Geri Schnell

Der Politiker


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Franz die Arbeit, er kann jetzt doppelt so viel Tierfelle beschaffen, da er nicht mehr feilschen muss.

      Seine Mutter Rosa ist Aufseherin in der Näherei und musste die Mädchen überwachen. Diese werden jeden Morgen mit einem LKW von einem Lager ausserhalb Worms hergefahren. Diese Mädchen musste Rosa im Auge behalten. Nebst einer Haselrute, mit dem sie den Mädchen auf die Finger schlägt, hatte sie weitere Möglichkeiten, indem sie bei dem Lagerkommandant Meldung erstatten kann. Nach einer solchen Meldung erscheinen die Frauen längere Zeit nicht mehr zur Arbeit. Zwei bis drei Wochen später, tauchen sie bis auf die Knochen abgemagert wieder auf, sind aber so geschwächt, dass sie die Frauen nicht mehr brauchen kann. Deshalb greift sie nur in Ausnahmefällen zu diesen drastischen Massnahmen. Meistens reichen leichte Schläge mit der Rute aus, ab und zu musste sie etwas härter zuschlagen, dann haben die Frauen begriffen, wer hier die Chefin ist.

      Für Willi gibt es nicht viel zu tun. Als erstes überprüft er das Warenlager im Gartenhaus und kontrolliert, ob sich kein Schimmel gebildet hatte oder ob andere Massnahmen erforderlich sind, dass die eingelagerten Waren nicht an Wert verlieren, denn eines ist sicher, zur Zeit kann man diese Ware nicht verkaufen.

      Als diese Arbeit erledigt ist, befasst er sich mit dem Flugzeugbau. Er schreibt einen Bericht, über die während seiner Zeit in der Flugzeugfabrik gemachten Erfahrungen. Er hofft, dass nach dem Krieg, mit diesem Bericht das Ingenieurdiplom leichter zu erlangen ist. So wie er die aktuelle Lage beurteilt, wird der Krieg nicht mehr lange dauern. Die gefährlichsten Gegner sind besiegt, dann wird Hitler seine Visionen über ein Europa unter einer deutschen Führung umsetzen. Alle werden von den weitsichtigen Projekten des Führers profitieren. Jeder wird erkennen, dass der deutschen Organisation nichts Gleichwertiges entgegengestellt werden kann. Der Lebensstandard in Europa wird für alle steigen. Dies gilt natürlich nicht für Juden, das ist klar, die werden ihre beherrschende Stellung verlieren.

      Wenn Willi in Worms spaziert, wird er immer wieder von der Gestapo kontrolliert. Ein Mann im wehrpflichtigen Alter, welcher ohne Arbeit durch Worms spaziert, ist verdächtig. Einmal hat er seine Bescheinigung, dass er ordnungsgemäss aus der Armee entlassen wurde, nicht dabei. Er wurde sofort verhaftet und ins Gestapo Hauptquartier gebracht. Dort sass er für drei Stunden fest. Erst als ihm sein Vater das fehlende Papier brachte, wurde er entlassen.

      «Die schauen schon, dass jeder seinen Pflicht gegenüber Hitler erfüllt», meint sein Vater, als sie wieder auf der Strasse stehen, «wie kann man ein so wichtiges Dokument zuhause lassen. Ich hoffe, das wir dir eine Lehre sein!»

      Willi äussert sich nicht. Ihm sitzt der Schreck noch in den Knochen. Ihm ist nichts passiert, sie behandelten ihn vorsichtig. Er konnte darauf hinweisen, dass sein Entlassungsschreiben in der anderen Jacke steckt und er in zwei Wochen in eine Flugzeugfabrik abkommandiert wird. Er hat schon bemerkt, dass sie mit ihm vorsichtig umgehen, wenn seine Geschichte stimmt, dann ist er eine kriegswichtigtige Person.

      Was Willi in den drei Stunden bei der Gestapo mitbekommt, beschäftigt ihn sehr. Wie die mit ihren Häftlingen umgehen, scheint alles andere als freundlich zu sein. Er hat im Gang eine ältere Frau gekreuzt, welche nebst einem blauen Auge, noch einige blaue Flecken am ganzen Körper aufwies. Die waren deutlich zu sehen, weil sie oben rum, nur einen BH trug.

      Aus dem Verhörzimmer hörte man, wie die armen Kerle durch die Gestapoleute angeschrien wurden. Einige kurze, aber heftige Schreie, deuten darauf hin, dass auch mit Schlägen nachgeholfen wurde, wenn die Antwort nicht ins Bild der Schergen passte.

      «Man muss schon acht geben», führt sein Vater den Monolog weiter, «es ist zu einem Volkssport geworden, Leute, gegen welche man noch eine Rechnung offen hat, bei der Gestapo anzuschwärzen. Am Besten ist es, wenn man die Schnauze hält, deshalb gehe ich auch nicht mehr in Kneipen. Es kann lebensgefährlich sein, wenn man betrunken einen falschen Witz erzählt. Ich kenne einige, welche nach einem lustigen Abend verschwunden sind.»

