Geri Schnell

Der Politiker


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bitte, wie ist ihr Name?»

      «Franz Wolf!»

      Der Pförtner betätigt die Kurbel an seinem Fernsprecher. Franz kann von der Unterhaltung nichts verstehen, der Pförtner hat die Scheibe zugezogen.

      «Sie sollen warten», informiert ihn der Pförtner.

      Wenigstens wird er nicht gleich weggeschickt, doch das Warten zehrt an seinen Nerven. Nach einer Viertelstunde steht er immer noch vor dem Häuschen und wartet. In der Zwischenzeit sind drei weitere Männer beim Pförtner aufgetaucht. Zwei, beide ohne Parteiabzeichen, wurden sofort weg geschickt. Einer steht nun wie Franz herum und wartet.

      Es dauert noch eine weitere halbe Stunde. In dieser Zeit stellten sich noch vier weitere Männer vor. Drei konnten gleich wieder gehen. Der andere steht jetzt ebenfalls vor dem Häuschen. Alle drei sind nervös und beobachten den Konkurrenten misstrauisch.

      Endlich, der Fernsprecher klingelt. Nach einem kurzen Gespräch öffnet der Pförtner die Scheibe.

      «Ich bringe sie ins Büro, Herr Wolf, - bitte folgen sie mir!»

      Ein Stein fällt Franz vom Herzen, er ist der Erste, welcher vorgelassen wird. Er hofft, dass das ein gutes Zeichen ist.

      Mit einem zackigen Hitlergruss wird er empfangen. Er erwidert den Gruss ebenso gekonnt.

      «Setzen sie sich Herr Wolf, ihre Unterlagen brauche ich nicht, ich weiss, dass sie die Buchhaltung beherrschen. Wie steht es mit dem Parteibuch?»

      «Ich bin immer noch in der liberalen Partei, weil das in meiner Familie so braucht war. Natürlich unterstütze ich auch die Nationalsozialisten, denn die wollen ein starkes Deutschland, genau wie ich.»

      «Die Stelle als Buchhalter ist leider schon vergeben», meint der Direktor, «wir haben aber grosse Aufträge von der Partei in Aussicht gestellt, da brauchen wir einen Mann, welcher bei den Bauern und Metzger der Umgebung Leder in guter Qualität einkauft. - Trauen sie sich das zu?»

      «Einkaufen, ja das müsste ich auch können, ich habe einige Bekannte, welche Bauern sind, die sind sicher froh, wenn ich ihnen die Felle abkaufe.»

      «Das glaube ich Ihnen, nur verstehen sie etwas von Leder?»

      «Im Schachklub haben wir viel über Leder diskutiert, zwei Freunde arbeiteten in der Fabrik.»

      «Gut, das Fachwissen können sie erlernen, da bin ich sicher. - Dass sie nicht in der Partei sind, ist vielleicht ein Vorteil. Viele Bauern und Metzger sind noch nicht so weit, sie sind etwas rückständig, aber solange sie liefern, ist das kein Problem. Wir haben ja Meinungsfreiheit. Liefern müssen sie, da können wir nicht wählerisch sein».

      «Vor einem Besuch auf dem Land, kann ich das Abzeichen entfernen. Das ist für mich kein Problem.»

      «Das sehe ich auch so», stellt der Direktor fest, «dann sind wir uns also einig! Die Bezahlung ist abhängig von den Lieferungen. Melden sie sich morgen früh um sieben Uhr im Einkauf, dritte Tür links.»

      Franz könnte in die Luft springen vor Freude, er hat wieder eine Arbeitsstelle.

      Franz besucht die Bauernhöfe mit dem Fahrrad, nach zwei Monaten stellt ihm die Firma ein Motorrad mit Seitenwagen zur Verfügung. So kann er kleinere Lieferungen gleich selber besorgen und ist auch schneller. Die Bauern betrachteten dieses neuartige Gerät noch kritisch. Bevor er auf einen Hof einfährt, reduzierte er die Geschwindigkeit auf Schritttempo und drosselte den Motor. Anfänglich scheuten die Pferde und die Hunde waren kaum zu bändigen.

      Franz kann es gut mit den Bauern. Sie sind froh, dass sie die Felle zu einem guten Preis verkaufen können. Bei den Metzgern ist es schwieriger, die haben bereits ihre festen Abnehmer. Da kann er sein Geschäft nur über einen guten Preis abschliessen. Dies ist insofern leichter, weil die meisten Metzger in der Partei sind, da darf er beim Einkaufen etwas grosszügiger sei. Alle sollen von der Parteizugehörigkeit profitieren.

      Er teilte seine Besuche so ein, dass er drei Tage die Woche die Parteimitglieder besuchte und an den übrigen zwei Tagen sich um die Nichtmitglieder kümmerte. Am Samstag arbeitete er immer in der Fabrik und machte seine Abrechnung. Danach plante er die nächste Woche. Gegen Abend bekommt er noch den Wochenlohn ausbezahlt.

