Urs Triviall

Der Vorfall


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war das angeblich? Jesus und Mohammed hatten sich getroffen. Gottes angeblicher Sohn mit einem, der viel später seinen eigenen Gott erfunden hatte, den Allah. Schon wieder stand ich auf und schlurfte an den Computer. Ich wollte mich kundiger machen. Aber ich schaltete nicht ein. Plötzlich hatte ich ein ganz anderes Bedürfnis. Ich ging zum Kühlschrank und entnahm die Flasche französischen Cognac, die ich dort deponiert hatte. Ich betrank mich, Schluck für Schluck, in vollem Bewußtsein. Ein superdämlicher Einfall, aber erlösend aus diesem schier unentrinnbaren Irrsinn. Schließlich torkelte ich zum Bett und ließ mich hineinfallen.

      Gegen Mittag des nächsten Tages erwachte ich wieder. Mir brummte der Schädel. Und mir wurde klar, dass das so mit mir nicht weiter gehen konnte. Als ich aufstehen wollte, spürte ich, dass ich noch immer betrunken war. Ich ließ mich zurück ins Bett fallen. Ein verlorener, armseliger Mensch. Aber nun fand ich nicht wieder in den Schlaf. Mir knurrte der Magen. So raffte ich mich auf und schlich in die Küche, um ein Brötchen zu essen. Doch es schmeckte mir nicht. Mir war übel. Entschlußlos hockte ich auf meinem Stuhl, starrte zum Fenster hinaus und sah Post im Briefkasten. Gewiss wieder solch aufdringliche Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel oder eine fällige Rechnung.

      Viel schlimmer! Ein Brief vom Finanzamt. Am liebsten hätte ich ihn gleich in die Papiertonne geworfen, wie ich es mit lästiger Werbung zu machen pflege. Aber amtliche Post verlangt Beachtung. Also nahm ich den Brief mit ins Haus und öffnete ihn. Was mich seit einigen Jahren immer wieder maßlos aufgeregt hatte, stand da erneut schwarz auf weiß: Man verlangte von mir eine Summe Geld zurück, die, grob hoch gerechnet, etwa eine Monatsrente ausmachte. Mir wurde übel, übler noch als vergangene Nacht, angesichts solch perfider staatlicher Wegelagerei. Die jährliche Aufbesserung der Rente, stets lauthals verkündet, wird stillschweigend per Einkommenssteuer ein Jahr später wieder zurückgeholt. Die Rentner finanzieren de facto zu einem gewissen Teil die Milliarden- und Millionengräber der Regierenden, den Irrsinn in Afghanistan, den Berliner Flughafen, den Stuttgarter Untergrundbahnhof, das Berliner Stadtschloß. Ich kochte vor Wut. Und ich sann über Protest nach.

      Gibt es überhaupt eine Möglichkeit dagegen aufzubegehren? Für den einzelnen Bürger nicht. Er muß sich fügen. Pasta! Hin und wieder weist ein Journalist auf die rechtliche Unzulänglichkeit der Einkommenssteuer für Rentner hin. Aber auch er ist allein, bekommt wahrscheinlich sogar Ärger mit seiner Redaktion. Weit und breit keine Organisaion, keine Partei, die für die Rentner nachhaltig auf die Barrikade geht.

      Und für einen Moment blitzte in mir der Gedanke auf, eine Partei zu gründen. Ganz und gar keine Spaßpartei, sondern eine Vereinigung von aufrechten Bürgern, die konsequent gegen das Unrecht in der Gesellschaft ankämpfen. Es würde nicht viel Mühe machen, weiteres Unrecht zu finden. Es liegt gleichsam auf der Straße, muss nur benannt und angeprangert werden. Und zwar nicht mit irgendeinem Artikel in der Zeitung oder in den sozialen Medien, sondern standhaft in den zuständigen Gremien. Würden sich genug Bürger finden, die mitmachen?

      Als ich bei dieser Frage angelangt war, wurde ich endgültig wieder völlig nüchtern. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis in jungen Jahren, das mir eine Lektion gewesen war. Die Jugendzeitung „Start“ hatte einen Leserbrief von mir veröffentlicht, in dem ich mich mit aktuellen Jugendproblemen auseinandersetzte. Ich weiß heute nicht mehr, worum es eigentlich ging. Aber ich bekam damals von einem jungen Mann aus Berlin einen Brief mit der Einladung, ihn zu besuchen und mit einer Gruppe junger Leute über Wege in die Zukunft zu diskutieren. Das war in der Aufbruchstimmung unmittelbar nach 1945 gar nicht ungewöhnlich und ich entschloß mich, nach Berlin zu fahren.

