Geri Schnell

Der Politiker


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Strassenbild in Worms verändert sich. Immer mehr junge Männer in Uniformen stolzieren durch die Gassen. Ihr Benehmen gibt zu Sorgen Anlass. Zivilisten müssen aufpassen, dass nicht eine Gruppe uniformierter sie aufs Korn nimmt. Wahllos werden Leute angegriffen und verprügelt. Nach einem Überfall ist es besser, sich ruhig zu verhalten. Eine Anzeige bei der Polizei ist zwecklos. Die Banden werden durch sie geschützt. Wenn man Pech hat, landet man als Anstifter einer Schlägerei im Knast.

      Franz hat gelernt mit ihnen umzugehen. Wenn ihm eine Gruppe begegnet, hebt er den rechten Arm und grüsst zackig. Das macht Eindruck und hilft darüber hinweg, dass er kein Parteiabzeichen trägt. Sein Verhalten ist ihm innerlich zuwider, es ist jedoch besser als verprügelt zu werden. Er sehnt sich nach der Zeit des Kaisers zurück.

      Der Winter 1932 ist wieder sehr streng. Franz muss langsam seine Reserven anzapfen. Um wenigstens ein Zimmer warm halten zu können, tauscht er drei Laib Käse gegen Briketts ein. Zu Essen gibt es Sauerkraut und Kartoffeln, ab und zu kocht Rosa ein bisschen Schinken.

      Als sich endlich der Frühling ankündigte, ist das Schlimmste überstanden. Aus dem Garten gibt es frühen Salat. Mit der wärmeren Jahreszeit legen wieder mehr Schiffe im Hafen an und die goldene Gans macht mehr Umsatz.

      Ende Mai hängen überall in der Stadt Plakate, welche auf einen Auftritt von Adolf Hitler im Wormatia Stadion am 12. Juni hinwiesen. Das ist ein grosses Ereignis und wird von vielen mit Begeisterung erwartet.

      Für Franz hatte der Besuch von Hitler verheerende Folgen. Die SA wollen Worms im besten Licht erscheinen lassen. Am 3. Juni stürmen zwanzig SA-Leute die goldene Gans und schlagen alles zusammen. Es gab einige verletzte Gäste. Der Wirt wird schwer verletzt in Spital eingeliefert. Franz hat Glück, er war zum Zeitpunkt des Überfalls nicht im Lokal. Die SA nahm es dem Wirt immer noch übel, dass sie in Uniform nicht ins Lokal durften. Jetzt kann gar niemand mehr ins Lokal. Die Türe der goldenen Gans wurde mit Brettern vernagelt.

      Brauchbar ist das Lokal eh nicht mehr. Das gesamte Mobiliar wurde zertrümmert. Nun hat Franz seine Haupteinnahmequelle verloren. Dank dem Garten kann er sich über Wasser halten, aber was bringt der nächste Winter?

      Dann kommt der 12. Juni. Zu tausenden strömen die Leute ins Stadion. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadion wütete der Mob. Alles was nach jüdisch aussieht, wird zerstört. Zum Glück liegt der Laden von Goldberg nicht in der Nähe des Stadions. Vorsorglich hat er das Geschäft die ganze Woche geschlossen. Kunden sind eh selten geworden. Neue Uhren kann er schon lange nicht mehr verkaufen. Lediglich mit Reparaturen, welche Joshua durchführt, hält er sich über Wasser.

      Für Franz ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, er musste sich entscheiden, denn bei den Braunen gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Die Nachbarschaft beobachtet ihn schon lange. Zu verlockend ist es, einen bei der SA anzuschwärzen, so kann man von sich selber ablenken und hat seine Ruhe.

      Vor dem Einschlafen diskutiert er mit Rosa, soll er morgen ins Stadion? Rosa hat sich sehr verändert. Seit Hitler allgegenwärtig ist, geht sie nur noch selten in die Kirche.

      «Natürlichen gehst du hin, du musst mit der Zeit gehen», stellt Rosa fest, «du hast schon die Stelle verloren, nur weil du für die falsche Partei kandidiert hast. Du kannst dir mal anhören was dieser Hitler zu berichten hat. Das bedeutet ja nicht, dass du ihn dann wählen musst.»

      «Meinst du?», fragt Franz nach, «ich habe ja nicht einmal eine Binde mit Hakenkreuz, da falle ich auf und werde womöglich noch verprügelt.»

      «Dann nähe ich dir so eine Armbinde, das ist doch kein Problem. Stoff habe ich.»

      «Das würdest du machen?», fragt er unsicher, «ist das nicht Verrat an den Goldbergs?»

      «Hat sich Goldberg um dich gekümmert, als du die Arbeit verloren hast?»

      «Konnte er ja nicht», wendet Franz ein, «das hätte es nur noch schlimmer gemacht.»

      «Ja vielleicht hast du Recht, aber jetzt muss man für sich schauen. Die Braunen schauen gut zu ihren Leuten, die haben alle Arbeit.»

