Thomas Niggenaber

Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs


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sämtliche Anwesenden die Kenntnisnahme ihrer Ansage. Niemand wagte es noch, irgendwelche Einwände zu äußern. Danach hoben drei der Amazonen ihre bewusstlose Rädelsführerin vom Boden auf. Wie befohlen trugen sie diese aus dem Palast, unbemerkt von der Masse Amazonen, die sich vor dem Haupteingang versammelt hatte. Nachdem auch die restliche Anhängerschaft Sosshas den Saal verlassen hatte, waren Mutter und Tochter endlich allein.

      Khelea erhob sich von ihrem Thron und begann, unruhig hin und her zu gehen. Der Saum ihrer langen königlichen Robe schliff dabei leise über den grauen Marmorboden, ohne dabei schmutzig zu werden.

      »Da ist was faul im Staate der Amazonen«, sinnierte sie. »Im Staate der Amazonen und ich befürchte auch in anderen Teilen der Welt. Ich spüre das schon seit Längerem. Nur deshalb habe ich diese aufrührerischen Weiber nicht sofort hinrichten lassen. Irgendeine bisher unbekannte Macht oder so etwas scheint von ihnen Besitz ergriffen zu haben. Vielleicht können sie gar nichts dafür, dass sie plötzlich so seltsame Gedanken hegen. Vielleicht ist mein Volk wirklich von einer unheilvollen Seuche befallen. Die Nachricht der Barbaren, dass sie ihren Feldzug gegen uns nicht führen wollen, war auch so ein ungewöhnliches Vorkommnis.«

      Sie stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus. »Barbaren die nicht kämpfen wollen – das ist wie Regen, der nicht fallen will, Wind, der nicht wehen oder eine Sonne, die morgens nicht aufgehen möchte. Jetzt dieses seltsame Verhalten Sosshas samt ihrer Gefolgschaft und das fürchterliche Ding, das ihrem Gesicht entsprossen ist. Was hat das nur zu bedeuten?«

      Sie wandte sich ihrer Tochter zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Lass mich raten: Mein entlaufenes Haustier konntest du auch nicht wieder einfangen.«

      »Es ist lieber in den Tod gegangen, als in seine gemütliche Sklaverei zurückzukehren«, gab Tissha die Geschehnisse in äußerst verkürzter Form wieder. »Für mich völlig unbegreiflich.«

      Weitere Details über die Ereignisse im Dschungel behielt sie lieber für sich. Selbige waren nicht unbedingt wichtig und ließen sie auch nicht gerade in einem guten Licht dastehen. Ihre Mutter gab sich erstaunlicherweise mit dieser knappen Erklärung zufrieden, was eigentlich so gar nicht ihrem herrischen Naturell entsprach. Anscheinend beschäftigten sie andere Sorgen weit mehr, als es das Ableben ihres Haustiers tat.

      »Also befällt der Wahnsinn auch die niederen Lebensformen«, stellte sie lediglich fest. »Aber da ist noch etwas.«

      Sie machte eine lange Pause, so als wäre ihr das, was sie nun zu sagen gedachte, peinlich. Es trotzdem auszusprechen, schien sie einiges an Überwindung zu kosten.

      »Ich hatte letzte Nacht einen seltsamen Traum. Ich träumte davon, dass alle Lebewesen Archainos in Frieden zusammen leben würden. Es gab keine Gewalt, keinen Krieg und keinen Streit mehr zwischen den Völkern. Männer und Frauen waren gleichgestellt, sie hatten alle die gleichen Rechte und lebten in Harmonie und Eintracht zusammen. Nie zuvor hatte ich einen gruseligeren Albtraum wie diesen.«

      »Das klingt wirklich schauderhaft«, stimmte Tissha ihr zu. Es befremdete sie sehr, dass ihre Mutter sich die Blöße gab, über so persönlich Dinge wie ihre Träume zu reden. »Aber du hast jetzt nicht vor, mir dein Herz auszuschütten, oder?«

      Khelea bedachte sie mit strafenden Blicken. »Rede keinen Unsinn, Kind! Ich habe diesen Traum nur erwähnt, weil ich glaube, dass er eine tiefere Bedeutung hat. Vielleicht ist er ein Omen – eine Warnung vor weiteren seltsamen Ereignissen, die uns in Zukunft heimsuchen könnten. Ich möchte deshalb, dass du zu den Elfen reist, um mehr über diesen Traum und die heutigen Geschehnisse herauszufinden. Wie du sicherlich weißt, gibt es unter den Spitzohren einige äußerst fähige Wahrsager und Orakel. Ihre mystische Verbundenheit mit der Natur lässt sie Dinge sehen, welche den Angehörigen anderer Völker verborgen bleiben. Darüber hinaus sind sie die einzigen Wesen Archainos, die so etwas wie eine sensible Seite haben. Wenn jemand etwas über Emotionen oder Gemütszustände weiß, dann sind sie es.«

