Yupag Chinasky

Männerphantasien - Fotomanien


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Taschen und Schuhen und voll gehängt mit Jacken und Jäckchen. Die Wohnküche, in der er ihr folgte war sehr einfach, fast schon schäbig eingerichtet und ebenfalls reichlich unaufgeräumt. Die Frau entschuldigte sich wegen der Enge, wegen der Kleider auf dem Stuhl, wegen der Spielsachen auf dem Fußboden und der Essensreste auf dem Tisch. Sie setzte das Kind in einen Hochstuhl und wärmte ihm in einem Emailletopf auf einem schon fast historischen Elektroherd Milch auf. Als sie danach begann das Gröbste aufzuräumen, bat er darum, sich in der Wohnung umse­hen zu dürfen. „Ich will mir ein Bild von der location machen“ - er benutzte im Zusammenhang mit Fotografieren gerne englische Worte wie location, shooting, casting oder model – „um zu sehen wo und wie wir deine, wie hast du noch gesagt, etwas freizügigeren Aufnahmen machen können“. „Kein Problem, mach nur, ich koch uns noch schnell einen Kaffee.“ Sie schüttete Kaffeepulver in eine zerbeulte Espressokanne aus Aluminium und stellte sie auf die noch heiße Herdplatte. Er warf erst einen Blick in das kleine Bad und dann in das überraschend geräumige Schlafzimmer. Hier fiel ihm ein brandneuer, großer Fernsehapparat auf, der auf einer Kommode stand und nicht so recht in die armselige Umgebung der Wohnung passen wollte. Die Bewohnerin pflegte wohl am liebsten im Liegen fernzusehen, von ihrem sehr breiten Bett aus. Dieses nahm viel Platz ein. Ein Kinderbett sah er nicht.

      Dann saßen sie zu dritt am Küchentisch. Das kleine Mädchen hatte seine Milch ausgetrunken und spielte ruhig mit einer sehr hässlichen Puppe und einem zerzausten Plüschaffen. Die junge Frau nahm die Espressokanne vom Herd und schenkte ein. Der Kaffee schmeckte vorzüglich und während sie tranken, redete die junge Frau und redete. Sie hatte offensichtlich nicht nur Vertrauen zu ihm gefasst sondern auch ein großes Bedürfnis, jemandem mitzuteilen, in welch misslicher Lage sie sich befand.

      „Ich lebe allein mit dem Kind. Der Vater, der Arsch, hat uns verlassen. Noch vor der Geburt. Er wollte kein Kind, keine Familie, keine Verantwortung, keine Kosten. Ich sollte abtreiben und als ich das nicht wollte, war er stinksauer. Er ist dann einfach verschwunden, von jetzt auf nachher, angeblich unauffindbar und er zahlt natürlich auch keine Alimente.“ Ihre Stimme wurde schrill, sie war sichtlich erregt. Dass ein Mann, noch dazu der Vater ihres Kindes, sie einfach hatte sitzen lassen, nagte immer noch an ihr. Als sie merkte, dass er ihr aufmerksam zu hörte, obwohl er sich jeden Kommentars enthielt, wurde sie noch vertraulicher und breitete weitere intime Details vor ihm aus. „Jetzt habe ich einen anderen, aber der ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Genauso unzuverlässig wie mein Ex, ohne regelmäßige Arbeit, ohne gescheite Ausbildung. Ein Schluri, der nichts auf die Reihe bringt. Ich kapiere selbst nicht, warum ich mit dem noch zusammen bin, aber ganz allein zu sein, ist noch mehr Scheiße. Er will nicht zu mir ziehen, das Kind nervt ihn und auch er will keine Pflichten und keine Verantwortung. Scheiß Männer, sag ich dir, obwohl du auch einer bist. Alle sind gleich. Rumpimpern, möglichst für umme, aber nichts Gscheits, nur tralala. Er wohnt immer noch bei seiner Mutter. Klar, Pension Mama ist ja viel bequemer und billiger und außerdem vergöttert sie ihr Söhnchen, so ein richtiges Muttersöhnchen. Zu mir kommt er nur, um zu bumsen und sich den Wanst voll zu schlagen, dieser Halodri.“ Ihre Stimme beruhigte sich wieder etwas, als sie zu dem Thema wechselte, das sie offenkundig am meisten bedrückte. „Dabei habe ich doch selbst nicht viel Geld. Nur das Kindergeld und das bisschen, was ich beim Kellnern verdiene. Mittwochs und sonntags arbeite ich als Bedienung im Paulaner Brauhaus. Du kennst das doch? Das in der Innenstadt. Ich schaffe von elf in der Früh bis Mitternacht. Das Gehalt ist mickrig. Ohne Trinkgeld würde sich das nie lohnen. Zum Glück bekomme ich ganz ordentlich Trinkgeld, aber nur von den Männern“ sie lachte „die Frauen geben nichts, sie sind eifersüchtig, weil ihre Männer so auf mich abfahren. Wenn ich auf Arbeit bin, lasse ich die Kleine über Nacht bei der Oma. Ich könnte ja auch ganz zu meiner Mama ziehen, das wäre billiger, ich könnte die Miete hier sparen, aber das will ich auf keinen Fall, ich will nicht in die Pension Mama, ich nicht. Die will immer so viel wissen, fragt mich ständig aus und will mir vorschreiben, was ich tun soll. Kannst du dir das vorstellen? Mir immer noch Vorschriften machen? Nein, meine Freiheit gebe ich nie mehr auf, nie mehr.“ Zur Bekräftigung schlug sie mit der flachen Hand laut auf die Tischplatte. Die Kleine in ihrem Hochstuhl fuhr erschrocken auf. Sie strich ihr beruhigend über die Haare und trank einen Schluck Kaffee. Dann lamentierte sie über die hohen Preise „obwohl ich immer nur zu Aldi gehe“, die teure Miete „eigentlich ist die Sozialwohnung nicht teuer, aber die Nebenkosten, Strom, Müllabfuhr, all der Scheiß“, stöhnte über die Schwierigkeiten, an chice Kleidung zu kommen, „wenn man anständig aussehen will, brauche man auch anständige Klamotten“ und "ich kaufe nur in Secondhandshops und auf dem Flohmarkt, da findet man auch tolle Sachen", sowie über das Geld, das sie für Schönheitspflege ausgab „einmal in der Woche kommt eine Bekannte, eine gelernte Friseuse, die macht es schwarz, will aber auch Geld und wenn ich meine Haare mal eine Woche nicht machen lasse, sehe ich grauenvoll aus.“ Ihr Resümee: „Ich kann doch nicht in Sack und Asche herumlaufen. Wer guckt mich dann noch an? Eine Frau will angeschaut werden, das ist überlebenswichtig, glaub mir.“ Schließlich endete sie resigniert mit der Klage, dass sie sich nichts leisten könne und wegen dem Kind immer zu hause bleiben müsse und nirgends hin könne, bloß in den Park und auf den Spielplatz, immer nur Spielplatz und Park, und das jeden Tag, immer dasselbe. Die einzige Abwechslung sei die Glotze und deswegen habe sie sich auch ein neues Gerät gekauft, obwohl sie sich das eigentlich nicht leisten könne. Damit war sie mit dem Jammern am Ende und versicherte ihrem stummen Zuhörer, dass heute ein guter Tag sei. Sein Auftauchen und der Wunsch, sie zu fotografieren, sei eine hochwillkommene Abwechslung in dem langweiligen Alltag und das Schönste sei, dass sie dafür sogar noch Geld bekommen habe. „Kaum zu fassen“, meinte sie, „für's Spaß haben auch noch Geld kriegen.“