      Damit ist das Thema erledigt, bis Mittag hatte Franz seine Armbinde. Die Farbe stimmt nicht genau, aber da wird er nicht der Einzige sein. Sein Haus verlässt er noch ohne Armbinde. Erst als er sich der Hauptstrasse nähert, holt er die Binde aus der Tasche und streift sie über den linken Arm. Nun ist er einer von Ihnen, das deutsche Volk muss zusammenhalten.

      Im Stadion herrscht eine gespannt Stimmung. Die lokalen Organisatoren waren nervös. Der Führer soll einen guten Eindruck von Worms bekommen, das ist man der Stadt schuldig. Bevor der hohe Gast eintrifft, muss der Gruss geübt werden. Zu tausenden brüllten die Leute: «Heil Hitler!»

      Als Franz die kritischen Blick der nebenstehenden Leute bemerkte, weil er nur die Lippen bewegte, schrie er bei der nächsten Übung kräftig mit. Jetzt strahlten die beiden kräftigen Männer neben ihm, geht doch, verrät ihr Gesichtsausdruck.

      Dann kam der grosse Moment. Hitler tritt an das Rednerpult. Kaum hat die Menge ihn erblickt, bricht ein unglaublicher Jubel aus. Die Menge ist wie verhext, jeder schreit aus Leibeskräften. Franz ist verwirrt, er hatte sich Hitler grösser vorgestellt. Na egal, mal hören was er zu sagen hat. Die Blicke der beiden Kerle veranlassten ihn mitzuschreien. Dass er heiter, statt Hitler schrie, bemerkt keiner der Umstehenden.

      Dann beginnt Hitler zu sprechen. Zumindest versuchte er es, aber kaum dass er die Stimmen erhebt, brandet der Jubel los. Erst nachdem seine Gesten andeuten, dass es genug sei, kann er seine Parolen ins Stadion schreien. Franz versteht nichts, er wird von zwei Lautsprechern, die nicht synchron sind, mit Ton versorgt. Zudem geht alles im Jubel unter. Er ist zu weit hinten, er kann Hitler nicht verstehen.

      Nur Bruchstücke gelangen zu ihm. Deutschland muss sich von den Klauen der Siegermächte befreien! - Deutschland muss wider stark werden und dass der Jude an allem Schuld ist! sind die wichtigsten Punkte die er versteht. Aber eines wird ihm bewusst, gegen diese Fanatiker kommt man nicht an. Es ist wieder wie zu Zeiten des Kaisers, jemand übernimmt Verantwortung.

      Franz lässt sich von der Stimmung mitreissen. Ein unglaubliches Gefühl der Zusammengehörigkeit ist zu spüren. Jeder wird mitgerissen, das Gehirn ist ausgeschaltet. Der Mann auf dem Podium hat die Massen im Griff. Sie schreien wenn er will, sie heben den rechten Arm, wenn er es befiehlt! Es ist unheimlich. In den Gesichtern der Zuhörer erkennt er, sie sind bereit dem Führer zu folgen und das ohne jede Kritik.

      Gegen Ende der Veranstaltung wird nur noch geschrien. Fahnen werden geschwenkt, dann stehen die Uniformierten stramm und salutieren. Alles begleitet von Rufen: «Heil Hitler!»

      Auch Franz schreit mit, dabei ist sein Innerstes immer noch am Zweifeln. Solange er im Stadion ist, wird das Gewissen verdrängt. Er ist ein Teil der fanatischen Masse, das muss er akzeptieren.

      Dann ist die Veranstaltung zu Ende. Der Führer wird in seinem Auto weggefahren, noch einmal huldigt ihm die Menge. Die löst sich nur langsam auf. Immer wieder stolziert ein Uniformierter auf die Bühne und fordert die Menge auf, Hitlers Name zu schreien oder ihn hochleben zu lassen.

      Erst nachdem er stundenlang in der Mass stehen musste, kann Franz sich auf den Heimweg machen. Langsam wird ihm bewusst was er eben erlebt hat. Der Franz der da im Stadion stand, das ist nicht der Franz den er kennt. Kann man Hitler mit dem Kaiser vergleichen? Eigentlich nicht, er ist klein und unscheinbar und trotzdem fasziniert er die Massen. Aber warum? Darauf weiss er keine Antwort, da muss er erst darüber schlafen.

      «Und wie war es?», fragt Rosa.

      «Unheimlich», mehr bringt er nicht raus.

      «Ist das alles?»

      «Er hatte sie in der Hand, es war unheimlich.»

      «Nun erzähl doch, was hatte er für einen Anzug an?»

      «Was interessiert mich sein Anzug? - Ja ich glaube er trug einen Anzug nicht die Uniform, aber ich bin mir nicht sicher, ich stand weit hinten.»

      «Das nächste Mal muss ich wohl selber hingehen, du erzählst ja nichts.»

      «Das