Yupag Chinasky

Männerphantasien - Fotomanien


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darstellen. Weil er wegen der Lichtverhältnisse mit sehr weit geöffneter Blende fotografieren musste, konnte er raffiniert mit der Tiefenschärfe spielen. Die unschönen Schatten und Lichter der „bescheuerten Lichtsituation“ setzte er bewusst als ungewöhnliches Stilelement ein. Er arrangierte die vorhandenen Assesoirs geschickt, um dramatische, aufregende Effekte zu erzielen. Viele Aufnahmen waren unscharf, verwischt und verwackelt, aber er fand, dass sie gerade wegen dieser Unvollkommenheiten in der hier gegebenen Situation durchaus angebracht waren.

      Als sie nach einer Weile intensiven Arbeitens eine Pause machten und er der jungen Frau die Bilder auf dem kleinen Monitor der Kamera zeigte, rief sie begeistert: „Mann, seh ich toll aus! Kommt meine Figur nicht prima raus? Und diese Großaufnahmen erst, Spitze!“ Ganz zufrieden war sie aber nicht. „Mein Busen, ist der nicht zu groß und mein Hintern viel zu flach?“ Auch er war nicht so recht zufrieden, obwohl er es mit der Ausbeute hätte sein können, denn trotz aller Besonderheiten, die diese Bilderserie auszeichnete, trotz seines professionellen Vorgehens und der Aktivität und des Einfallsreichtums seines Modells, erschien ihm das Ergebnis reichlich konventionell. Nackte Frauen wurden schon Millionen Mal fotografiert und Aktbilder gab es zuhauf, auch solche in Wohnküchen und engen Badezimmern. Keine Pose, keine Stellung, keine Situation, keine Absonderlichkeit ist vorstellbar, die nicht schon irgendwann, irgendwo und von irgendwem festgehalten und veröffentlicht wurde. Was konnte man da noch anders machen? Womit konnte man noch jemanden beeindrucken? Eine gewisse Resignation breitete sich in ihm aus, gepaart mit Trauer, weil die Einfälle, sowohl seine als auch die der jungen Frau, nachließen und das „shooting“ sich anscheinend endgültig dem Ende näherte. Doch dann geschah etwas, etwas was die Situation veränderte, die Karten neu mischte, die erotische und fotografische Spannung mit einem Schlag wieder belebte. Es war eigentlich nur eine belanglose Kleinigkeit, aber letztendlich eine mit nachhaltigen Folgen. Durch eine fahrige Bewegung, stieß er mit der Kamera an ihren Arm, als sie gerade dabei war, ihre Lippen nachzuschminken. Die Folge war ein blutroter Streifen, der sich vom Mundwinkel zum Kinn hinabzog. Sie wollte das Missgeschick korrigieren und mit einem Tempotaschentuch abwischen, doch er starrt sie fasziniert an und hielt ihre Hand fest. „Lass das, so wie es ist. Das sieht ja aus wie Blut, wie eine Verletzung. Da könnten wir doch was draus machen“. Er entwickelte rasch, aus dem Stegreif einen neuen Plot und sie griff die Idee begeistert auf, spann sie fort und entwickelte daraus ein neues Spiel. Ein Spiel von Lust und Gewalt, das mit der verführerischen Anmache einer Sex hungrigen Frau beginnen, mit aufkeimender Geilheit fortfahren, mit einer fatalen Vergewaltigung seinen Höhepunkt erreichen sollte, um in Einsamkeit, Depression und Verzweiflung zu enden. Ein Spiel, in dem nur das Opfer auf den Bildern festgehalten wurde, nicht jedoch der Täter.

       Nah an der Realität

      Nachdem er zugesichert hatte, ihr zusätzlich Geld für eine neue Bluse und neue Unterwäsche zu geben, ging sie in das Schlafzimmer und kam mit abgetragenen Kleidern wieder. Die Bluse war wohl einmal blau gewesen, nun aber verwaschen und fleckig, die Jeans abgeschabt mit großen, zerfransten Löchern, echten Löchern, keine Designerlöcher. Der durchbrochene, lila BH war durch einen altmodischen weißen ersetzt, dessen einer Träger geknotet und in dessen einem Körbchen die Naht ein Stück weit aufgeplatzt war. Zur ersten Einstellung setzte sie sich mit halb aufgeknöpfter Bluse auf den Küchenstuhl, ein Bein ausgestreckt, das andere auf den Sitz hochgezogen. Sie blickte mit großen Kleinmädchenaugen in die Kamera, schelmisch, verführerisch, neugierig, erwartungsfroh. In der nächste Szene stand sie breitbeinig in der geöffneten Schlaf­zimmertür, die Bluse fast ganz aufgeknöpft, den Busen, der aus dem zu engen BH quoll, vor gereckt. Die Augen waren nur noch schmale Schlitze, die Zunge leckte ganz leicht die blutroten Lippen, gerade so, dass man die Wollust in dieser Frau ahnte. Der Höhepunkt der Verfüh­rungspose war die dritte Szene. Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, das Laken zerknüllt, die Bluse weit aufgeknöpft, die Jeans bis zu den Knien herab gezogen. Der rosa Slip bedeckte nur knapp ihr Schamdreieck. Sie hatte den Unterleib leicht hochgereckt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Augen waren geschlossen, der Mund lasziv leicht geöffnet, bereit für heiße Küsse und andere Oralarbeit. Sie lag da, in sehnsüchtiger Erwartung eines aufgegeilten Mannes, der sich gleich auf sie stürzen würde. Nachdem diese Aufnahmen gemacht waren, bereitete sie sich, von ihrem eigenen Tun atemlos und aufgewühlt, für den zweiten Teil des Dramas vor. Mit Schminke und Wasserfarben malte sie sich Kratzwunden auf Arme und Beine, blaue Flecken auf die Brüste und Blutspuren in das Gesicht. Sie zog die Jeans aus, zerriss dekorativ die Bluse und vergrößerte die aufgeplatzte Naht des BHs so weit, das eine Brust frei war. Sie verwandelte sich, überzeugend und glaubwürdig, von der geilen Verführerin in das misshandelte, gedemütigte Opfer. Ein Opfer, das wieder halbnackt auf dem Bett lag, jedoch nicht in verführerischer Pose sondern verletzt, verzweifelt, geschändet, halbtot. Dann kroch sie mit letzter Kraft über den Fußboden in die Küche und lehnte sich, heulend und schluchzend, an ein Bein des Küchentischs.

