Geri Schnell

Der Politiker


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Gans geschlossen wurde, ging es noch gut, aber jetzt ist die Quelle versiegt.»

      In der Stube begrüsst auch Franz die Maria. Nach langen, nichtssagenden Floskeln, kommt Maria auf ihr Anliegen zu sprechen. Sie schlägt vor, dass Franz die Rolle eines Zwischenhändlers übernimmt. Josef würde in der Schweiz und im Schwarzwald Uhren einkaufen und Franz würde diese an deutsche Händler im Rheinland verkaufen.

      Franz ist zuerst vorsichtig und glaubt nicht, dass es genug Kunden gibt. Maria kann ihn überzeugen, die Nazis haben Geld um Uhren zu kaufen, nur wollen die mit Juden nichts zu tun haben. Das Uhrengeschäft ist seit Generationen in der Hand der Juden. Den deutschen Uhrenhändler fehlt es an Fachwissen.

      Nach zwei Stunden einigt man sich darauf, es mit einer kleinen Stückzahl zu versuchen, danach kann man immer noch abbrechen. In der folgenden Woche reist Josef nach Freiburg und besucht jüdische Uhrenmacher. Nach vier Tagen kommt er mit zwanzig Uhren zurück.

      Joshua übergibt die Uhren an Willi, wenn der am Mittwoch mit Gabi in den Rheinauen spazieren geht. Dabei kreuzen sich zufällig ihre Wege. Wie Maria vorausgesagt hatte, kann Franz die Uhren zu einem guten Preis verkaufen. Endlich hat er wieder eine Beschäftigung. Uhrenhändler ist auf alle Fälle ehrenwerten, als dem Wirt der goldenen Gans, Matrosen zu vermitteln.

      Im Schnitt kann Franz zwanzig Uhren pro Woche verkaufen. Es zeigt sich, dass die Nationalsozialisten wieder Geld für Luxusartikel einsetzen können. Für die ist die Krise bereits zu Ende, nur woher sie das Geld haben, ist Franz schleierhaft, doch das geht ihn nichts an.

      Franz hofft auf die Reichstageswahl, vielleicht gibt es ja eine Überraschung und das Volk erteilt den Nationalsozialisten eine Abfuhr. Nur das Bild auf der Strasse ist ein anderes. Da dominieren die Uniformen der Nazis. Franz hofft darauf, dass er nicht der Einzige ist, welcher die Armbinde trägt, aber an der Urne liberal wählt.

      Ende Februar, der Frühling ist bereits spürbar, da verbreitet sich eine Meldung wie ein Lauffeuer: Adolf Hitler wird deutscher Staatsbürger.

      Anfang März hat das Radio eine noch interessantere Meldung. Das Baby von Charles Lindbergh wurde entführt. Diese Meldung bewegt die Leute auf der Strasse mehr, als die Staatsbürgerschaft von diesem Hitler.

      Nach einer bangen Woche und einem hin und her um das Lösegeld, wird das Baby am 12. März 1932 Tod aufgefunden. Danach beginnt die Suche nach dem Mörder. Das gibt jeden Tag weitere Schlagzeilen.

      Am 10. April atmete Franz auf. Paul von Hindenburg wird Reichspräsident und nicht einer der Nazis. Die erreichen einen Achtungserfolg, werden aber nur die zweitstärkste Partei im Reichstag. Franz schöpft neue Hoffnung. Als die SA und die SS sogar verboten wird, lässt er die Armbinde zuhause. Deutschland hat doch ein Gewissen. Jetzt wo die Franzosen abgezogen sind und keine Reparationszahlungen mehr geleistet werden mussten, sollte es wieder aufwärts gehen.

      Die Universität /1933

      Im Sommer macht Wilhelm sein Abitur. Er schliesst sehr gut ab. Nun geht es darum, wo und was er studieren will. Für ihn ist klar, er will Luftfahrtingenieur werden und da bietet sich die Universität von Aachen an. Als seine Bewerbung angenommen wird, freute er sich riesig. Er wird in Aachen im Studentenwohnheim wohnen und nur noch am langen Wochenende nach Worms kommen. Die schönen Mittwochabende mit Gabi fallen aus. Aber sonst herrschte eitle Freude.

      Rosa wischt sich eine Träne ab, als sie Wilhelm und Franz am Bahnhof in Worms verabschiedet. Ein grosser Koffer mit Wilhelms Habseligkeiten schleppend, besteigen sie den Zug nach Köln. Von dort fahren sie weiter nach Aachen. Franz hilft den Koffer bis ins Studentenwohnheim zu tragen. Wilhelm steht mit seinem Vater auf dem Platz vor der Universität. Er ist nicht der einzige. Auch andere Jungen stehen da mit ihrem Köfferchen und warten auf den Direktor der Uni.

      Nun wird es Zeit, sich von seinem Vater zu verabschieden. Nach einer langen Umarmung, dreht sich sein Vater um und geht mit strammem Schritt Richtung Bahnhof. Sein rechter Arm geht oft zu seinem Kopf hoch, es könnte sein, dass er sich eine Träne wegwischen muss.