      »Muss das denn wirklich sein?« Tissha verzog mürrisch ihre Mundwinkel. »Elfen sind die größten Weicheier dieser Welt. Mit ihnen zu reden ist unglaublich nervig. Ewig jammern sie rum, wie grausam die Welt doch sei und dass jedes Leben wertvoll wäre, unabhängig von Rasse oder Herkunft. Einen anständigen Kampf wissen diese Luschen gar nicht zu schätzen. Die kämpfen nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Ich bekomme echt Migräne, wenn ich mich länger als ein paar Minuten mit denen unterhalten muss.«

      Khelea stemmte ihre Hände in die Hüfte und baute sich vor ihrer Tochter auf. »Wenn du nicht möchtest, musst du meinem Befehl natürlich nicht folgen. Warum solltest du auch? Ich bin ja nur die Königin und darüber hinaus auch noch deine Mutter! Letzteres muss mich dann allerdings auch nicht in meiner Entscheidung beeinflussen, wen ich für den Verlust meines liebsten Haustieres in handliche Würfel schneiden lasse.«

      Früh am nächsten Morgen verließ Tissha die Stadt auf dem Rücken ihrer fuchsroten Stute, um dem Volk der Elfen einen Besuch abzustatten.

      6

      »Sind wir bald da?«, fragte Hohlefried von Ömmerbaum mit quengelndem Tonfall.

      Seine zwei Begleiter stöhnten entnervt auf. Er stellte diese Frage bereits zum dritten Mal, seit sie nach ihrer Unterredung im Langhaus aufgebrochen waren.

      Nach selbiger hatte auch der Druide zunächst noch darüber nachgedacht, seinen König und die zwei Fremden auf ihrer gefahrvollen Reise zu begleiten. Doch dann war ein Stammesangehöriger in einem Frauengewand aufgetaucht – fest davon überzeugt, als Frau im Körper eines Barbaren geboren worden zu sein. Lautstark hatte dieser Irre seine Rechte als Transgender eingefordert und beharrlich hatte er darauf bestanden, in Zukunft Loretta genannt zu werden. Diesen Wahnsinnigen in seinen schrägen Klamotten durch die Gegend laufen zu lassen, wäre natürlich unverantwortlich gewesen. Damit er sich um diesen und weitere verwirrte Bewohner kümmern konnte, war Grahlum deshalb im Dorf zurückgeblieben. Der ramponierte Herold hatte es indes vorgezogen, nach Loewenehr zurückzukehren, derweil die drei anderen zur Vampirjagd aufgebrochen waren.

      Das war jetzt gerade mal eine Stunde her.

      Storne drehte sich auf seinem schwarz-weiß gescheckten Hengst zu dem hinter ihm reitenden Paladin um. »Ich sage es Euch jetzt ein letztes Mal: Wir werden noch bis zum späten Nachmittag unterwegs sein und jetzt ist es gerade mal kurz vor Mittag! Und nun ist es an mir, Euch eine Frage zu stellen: Seid Ihr eigentlich noch ganz dicht?«

      Der gepanzerte Krieger dachte kurz nach. »Ob ich noch dicht bin? Nun, ich müsste mich in der Tat mal kurz erleichtern. Wie konntet Ihr das wissen, König Storne?«

      Der Barbar wandte sich an den Erzmagier, der zu seiner Linken ritt. »Warum trägt Euer Begleiter eigentlich einen Helm? Viel Schützenswertes scheint sich darunter ja nicht zu verbergen.«

      Teophus schmunzelte. »Ihr werdet es vielleicht nicht glauben, doch von all den Paladinen im Dienste König Ludebrechts ist er noch einer der Pfiffigsten.«

      Wahrhaftig von Zweifel erfüllt betrachtete Storne erneut den Paladin. Hinter dessen geschlossenem Visier erklang plötzlich ein lautes Niesen, dann ein »Bäh!« gefolgt von einem leisen »Nicht schon wieder«. Hastig kramte der junge Krieger daraufhin ein Tuch aus seiner Satteltasche hervor. Mit diesem wischte er ungelenk den Rotz von der Innenseite des Visiers, nachdem er selbiges geöffnet hatte.

      »Der hellste Stern am Firmament ist er aber wahrlich nicht«, gab Teophus zu. »Aber wenigstens kann er mit dem Schwert umgehen.«

      Der Barbar zog die Augenbrauen zusammen und knurrte missmutig. Auch dieser Aussage des Magiers schenkte er nur wenig Glauben.

      »War nicht soeben die Rede von einer kurzen Rast, damit ich mein Wasser abschlagen kann?« Der Paladin rutschte unruhig auf seinem Sattel hin und her. »Oder habe ich da wieder etwas falsch verstanden?«

      »Das ist doch wohl nicht Euer Ernst, Hohlefried!«, fuhr ihn nun der weißhaarige Magier an. »Habe ich Euch nicht vor unserem Aufbruch darauf hingewiesen, dass Ihr noch einmal den Abort aufsuchen sollt? Mit Euch reisen zu müssen, ist wahrhaftig eine Marter!«

      Der König sackte seufzend in sich zusammen. Sie hatten erst ein kurzes