      Nach diesen aufregenden Aufnahmen, zogen sie Bilanz. Es war für beide harte Arbeit gewesen, aber eine Arbeit, die sich gelohnt hatte. Beide waren mit dem Resultat sehr zufrieden. Für die junge Frau hatte sich ein Traum erfüllt, weil sie ihr schauspielerisches Talent voll ausreizen und mit ihrem Hang zum Posieren kombinieren konnte. Sie war von ihren Fähigkeiten selbst überrascht und hatte begeistert die Gelegenheit ausgenutzt, sich einmal voll auszuleben, einmal das vor einer Kamera zu tun, was man sich sonst zu tun nicht traut. Sie hatte sich in ihre Rolle hineingesteigert, immer delikatere Stellungen und immer gewagtere Positionen eingenommen und diese Rolle, davon war sie überzeugt, sehr gut gespielt. Er bestärkte sie in ihrer Ansicht, überhäufte sie mit Komplimenten und sagte ihr, dass er rundum zufrieden sei. Er sagte ihr allerdings nicht, dass auch für ihn geheimste Wünsche endlich in Erfüllung gegangen waren. Es war nicht so sehr der Anblick einer nackten, schönen Frau, nicht so sehr das rein sexuelle, erotische Element, das ihn begeistert hatte, obwohl das auch, natürlich, er war ja ein Mann und hatte sich beherrschen müssen. Nein, es war die Erfahrung, als kühler, objektiver Fotograf diese irritierenden, hoch emotionalen Szenen distanziert und scheinbar emotionslos, akribisch festzuhalten. Bilder von Gewalt und Brutalität, selbst wenn sie nur gespielt, gut gespielt waren in Kunst zu verwandeln. Szenen von unbändiger Leidenschaft, aufwühlender Erotik und tiefer Scham, die sich vor seinen ungläubigen Augen abgespielt hatten, in faszinierende Fotosequenzen zu verwandeln. Kurz und gut, beide hatten diese inszenierte „reality show“ höchst spannend und dramatisch gefunden. Es war so völlig anders gewesen als alles, was beide bisher gemacht und erlebt hatten und einige bisher verborgene Talente in ihnen waren zu Tage getreten: das Mädchen als unentdecktes Modell und verkannte Schauspielerin, der Fotograf als unterschätzter Künstler und Regisseur dramatischer Szenen. Selbst auf dem kleinen Monitor sah er, dass die Bilder gut, ja sehr gut, waren. Er hatte mit verschiedenen Techniken gearbeitet. Viele Bilder waren wieder situationsbedingt unscharf, verwackelt und unterbelichtet. Sie glichen Bildern, die ein Voyeur zufällig geschossen hatte oder Bildern, die ein zynischer Verbrecher von seinem gedemütigten Opfer gemacht hatte, um es zusätzlich zu verhöhnen und seine Verzweiflung auch noch zu dokumentieren. Andere Bilder waren wiederum brutal scharf und hart und überbelichtet, weil er das Opfer direkt angeblitzt hatte, Bilder ohne jede Distanz und ohne Rücksichtnahme auf verletzte Gefühle. Es waren Bilder im Stil des legendären Polizeireporters Weegee der vierziger Jahre. Dann wieder Bilder, die seltsamerweise poetisch waren, anrührend, obwohl die „Tat“ im Hintergrund immer zu ahnen war. Die Art, wie er diese Frau in ihrer Rolle fotografiert hatte, widersprach jedenfalls allen Regeln der klassischen Akt- und Porträtfotografie. Die Ergebnisse waren von den geleckten Aufnahmen der Hochglanzmagazine und der verlogenen Beautyfotografie der Werbung, von den kümmerlichen Versuchen der Amateure im Schlafzimmer und des ausgebufften Profis in entsprechenden Magazinen weit entfernt, sie waren um Klassen besser als die vorausgegangenen, konventionellen Aufnahmen. Sie waren authentisch und realistisch und glaubwürdig, nicht nur, weil alles echt aussah, die aufgemalten Blessuren, Flecken und Schrammen, die schäbigen, zerfetzten Kleider, die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck der „misshandelten“ Frau. Nein, sie waren glaubwürdig, weil sein Modell, diese junge Frau vom Spielplatz so glaubwürdig war, so unheimlich gut ihre Rolle gespielt hatte, so beängstigend gut. Die Rolle einer Frau, die in der armselige Umgebung, in der sie leben musste, vergewaltigt worden war, als wäre das Leben allein unter solchen Bedingungen nicht Strafe