Geri Schnell

Der Politiker


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sonst erreicht der Flüchtende noch die Güterwagen auf dem äussersten Geleise.

      «Scheiss Jude!», brummte Willi, «dir werde ich es geben.»

      Dann kracht der Schuss. Es dauert endlos lange, doch dann fällt der Flüchtende hin. Er hat ihn. Er hat ihn immer noch im Visier, doch er zögert mit dem nächsten Schuss. Der kann ihm nicht mehr entrinnen.

      Der Mann schreit aus Leibeskräften, er scheint grosse Schmerzen zu haben.

      «Feuer einstellen!»

      Die Aufforderung über Funk ist unmissverständlich, der geht uns nicht durch die Lappen. Zum Glück sind sie gut hundert Meter entfernt, denn das Schreien des Mannes geht einem durch Mark und Bein. Nur kurz überlegt Willi, ob er ihm einen Gnadenschuss verpassen soll. Dann müsste er sich wegen Munitionsverschwendung rechtfertigen. Er geht davon aus, dass einer der SS diese Aufgabe übernimmt, doch die denken nicht daran und lassen den Mann schreien.

      Nach einer halben Stunde ist es im Bahnhof endlich wieder ruhig, ein einfahrender Zug hat den Juden überrollt. Jetzt liegen nur noch einzelne Körperteile auf den Geleisen verstreut herum. Die streunenden Hunde werden in der Nacht ihre Freude daran haben.

      «Wie kann man nur auf solche Art Selbstmord begehen!», meint Willi zu Rolf, «der weiss doch, dass er keine Chance hat.»

      «So denken eben die Juden», meint Rolf, «wenn es nicht um Geld geht, ist der Verstand ausgeschaltet. Doch damit ist jetzt in Deutschland Schluss, da müssen sie schon nach Amerika auswandern.»

      Hast ja recht denkt Willi für sich. Innerlich ärgert er sich, denn er hatte tatsächlich einige Sekunden daran gedacht, den Mann von seinen Schmerzen zu erlösen. Er ist einfach zu weich. Für kurze Zeit hat er vergessen, dass es ein Jude war, der da schrie.

      Mitte Dezember wird die Kompanie von Willi in den Heimaturlaub geschickt. Die SS findet in Krakau keine Juden mehr, deshalb wird der Bahnhof nicht mehr gebraucht. Die Polen haben sich mit den deutschen Truppen arrangiert, es sieht so aus, als ob die nur an den Juden interessiert sind, die gewöhnlichen polnischen Bürger werden nicht schikaniert.

      Nach dem Weihnachtsurlaub wird seine Kompanie auf neue Panzer umgeschult. Der Einsatz für Willi in Polen ist zu Ende. Er wird für einige Wochen auf den Waffenplatz an der Ostsee zurückkehren.

      Den Urlaub verbringt er bei seinen Eltern in Worms. Die jungen Leute sind aus dem Stadtbild verschwunden. In den Kneipen tummeln sich abends vor allem ältere Leute. Die meisten Deutschen, welche in der Lederfabrik arbeiten, bekleiden jetzt höhere Positionen als vorher. Die einfachen Arbeiten werden durch Kriegsgefangene erledigt. Alles was nicht unbedingt in der Fabrik gemacht werden muss, wird an ein Lager ausserhalb von Worms vergeben. Dort sind die Juden separiert worden.

      Die Gegenstände, welche Willi und Vater von den Juden gekauft haben, sind immer noch im Gartenhaus verstaut. Es lohnt sich nicht, sie zu verkaufen. An einem Abend, Willi genehmigt sich ein Bier im Krug, als plötzlich Gabi auf ihn zukommt.

      «Schon lange nichts mehr von dir gehört!», stellt sie fest und setzt sich zu ihm.

      «Ich war in Polen.»

      «Da hast du Bomben auf die Dörfer geworfen?»

      «Nein, ich bin nicht mehr bei der Luftwaffe, ich wurde zu der Panzertruppe ungeteilt.»

      «Aber du wolltest doch Kampfpilot werden!»

      «Hat leider nicht geklappt, mir wurde immer schlecht, deshalb wurde ich umgeschult. Nun bei den Panzer gefällt es mir gut, da ist man viel näher am Kriegsgeschehen dran.»

      «Du warst im Kampf?», fragt Gabi überrascht, «wurde auf dich geschossen?»

      «Nicht direkt», gibt er kleinlaut zu, «aber unsere Kompanie hatte auch Ausfälle zu verkraften. Ein Freund wurde durch einen Kopfschuss getötet. Es war ein Heckenschütze, wir haben ihn leider zu spät entdeckt. Aber der Kamerad wurde gerächt.»

      «Hast du Soldaten erschossen?»

