgst du mir schon länger?«

      Sie legte ihren Kopf dabei etwas schräg und die Krähe tat es ihr umgehend gleich. Es sah so aus, als würde der Vogel ihre Bewegung imitieren. Die Amazone lächelte. Offenbar war diese Kreatur von einer gewissen Intelligenz beseelt.

      »Hast wohl gedacht, hier würden ein paar leckere Stücke Aas für dich abfallen«, vermutete Tissha, die über das Fressverhalten von Krähen selbstverständlich Bescheid wusste. »Da muss ich dich leider enttäuschen – die schwimmende Handtasche hat alles komplett aufgefressen.«

      Ihr Gesprächspartner antwortete natürlich nicht. Er senkte seinen Kopf und hob gleichzeitig seine Flügel etwas an, was beinahe einem Schulterzucken glich. Dann breitete er plötzlich seine Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Ein lautes Krächzen ausstoßend, das wie ein Abschiedsgruß klang, flog er nach Norden davon.

      Tissha sah ihm gedankenverloren nach. Warum nur hatte sie das Gefühl, dass sie diesen schwarz gefiederten Gesellen wiedersehen würde?

      4

      Storne Stahlhand schlief nicht gut in dieser Nacht.

      In normalen Nächten suchten ihn im Schlaf oft die Geister der vielen Verstorbenen heim, die er im Kampf erschlagen hatte. In Scharen erschienen sie in seinen Träumen: Bleiche, verstümmelte Schreckgestalten mit verwesenden Leibern, die ihre verrottenden Finger als stumme Anklage auf ihn richteten. Sie forderten Vergeltung für seine Taten, schweigend, doch die eingefallenen, lippenlosen Münder zu lautlosen Schreien verzerrt. Ihre toten Augen sahen ihn anklagend an und ihr Hass erfüllte die Luft wie ein Geruch, der sogar den Gestank von Fäulnis und Verwesung überdeckte.

      Doch in dieser Nacht war es anders – in dieser Nacht träumte er schlecht.

      Wie es bei Albträumen oft der Fall ist, fing auch dieser recht harmlos an. Es war helllichter Tag und Storne stand wieder vor der Rauschhöhle, in der Zorm der Zerfetzer versehentlich sein unrühmliches Ende gefunden hatte. Das schwere Tor war geschlossen und weder der Druide noch sonst irgendjemand war außer dem König zugegen.

      Seltsamerweise war es diesem bewusst, dass er sich in einem Traum befand. Aus diesem Grund überraschte es ihn auch nicht, dass sich das Tor plötzlich und ohne sein Zutun öffnete, obwohl es ja eigentlich nur mithilfe des großen Handrads nach oben gezogen werden konnte. Als es vollständig geöffnet war, trat ein ziemlich angefressen aussehender Zorm aus der Höhle heraus – wobei angefressen nicht seinen Gemütszustand beschreiben soll. Ihm fehlten tatsächlich ein paar große Stücke seiner Oberschenkel, seiner Arme und seines Oberkörpers. Letzterer war stellenweise sogar bis zu den Knochen abgenagt, was dem Aussehen des blonden Barbaren natürlich ziemlich abträglich war. Dass seine Verletzungen noch frisch waren und sein Blut daraus in dicken, zähen Tropfen zu Boden fiel, steigerte das Grauen seines Anblicks zudem erheblich.

      Bis hierher verlief dieser Traum also nach dem üblichen Muster, wie Storne unbeeindruckt und etwas gelangweilt feststellte.

      Dann jedoch begann die Angelegenheit unangenehm zu werden. Statt der gewohnt anklagenden und hasserfüllten Blicke erschien in den Augen Zorms ein Ausdruck abartiger Güte und Barmherzigkeit. Die klaffenden Wunden schlossen sich und neues Fleisch wuchs in den herausgerissenen Stellen. Bald schon sah der Zerfetzer wieder aus, als hätte sich nie ein Raubtier mit ihm den Bauch vollgeschlagen. Widerlich nett und aufrichtig lächelnd streckte er dem König seine Hände entgegen.

      »Hab keine Furcht«, säuselte er so milde, dass es Storne beinahe den Magen umdrehte. »Ich verzeihe dir! Dein Handeln war geprägt von der Unwissenheit und den falschen Doktrinen, denen unser Volk schon seit Urzeiten ausgesetzt ist. Wie soll man dir da einen Vorwurf machen können?«

      »Na toll!« Der König verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte den Auferstandenen voller Hohn. »Selbst im Tod laberst du noch daher, als wenn du nicht alle Latten am Zaun hättest. Kannst du dich nicht wenigstens im Jenseits wie ein anständiger Barbar verhalten? Ob du mir verzeihst oder bei den Zwergen ein Fass Met umkippt, ist mir gleichermaßen schnurz. Ich habe das Richtige getan – nämlich einen Spinner wie dich unschädlich zu machen. Das mit dem Säbelzahntiger war ein Versehen, so was kann halt mal passieren. Hast du die Bestie wenigstens dafür gekillt, dass sie dich gefressen hat?«

      »Aber natürlich nicht!« Zorm hielt seinen pervers freundlichen Gesichtsausdruck weiterhin aufrecht. »Wie hätte ich dieses Wesen denn töten sollen? Bevor ich überhaupt begreifen konnte, was los war, hatte es seine Zähne schon vollständig in mir vergraben. Und in diesem Traum kommt das Tier auch überhaupt nicht vor, da es keinerlei Relevanz hat. Aber selbst wenn es hier existieren würde, täte ich ihm kein Leid an. Es ist doch auch nur seinen Instinkten gefolgt. Wahrscheinlich würde ich meinen Frieden mit ihm schließen, so wie ich diesen auch mit dir schließen möchte. Aus Vergebung sind die Steine geformt, mit denen wir die Straße zum Frieden pflastern.«

      »Ich glaub, ich kotze gleich!« Überrascht stellte Storne fest, dass er selbst im Schlaf einen Brechreiz empfinden konnte. »Was ist eigentlich der Sinn dieses bekloppten Traums? Soll er mir einfach nur auf die Nüsse gehen oder hält er auch noch irgendwelche nützlichen Informationen für mich bereit?«

      »Er soll dir vor Augen führen, wie es sein könnte, wenn wir alle unserer barbarischen Natur abschwören und neuen, revolutionären Ideen eine Chance geben würden.« Die Traumgestalt schritt an Storne vorbei. »Komm mit mir, ich zeige es dir.«

      Der König zögerte. Schon jetzt jagte ihm dieser Traum eine Heidenangst ein und er wollte eigentlich gar nicht wissen, wie sich dieser noch entwickeln würde. Da es ihm aber partout nicht gelingen wollte aufzuwachen und sich ein wahrer Barbar unter keinen Umständen von Furcht beeinflussen ließ, folgte er dem Zerfetzer.

      Dieser führte ihn ins Dorf, das in den Augen Stornes eine grauenhafte Veränderung durchgemacht hatte. Nicht eine Behausung sah noch so aus, wie es der König gewohnt war und wie es schon seit Jahrhunderten der Barbaren-Tradition entsprach. Die vertrauten Hüttenwände aus groben Holzstämmen waren seltsam glatten Wänden gewichen, die man mit viel Sorgfalt verputzt und angestrichen hatte. Nahezu jede Hütte