      Nun ist Willi allein, das erste Mal in seinem Leben muss er ohne Eltern klar kommen. Er schaut seinem Vater noch nach, bis er hinter der Strassenecke verschwindet, dann konzentriert er sich auf seine neue Umgebung.

      Auf der Treppe zum Eingang steht nun ein älterer Herr in einem Anzug mit Krawatte und fordert die Jungen auf ruhig zu sein. Dann beginnt er mit seiner Ansprache. Nach der Begrüssung verliest er einige Regeln, welche an der Uni gelten und die, so betont er, unbedingt eingehalten werden müssen. Eine Regel besagt, dass man nur in der Schuluniform, die jeder Student bekommt, an Vorlesungen teilnehmen darf.

      Danach beordert er die Studenten, welche im Wohnheim der Uni wohnen werden, nach rechts, die anderen können bereits wieder nach Hause zu ihren Eltern. Beim Eingangstor verteilt ein Mann Zettel mit den Zeiten für den Beginn der einzelnen Vorlesungen. Es sind nur wenige die das Glück haben, bei ihren Eltern zu wohnen. Die meisten wohnen zu weit weg.

      Eine attraktive Frau mit einer Liste beginnt nun mit dem Aufrufen von Namen. Immer wenn wieder vier Jungs bei ihr stehen, gibt sie denen die Zimmernummer bekannt. Darauf verlassen die den Platz mit ihrem Gepäck und machen sich auf, im Gebäude ihr Zimmer zu suchen.

      «Klaus Kirsch, Wilhelm Wolf, Sepp Herger und Hermann Möller! - Ihr habt Zimmer zehn.»

      Die vier schauen sich gegenseitig an, sie sind nun Zimmerkollegen. Dann packt Sepp seinen Koffer und geht los. Die anderen drei folgen ihm. Das Zimmer zehn liegt im ersten Stock des Wohnheims, nebst den vier Betten hat es einen grossen Schrank. Das Fenster zeigt Richtung Hinterhof. In der Mitte steht ein kleiner Tisch mit vier Stühlen. Die einzige Lampe hängt über dem Tisch.

      Auf jedem Bett liegen zwei Schuluniformen. Jeder musste seine Kleidergrösse vorher schriftlich angeben. Auf den Schuluniformen ist auch ein Namensschild angebracht. So weiss jeder, welches der Betten ihm zugeteilt ist. Dann packen die vier ihre Koffer aus.

      «Ich bin der Sepp aus München und studiere Mathematik.»

      «Ich bin Willi und studiere Luftfahrt Technik», antwortet Willi und reicht dem Sepp die Hand, «ich komme aus Worms.»

      «Aus einer Kleinstadt, das finde ich niedlich.»

      «Ich bin Klaus aus Pahlen und studiere Biologie.»

      «Pahlen, wohl liegt den das?», fragt der Sepp abschätzig.

      «In Schleswig-Holstein nur zehn Kilometer von der Nordsee entfernt.»

      «Und habt ihr dort auch eine Schule?», will der Sepp wissen, «oder gibt es dort nur Kühe.»

      «Kühe gibt es in Pahlen viele», entgegnet Klaus, auf die Bemerkung über die Schule geht er gar nicht ein.

      «Ich bin Hermann Möller aus Gera und studiere deutsche Geschichte», stellt sich noch der kleinste der vier vor.

      Nach der kurzen Vorstellung ist jeder mit Auspacken beschäftigt. Sie haben noch viel Zeit sich kennen zu lernen. Ab und zu schielt Willi zu den anderen rüber. Sepp und Hermann hängen ihre Uniform der Hitlerjugend schön gebügelt in den Schrank. Sie können sie nicht anziehen, denn es herrscht ein striktes Verbot, was das Tragen von politischen Symbolen betrifft und dazu gehören sicher auch Uniformen. Damit ist Willi eine grosse Sorge los, er befürchtete, dass alle in Uniformen der Hitlerjugend herumlaufen und er weiss nicht, wie er zu einer solchen kommen könnte. In Worms konnte er nicht der Hitlerjugend beitreten, die Klassenkameraden haben sein jüdische Uroma nicht vergessen.

      Welche politische Ideologie Klaus vertritt, kann er nicht feststellen. Er scheint aus einfachen Verhältnissen zu kommen, zumindest deutet seine Kleidung darauf hin. Das kann auch daran liegen, dass er aus einem kleinen Dorf stammt. Da ist Kleidung kein Statussymbol, sie muss nur zweckmässig sein. Nun er wird es in den nächsten Wochen herausfinden.

      Eine schrille Glocke ruft zum Essen. Nun ist Willi gespannt, ist die Verpflegung gut? Er hat auf jeden Fall einen riesigen Hunger. In der Mensa sind schon viele Plätze belegt. Die vier Leidensgenossen bleiben zusammen. Der Sepp spielt sich mächtig auf und prahlt mit seiner Grossstadt München,