      «Ja, einige, aber am meisten hatte ich mit Juden zu tun. Einige wollten türmen, dann musste man schiessen. Die waren aber selber schuld, wären sie nicht weggerannt, wäre ihnen nichts geschehen. - Wo warst du die letzte Zeit?»

      «Ich war in einem Spital als Krankenschwester im Einsatz. Allerdings nicht an der Front, wir hatten nur mit relativ leichten Verletzungen zu tun. Verletzungen welche sich die Soldaten bei Übungen zugezogenen haben.»

      Das Thema Krieg wird bald nicht mehr erwähnt. Man erinnert sich an die Zeit vorher. Bei dieser Gelegenheit wandert Gabis Hand Willis Bein entlang und verweilte dann an einer Stelle, weil sie feststellte, dass sich etwas bewegte.

      «Wie wäre es mit einem Ausflug auf unseren Hochsitz?»

      «Da hätte ich nichts dagegen», beantwortet Willi die Frage, «es könnte allerdings etwas kalt werden.»

      «Da wird mir schon was einfallen», meint Gabi mit einem Augenzwinkern.

      Über den Einfallsreichtum von Gabi kann Willi nur noch staunen, offensichtlich hat sie einiges an Erfahrung dazugelernt. Er schiebt die aufkommende Eifersucht bei Seite und geniesst die kreativen Techniken von Gabi.

      Umschulung /1940

      Nach einigen schönen Abenden mit Gabi, muss Willi wieder nach Norden. In Putlos steht wieder Ausbildung auf dem Programm. Die meisten Rekruten im Umschulungskurs sind neu. Sie hatten eben eine militärische Grundausbildung abgeschlossen und sind jetzt bei den Panzertruppen eingeteilt worden.

      Willi fühlt sich an den ersten Tag vor einem Jahr erinnert. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich einzuordnen. Erst als seine Gruppe vom Zugführer übernommen wird, kann er diesen informieren, dass er schon im Polenfeldzug dabei war.

      Nun ändert sich alles schlagartig. Er wird zum Stellvertreter des Zugführers ernannt und erhält den nötigen Respekt. Sein Zugführer hat selber noch keine Kampferfahrung, er kommt direkt von der Offiziersschule. Für Willi geht es bei diesem Umschulungskurs darum, den neuen Panzer 35T kennen zu lernen. Dieser kann endlich in grossen Stückzahlen an die Wehrmacht ausgeliefert werden, doch es fehlt noch an Soldaten, welche das Gefährt bedienen können.

      Es dauert noch eine Woche, bis Willi sein neues Gefährt endlich inspizieren kann. Mit dem PZkw ll hat der neue Panzer nicht mehr viel Vergleichbares. Lediglich die Lenkung über die Ketten ist noch gleich. Das neue Gefährt braucht eine vierköpfige Besatzung. Zu den beiden MGs gehört neu, eine Kanone mit der Geschosse von Kaliber 3,72 cm verschossene werden können. Die wird es auch brauchen, falls der neue Feind die Franzosen und Engländer sind, die verfügen über ähnliche Panzer, da könnten sie mit dem PZkw ll einpacken.

      Auf dem Waffenplatz Putlos wird nun intensiv geübt. Willi wird als Instruktor bei der Ausbildung der Fahrer eingesetzt. Der grössere Teil seiner Kompanie trainiert die Bedienung der Geschütze. Es ist nicht einfach, die Kanone schnell nachzuladen, der Platz im Panzer ist eng. Es braucht Übung, bis der Leutnant zufrieden ist. Es wird später im Kampf wichtig sein. Wie lange es vom ersten bis zum zweiten Schuss dauert, kann über Leben und Tod entscheiden.

      Ende März wurde die Ausbildung für abgeschlossen erklärt. In einer feierlichen Zeremonie werden sie vom Kommandant verabschiedet. Willi wird zum Leutnant befördert. Danach fährt die Kompanie zum Bahnhof und mit dem Zug nach Kleve in Westfalen. Ausserhalb von Kleve beziehen sie ein Zeltlager. Das Zeltlager ist grösstenteils im Wald errichtet und gut getarnt. Das Tagesprogramm besteht jetzt in theoretischen Panzerschlachten. In einem Zelt ist eine grosse Landkarte aufgeklebt. Mit Panzermodellen wird nun das taktische Vorgehen bei einem Angriff theoretisch durchgespielt.

      Die Karte enthält Angaben über Flüsse, Brücken, Wälder und unwegsamen Gebieten wie Sümpfe. Die Ortschaften tragen keine Namen. Es brauchte einige Zeit, bis Willi bemerkte, dass das keine Phantasiekarten zum üben sind, die Karten zeigten Gebiete in Holland, deutlich erkennt er den Verlauf der Maas und der Waal. Seine Beobachtung behält er für sich, es wunderte ihn, dass man mit den Panzermodellen bis weit nach Holland vordringt.