      Sie lachte und schien endlich ihren Frust abgeladen zu haben. Der Kaffee war ausgetrunken und sie kündigte an, sich jetzt für die Aufnahmen, für die besonderen Aufnahmen, wie sie schelmisch hinzufügte, schminken zu wollen. Sie kramte aus ihrer Handtasche einen Kamm, Lippenstift und einige Döschen und Tuben hervor und ging in das Bad. Mit lauter Stimme rief sie „Weißt, du, so richtig schön fotografiert werden, so richtig schöne, große, tolle Starbilder von mir, das habe ich schon immer gewollt. Aber leider hat das noch nie geklappt. Ich hab noch nie jemand getroffen, der das fer Umme gemacht hätte und Geld für Studioaufnahmen habe ich keins. Ich wäre liebend gern Fotomodell, das war schon immer mein Traum, weißt du, schon als Kind. Ich schau mir alle Castingshows im Fernsehen an. Einmal bei Germany’s next Topmodel aufzutreten, das wäre was.“ Sie kam wieder in die Küche und er begutachtete ihr Werk: den dezenten Lidschatten, das tiefschwarze Kajal, das frische Rouge auf den Wangen. Sie besaß sichtlich Übung und Geschmack. Nur beim Lippenstift wunderte er sich über ihren Einfall, fand das Ergebnis aber ganz gut. Sie hatte ihre etwas zu schmalen Lippen betont auffällig mit blutroter Farbe nachgezogen. Das gab ihr ein laszives, leicht ordinäres Aussehen und sie wirkte noch eine Spur vulgärer als sie ihm ohnehin schon vorkam. Er fragte, ob sie nun mit ihrer Vorbereitung fertig sei und sie mit dem Fotografieren beginnen könnten, aber seine Geduld wurde noch einmal auf Probe gestellt. Sie setzte sich wieder an den Tisch, weil sie unbedingt noch etwas los werden musste, wie sie ihm gestand. „Weißt du, was mein zweiter Traumberuf wäre? Schauspielerin! Früher habe ich jedes Jahr in der Kirchengemeinde bei den Passionsspielen mitgemacht und die Maria Magdalena gespielt, du weißt schon, das ist die, die den Jesus verführen wollte. Ich war gut und die Leute haben bei mir viel geklatscht, vor allem die Männer. Der arme Jesus war total verwirrt, so hab ich mich an den ran gemacht. Der Pfarrer“ sie musste bei der Erinnerung kichern“, der Pfarrer hat mich immer bremsen müssen, ich solle nicht gar so forsch, nicht so direkt sein, damit der Jesus nicht zu viel sündige Gedanken bekomme, das hat er gesagt.“ Sie schwieg bei der Erinnerung an ihre schauspielerischen Erfolge einen Moment lang und blickte versonnen in eine ungewisse Ferne, bevor sie die Unterhaltung mit einem Bekenntnis beendete. „Von dir habe ich einen guten Eindruck. Ich kenn mich aus mit Männern, glaub mir. Du bist ein ehrlicher Typ und außerdem machst du tolle Bilder, echt tolle Bilder.“ Toll war eines ihrer Lieblingsworte. Sie verwendete es häufig. „Du willst nicht nur meinen Arsch und meine Titten knipsen. Du willst Kunst.“ Sie stand auf, schien aber immer noch angestrengt nachzudenken. „Wenn du willst", sie rang mit sich, "wenn du willst, kannst du auch besondere Fotos von mir machen. Verstehst du? Aktfotos, ich völlig nackt. Kein Problem, das kostet aber mehr“. Er wollte.