Geri Schnell

Der Politiker


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ab gemacht», Willi streckt ihm die Hand entgegen um das Geschäft abzuschliessen, «fünfzig aber mit dem Amulett, dafür kriegst du von mir noch zwei Tafeln Schokolade, mein Vater hat mir gestern ein Paket geschickt.»

      Sepp ergreift seine Hand und bestätigt das Geschäft. Beide sind zufrieden, auf die Schokolade kann Willi gut verzichten. Vater schickt ihm beinahe jede Woche ein Paket. Er hat aus seiner Zeit als Schmuggler, immer noch einen Vorrat an Schokolade. Momentan sind die Preise sehr schlecht, so kann er sie wenigstens privat gut einsetzen. Für Willi ist die Schokolade eine Notreserve, wenn mal das Essen in der Mensa nicht seinem Geschmack entspricht.

      Vor Weihnachten stehen an der Uni noch einige Tests an. Willi schafft die Prüfungen in Algebra, Physik und Englisch ohne Probleme. Bereits am 4. Advent reisst er mit dem Zug nach Worms. Vater holt ihn vom Bahnhof ab. Willi blickt sich um. Gabi ist nicht da, er ist enttäuscht, er hatte sich auf einen Kuss gefreut.

      Mit seinem Vater spaziert er durch das weihnachtlich geschmückte Worms. Den schweren Koffer transportieren sie im Leiterwagen, wie vor einigen Jahren, als sie die Bauernhöfe in der Umgebung besuchten.

      Wilhelm erzählt von der Uni und dass er sich gut durchschlägt. Mit den Fächern hat er keine Probleme. Nach einigem Zögern informiert er seinen Vater, dass er in die NSDAP eingetreten ist.

      «Gab es dabei keine Probleme», fragte der nach, «du weist doch, die Uroma?»

      «Nach dem Lager gab es keine Probleme, ich wurde nicht mehr überprüft.»

      «Dann ist's gut», meint Vater, «ich hatte schon befürchtet, dass du deine Zukunft wegen der Uroma verbaut hast. Im Moment kommt man an den Nationalsozialisten nicht vorbei. Ich denke, für Deutschland ist es das Beste, wir brauchen eine starke Führung.»

      «Im Lager war es hart, aber die Kameradschaft ist einmalig. Es hat mir gefallen.»

      «Das verstehe ich», meint Vater, «wenn nur dieser Hass auf die Juden nicht wäre.»

      Wilhelm antwortet nicht, er denkt an Joshua und Frau Goldberg, seine ehemalige Lehrerin. Plötzlich erschrickt er, lässt sich gegenüber seinem Vater nichts anmerken. Ihm ist eben ein schrecklicher Gedanken gekommen. Woher hatte Sepp die Halskette? Hat er die bei einem Juden mitgehen lassen, als sie die Scheibe seines Geschäfts einschlugen? Ein schrecklicher Gedanke, doch er muss ihn verdrängen. Er kann sich nicht leisten, ein neues Geschenk zu kaufen. Zudem ist ja nichts bewiesen. Sepp hat in diese Richtung keine Andeutungen gemacht und Willi kann sein Gedanken inzwischen gut lesen. Er weiss wie er tickt und merkt im Normalfall sofort, wenn er ihn reinlegen will. Sicher ist alles korrekt verlaufen, auch das Amulett mit dem Löwen hat er nachgeliefert, das hätte er ja nicht wissen können oder hat er nochmals ein Geschäft überfallen? Kaum denkbar, die Zeit war zu knapp, das Amulett mit dem Löwen zu suchen. Langsam beruhigt er sich, schliesslich hat er es bezahlt.

      Sie biegen in die Strasse ein und er sieht seine Mutter vor dem Haus stehen. Als sie ihn erblickt, rennt sie zum Gartentor und reisst es auf, dann rennt Rosa den beiden entgegen und fällt ihrem Sohn um den Hals. Die Tränen kullern über ihre Wangen. Wie gross er geworden ist.

      «Kommt, ich habe ein Kaninchen gebraten, dazu gibt es Sauerkraut, das isst du doch so gern.»

      Natürlich, denkt Willi, es war nicht anders zu erwarten, aber er freut sich wirklich. Mutters Küche ist doch die Beste. In der Familie Wolf hat sich nicht viel geändert, Mutter kocht immer noch mit etwas zu viel Salz. Die Möbel und auch das Essbesteck sind noch gleich. Wie könnte es auch ändern, Vater ist immer noch ohne Arbeit und die Geschäfte mit Goldberg bringen nur wenig ein. Wenigsten so viel, dass er nicht in der Suppenküche anstehen muss, um etwas im Magen zu haben, aber grosse Ausgaben kann er sich nicht leisten.

      Was sein Vater macht ist ihm eigentlich egal, solange er das Schulgeld bezahlen kann und dazu hat es immer gereicht. Ihn interessiert etwas ganz anderes, was ist mit Gabi?