      Der junge Mann, Lothar hieß er wohl, empfing mich im total zerstörten Lehrter Bahnhof. Wir stiegen die Treppe hoch zur S-Bahn und fuhren gen Westen und mir fiel auf, dass die Stadt, je weiter wir kamen, desto weniger zerstört war. In Zehlendorf schließlich befand ich mich in einem wohlerhaltenen sauberen Städtchen. Im Häuschen von Lothars Eltern gab es eine Dachkammer für mich, und dort versammelte sich am Nachmittag die Gruppe. Und damit kam damals die erste Ernüchterung.

      Die Gruppe bestand gerade einmal aus vier Personen, nämlich aus Lothar, dessen Freundin und dessen Freund und aus meiner Wenigkeit. Ich hatte mit so zehn, zwanzig jungen Leuten gerechnet, die der Drang nach Erneuerung Deutschlands umtrieb. Nun also vier unternehmungslustige Köpfe. Ich war nicht minder gespannt auf das, was mich in der kleinen Runde erwarten würde. Nach kurzer herzlicher Begrüßung mit Neugier auf das neue Mitglied aus der Zone, wozu eine Flasche Wein geöffnet wurde, entspann sich eine muntere Debatte über Gott und die Welt. Dabei ging es uns weniger um Gott, sondern mehr um die Verbesserung der Welt, die es nach dem verheerenden Krieg bitter nötig hatte. Als wir nach den Mitteln fragten, mit denen ein allgemeiner deutscher Gesundungsprozess in Gang gebracht werden könnte, erschien uns die Wahrheit elementar geeignet - das jederzeitige standhafte Vertreten der Wahrheit, und zwar durch Mitglieder einer „Partei der Wahrheit“, die wir noch am Nachmittag zu gründen beschlossen. Zur eigentlichen Gründung kam es jedoch nicht, weil Lothar für uns Theaterkarten besorgt hatte und die Zeit drängte. Wir entschieden, die Gründung ohne Hast ganz seriös am nächsten Vormittag vorzunehmen.

      Während der S-Bahn-Fahrt zum Bahnhof Friedrichstraße traf Lothar einen Freund, den er zu meiner Überraschung – ernüchternd für mich – nicht für unsere taufrische Idee zu begeistern versuchte, sondern mit belanglosem Gerede unterhielt. Ich war zwar versucht, mich einzumischen, hielt mich jedoch lieber zurück, zumal ich den Gesprächspartner nicht kannte. Vielleicht hielt ihn Lothar für ungeeignet für unser Vorhaben. Auch war ich immer wieder abgelenkt beim Blick nach draußen; denn wir fuhren durch ein total zerstörtes Berlin. Ringsum Trümmer.

      Aber die S-Bahn fuhr. Auch die vom Bahnhof Friedrichstraße unten im Tunnel in Richtung Süden. Im Hebbel-Theater dann erlebte ich eine faszinierende Aufführung der „Fliegen“ von Sartre mit Joana Maria Gorvin als Elektra. Von dem Stück verstand ich wenig, empfand mich erschreckend als ungebildet, war aber äußerst beeindruckt von der Sprechkunst der Gorvin. Auf der Rückfahrt verwickelte mich Lothar in eine Auswertung der Inszenierung, der ich mich so geschickt wie möglich entzog.

      Am nächsten Vormittag sollte denn also die Gründung der Partei stattfinden. So hatte ich uns jedenfalls verstanden. Schon beim Frühstück gab es die erste Ernüchterung. Lothars Freund ließ grüßen und erschien schon einmal gar nicht. Als die Freundin kam, kam sie eigentlich nur, um mich zu verabschieden. Kein Wort zur Parteigründung. Ich ahnte, dass unsere gestrige kreative Debatte nicht mehr gewesen war als eine hübsche Luftnummer. Und ich hatte nicht die Chuzpe, die zwei an unser Vorhaben zu erinnern.

      Gewiss, das Ganze damals war eine übermütige Idee gewesen, hatte aber bei mir zumindest zu einer Gewissheit geführt: Selbst die epochalsten Gedanken in Sachen gesellschaftlicher Veränderung scheitern, wenn sie nicht zu materieller Gewalt werden, wenn sich nicht Menschen finden, die sie zu wirkungsvollem Leben zu erwecken vermögen. An diese Erkenntnis von damals erinnerte ich mich jetzt. Und ich befand, dass die Gründung einer Partei für mich nicht in Frage kam. Ich beschloss notgedrungen, tapfer und zäh weiter hinzunehmen, was das Schicksal mir noch aufhalsen würde – komme es nun von der Obrigkeit oder von noch weiter oben.

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