      Noch immer ist Willi nicht bereit, sich auf eine Diskussion einzulassen und geht stumm neben seinem Vater her. Nicht auszudenken, was mit Ihnen geschehen würde, wenn jemand von den Geschäften mit den Juden erfahren würden. Zum Glück waren sie von Anfang an vorsichtig. Sogar sein Kumpel von der SA wusste nichts davon, dass er vorher seine Opfer abgezockt hatte und sich sein SA-Kumpel nur noch mit den Resten bedienen konnte, welch er übrig lies.

      In den folgenden Tagen bleibt er lieber zu Hause. Er wartet darauf, dass er endlich nach Rostock abreisen kann. Meistens hört er Radio. Stündlich treffen die Erfolgsmeldungen von der Front ein. Am 22. Juni unterzeichnen die Franzosen die Kapitulation, der Krieg ist zu Ende. Die Zeitungen zeigen einen vor Stolz beinahe platzenden Hitler beim Verlassen des Eisenbahnwagens in Compiègne. Der Schmach des Weltkriegs ist getilgt. Jetzt kann man den Frieden vorbereiten und Willi hofft, dass er in Rostock früher oder später, Passagierflugzeuge bauen kann. Sicher das wird noch eine Weile dauern, noch muss das Erreichte gesichert werden.

      Auf der Fahrt nach Rostock liest er die Zeitung. Ein unglaublicher Stolz befällt ihn, als Hitler, vor dem Eifelturm in Paris, sich den Fotografen stellt. Willi hat nicht viel, aber wenigstens ein bisschen dazu, beigetragen.

      In Rostock wird Willi von Ortsgruppenleiter empfangen. Er fühlt sich geschmeichelt. Mit einer solchen Wertschätzung hätte er nicht gerechnet. Diesmal wird ihm eine grosse Wohnung mit teuren Möbeln zugeteilt. Die Einrichtung deutet darauf hin, dass sie einmal einer wohlhabenden jüdischen Familie gehört hatte. Allerdings sind alle jüdischen Symbole aus der Wohnung verschwunden.

      «Ich hoffe sie fühlen sich hier wohl», erklärt der Ortsgruppenleiter, «wenn etwas fehlt, melden sie sich.»

      «Danke, ich denke ich komme hier gut zurecht.»

      «Dann wünsche ich ihnen einen guten Start. Sie wissen ja wo die Fabrik liegt, unten steht ein Motorrad, mit dem können sie in die Fabrik fahren - Heil Hitler!»

      «Heil Hitler! Herr Ortsgruppenleiter.»

      Zackig hebt Willi den rechten Arm. Der Ortsgruppenleiter erhebt seinen Arm ebenso zackig und verlässt die Wohnung.

      Das muss Willi erst verdauen, er setzt sich aufs Sofa und starrt nachdenklich vor sich hin. Er hat es geschafft, er ist nicht mehr der Studenten, welcher in einer engen Studentenbude mit drei anderen Studenten zusammen wohnt. Er hat eine eigene Wohnung. Nachdem er seine Fassung wieder gefunden hat, geht er in die Küche und kocht sich einen Kaffee. Es gibt tatsächlich Bohnenkaffee, er ist ein Glückspilz.

      Auf dem Tisch in der Stube findet er einen Brief, in welchem ihm weitere Anweisungen mitgeteilt werden. So wird erwartet, dass er in der SA-Uniform zur Arbeit erscheint. Die Rangabzeichen weisen ihn als Leutnant aus, entsprechend dem Rang, wird auch sein Lohn bemessen. Er wird ein gutes Leben führen können. Mit der Uniform sind zahlreiche Privilegien verbunden.

      Obwohl das grosse Bett sehr angenehm ist, hat er schlecht geschlafen. Er ist immer wieder aufgewacht. Trotzdem fühlt er sich am Morgen bereit. Vor dem Haus steht ein Motorrad zu dem der Schlüssel, welcher am Schlüsselbrett hing, passt. Zum Glück hat ihm Vater einige Male sein Motorrad geliehen, so weiss er, wie man damit umgeht. Vorsichtig fährt er auf die Strasse und biegt in Richtung Flugzeugfabrik ab.

      In der Fabrik nimmt ihn ein neuer Fabrikleiter in Empfang.

      «Heil Hitler, ich bin hier der Chef, ich heisse Paul Walter, ihre Akte kenne ich, Herr Wolf, ich heisse sie willkommen.»

      «Heil Hitler! Herr Walter», meldet sich Willi und grüsst vorschriftsmässig, «ich freue mich auf die Aufgaben.»

      «Dann wollen wir Mal einen Rundgang machen, dabei kann ich ihnen am Besten erklären, was wir von ihnen erwarten.»

      Seit seinem letzten Arbeitstag in der Fabrik hat sich viel, um nicht zu sagen alles, verändert. Auffallend ist der hohe Frauenanteil, es gibt nur noch wenige Männer in der Fabrik. Neu ist auch eine zweite Produktionsstrasse, welche eben in Betrieb genommen wird. Man will die Produktion verdoppeln. Der Führer verlange das so.

      «Wir können die eroberten Gebiete nur halten, wenn wir eine starke Wehrmacht haben und dazu gehören gute Bomber», erklärt Herr Walter.

      «Der Führer weiss schon was er machen muss», bestätigt