      Während Rosa wie eine wilde Wespe in der Küche herum irrt, räumt Willi im Gartenhaus auf. Es beruhigt seine Nerven. Später gönnt sich Willi ein Bad und rasiert sich. Noch ist es nur Flaum den er da wegschaben muss, aber er fühlt sich dabei sehr erwachsen. Er zieht sich die lange Hose an, welche seine Eltern ihm für die Reise nach Aachen gekauft hatten. Rosa hat den Tisch gedeckt, erfreut stellt er fest, dass für vier Personen gedeckt ist.

      Um sechs Uhr klingelt es.

      «Machst du auf», befiehlt Rosa ihrem Sohn, «ich muss den Braten aus dem Ofen nehmen.»

      Willi eilt zur Tür und öffnet. Er schaut in zwei strahlende Augen. Sekunden schauen sie sich an, dann breitet Willi seine Arme aus und umarmt Gabi. Die Umarmung geht Sekunden später in einen Kuss über. Erleichtert stellt er fest, dass die Herbstferien vergessen sind, sie hat ihm verziehen.

      «Hallo Gabi», stammelt Willi nach Atem ringend, «freut mich, dich zu sehen. Hübsches Kleid», stellt er noch fest, dann küssen sie sich erneuert.

      «So jetzt kommt endlich rein, das Essen ist fertig», stört Rosa die Begrüssung.

      Während dem Essen wandert Willis Hand oft unter den Tisch und streichelt Gabis Hand. Dann ist es Zeit die Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden. Gabi und Willi sitzen eng beieinander auf dem Sofa, welches ihnen Franz überlassen hat.

      Dann ist es Zeit, die Geschenke zu verteilen. Bei Willi steigt die Nervosität wieder an. Gabis Augen strahlen, als sie das Geschenk auspackt. Eine Halskette mit einem Amulett ihres Sternzeichen, damit hat sie nicht gerechnet. Ein langer Kuss folgt als Dank. Sie schenkt ihm ein Sackmesser mit zehn Klingen. Auf der Karte steht: «In Liebe! Gabi!»

      Von Rosa bekommt er einen selbstgestrickten Pullover und Vater schenkt ihm ein Füllfederhalter. Damit ist die Bescherung vorbei. Zum Kaffee gibt es noch selbst gebackene Weihnachtsplätzchen.

      «Bringst du mich nach Hause?», flüstert ihm Gabi geheimnisvoll ins Ohr.

      «Gern, musst du schon gehen?»

      «Ja, ich habe versprochen um zehn zu Hause zu sein, ich bin schon spät dran.»

      Die beiden verabschieden sich von Willis Eltern und treten in die kalte Nacht hinaus. Die Strassen sind menschenleer. Eng umschlungen schützen sie sich gegen die Kälte. In einer dunklen Ecke bleibt Gabi stehen.

      «Ich will mich noch für die schöne Halskette bedanken!», flüstert sie ihm ins Ohr. Dabei öffnet sie den Mantel und zieht Willi eng an sich. Seine Hände umfassen ihre Taille, er spürt ihren schönen Körper, langsam wird er mutiger und seine Hände sind schon sehr nahe bei ihren Brüsten. Er bemerkt, dass der Rock von drei Knöpfen zusammengehalten wird. Vorsichtig öffnet er den ersten. Als er keine Abwehrreaktion feststellt, wird er mutiger und kurze Zeit später streichen seine Hände über und kurze Zeit später unter ihrem BH.

      Langsam wird es kalt. Gabi deutet an, dass sie nach Hause muss. Beim Licht der Strassenlampe wird nochmals die Kleidung überprüft.

      Silvester feiern sie bei den Eltern von Gabi. Es bleibt bei heimlichen Berührungen. Sie sind froh, dass sie ihre leichte Krise wegen dem Herbstlager überstandenen haben.

      Jeden Tag verfolgt man am Radio das Geschehen in Berlin. Die Nazis machen enormen Druck. Das Verbot der SS und SA ist praktisch wirkungslos. Noch ist von Hindenburg Reichspräsident, doch er kann nichts beschliessen, wenn die Nazis nicht einverstanden sind, wird sein Beschluss ignoriert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Alles deutet darauf hin, dass es Neuwahlen braucht, so ist Deutschland nicht regierbar.

      Am Dreikönigstag verabschiedet sich Willi von Gabi, er muss zurück nach Aachen. Doch er hat versprochen, in der Faschingswoche, nach Worms zu kommen, dann bleibt die Uni geschlossen.

      Die Machtübernahme /1933

      Am dreissigsten Januar informieren die Dozenten ihre Studenten an der Uni in Aachen, dass Adolf Hitler, mit den Stimmen der Nationalsozialisten und den deutschnationalen Partei, zum Reichskanzler gewählt wurde.

      «Dies ist das Ende der Weimar Republik», verkündet der Professor,