      Anfänglich ist der Lohn bescheiden, doch mit der Zeit wird er besser. Dank dem Motorrad kann er seinen Aktionsradius ausdehnen. Inzwischen ist ihm der Wechsel zwischen Parteimitglied und parteilosem Bürger in Fleisch und Blut übergegangen. Er kann sowohl mit einem zackigen Heil Hitler, wie auch mit einer Begrüssung mit Händedruck und einem freundlichen grüss Gott umgehen.

      Etwas schwieriger wird der Umgang mit Josef, da ist er vorsichtiger geworden. Er tätigt noch einige Geschäfte, aber nun rechnet er eine höhere Marge ein. Goldberg muss sich mit einem tieferen Gewinn zufrieden geben, doch der hat keine Wahl, als Jude hat er sich anzupassen.

      Im März nehmen die Übergriffe auf Juden in Worms zu. Josef verlässt seine Wohnung, wenn er zuhause in Worms ist, nur noch selten. Er ist jetzt noch mehr im Schwarzwald unterwegs. Nicht weil er mehr Kunden besucht, sondern weil er immer vorsichtiger ist. Er schläft im Wald unter einer warmen Decke und wechselt nur bei Nacht seinen Standort. Mit seinen Lieferanten hat er geheime Zeichen vereinbart, so weiss er, ob sich ein Besuch lohnt, ohne dass er den Lieferanten sprechen muss. Auf diese Art könnte er auch gewarnt werden, wenn mit dem Besuch von Nazis zu rechnen ist. Joshua ist bei einem Uhrmacher in der Schweiz in eine Lehre eingetreten und lässt sich in Worms nicht mehr blicken.

      Die seltenen Treffen zwischen Josef und Franz finden in den Rheinauen statt. Als Treffzeitpunkt ist immer der erste Montag jedes Monats eingeplant. Doch diese Treffen kommen nicht immer zustande. Wenn Franz das Gefühl hat, dass die Auen überwacht werden, geht er gar nicht hin. Dann versteckt sich Josef und muss warten, bis nächsten Monat.

      Beim letzten Treffen, beschliessen sie, in gegenseitigem Einvernehmen, auf diese Art von Geschäften zukünftig ganz zu verzichten. Franz wünschte Josef viel Glück und bedauert, dass er nichts mehr für ihn tun kann. Die Zeiten sind schlecht und man muss vorsichtig sein. Das gilt natürlich besonders für Josef, aber auch Franz muss aufpassen. Seine Nachbarn beobachten alles genau, keiner ist sicher, jeder bespitzelt jeden.

      Die Reichstagswahl ist in Worms eine grosse Sache. Die Nationalsozialisten zeigten eindrückliche ihre Stärke. Das Stadtzentrum ist mit Hakenkreuzfahnen geschmückte. In Uniformen patrouillierte die SA und singen deutsche Lieder. Seit die Lederfabrik wieder jeden anstellt, der sich um eine Stelle bewirbt, sind in der Region deutliche mehr Leute für die Nationalsozialisten. Die sind es, welche die Lederindustie kräftig ankurbelt.

      Die Parteiführung hat Anrecht auf feine Lederhandschuhe. Die gehören zur Uniformen einfach dazu, natürlich brauchen die SS und die SA zu ihren Uniformen Gürtel und meistens gehört eine Kartentasche, welche an Lederriemchen befestigt ist, zur Standardausrüstung. Weiter brauchen die in Mode kommenden Motorradfahrer eine starke Schutzhaube aus festem Leder. Von den Uniformstiefel ganz zu schweigen. Da gibt es eine Menge Arbeit, man braucht jede Arbeitskraft.

      Die Wahl macht die Nationalsozialisten zur stärksten Partei. Die Mehrheit verpassen sie knapp. Da sich die anderen Parteien nicht einig sind, spaltet sich Deutschland in zwei Hälften, die kleinere Hälfe hat die Macht, die grössere Hälfte muss sich unterordnen.

      Am Samstagmorgen will Franz noch die Rehfelle eines Jägers abliefern. Die Abteilung, welche die Felle normalerweise entgegen nimmt, ist mit der Abrechnung beschäftigt.

      «Bring doch die Felle direkt ins Lager», schlägt der Prokurist vor, «ich habe sie in der Liste eingetragen.»

      Franz nimmt die Felle und geht durch den langen Gang zum Lager. Als sich die Frau, welche im Lager die Anlieferungen entgegen nimmt, umdreht, erschrickt diese. Franz ist es sofort aufgefallen, nur warum?

      Dann tritt die Frau näher und Franz erkennt Maria Goldberg. Sie macht ein Zeichen, dass er still sein soll.

      «Bitte nichts verraten», flüstert sie ihm zu, «ich bin hier als Witwe Kunz angestellt.»

      «Hallo Frau Kunz», begreift Franz die Situation