Irene Dorfner

JACOB


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zu folgen.“ Leo gefiel das überhaupt nicht, denn das klang nicht nach einer normalen Entführung, sondern nach einem Hollywood-Film der übelsten Sorte.

      „Widmen wir uns dem Hinweis. Vielleicht finden wir Jacob rasch und können so dem Ganzen ein Ende setzen,“ mutmaßte Krohmer. Laut las er vor:

      „Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, dass er stillhielt und horchte.“

      Findet den Ort des Geschehens und Ihr werdet Jacob näherkommen.

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      Werner Grössert hatte wie immer sein Tablet dabei und gab den Hinweis ein.

      „Das ist eine Passage aus Rapunzel von den Gebrüdern Grimm.“

      „Das Märchen Rapunzel?“

      „Richtig. Hier steht es Wort für Wort. Wenn ihr mich fragt, müssen wir nach einem Turm suchen.“

      „Ein Kirchturm? Da suchen wir uns dumm und dämlich. Wisst ihr, wie viele Kirchen es in unserem Zuständigkeitsbereich gibt?“, rief Hans aus.

      „Konzentrieren wir uns auf einen einzelnen Turm. Wie viele gibt es davon?“

      „Abgesehen von der Burghauser Burg, wo es einige Türme gibt, fällt mir keiner ein,“ sagte Leo, der sich nicht ganz so gut auskannte wie Hans, Werner und der Chef.

      Tatjana musste passen, sie war erst wenige Wochen hier. Obwohl sie sich alle Mühe gab, sich mit ihrer neuen Heimat vertraut zu machen, war sie bezüglich der Türme völlig überfragt und musste sich auf die Kollegen und zur Not aufs Internet verlassen.

      „Was ist mit dem Wasserturm in Graming?“, fragte Hans. „Das ist ein einzelner Turm.“

      „Zwei fahren nach Burghausen, zwei nach Graming. Ich fahre mit Herrn Winzl nach Hause und warte dort. Vielleicht melden sich die Entführer.“

      Krohmer sah seinen Leuten hinterher. Was sollte der Mist? Und was sollten diese unsinnigen Zahlen? Ein Hinweis in dem fraglichen Märchen? Rapunzel! Krohmer hasste Märchen schon seit seiner Kindheit und hatte sich nie mit ihnen auseinandergesetzt, aber jetzt blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig. Er beschloss, diese Zahlen erst einmal außer Acht zu lassen, denn auch die Kollegen hatten sich nicht weiter darum gekümmert. Krohmer folgte dem nörgelnden Alfred Winzl, der ihm mehr und mehr auf die Nerven ging. Dieser Tag konnte nur beschissen werden! Er hatte sich die Akte Jacob Winzl genau angesehen. Sollte sich herausstellen, dass sich der Rotzlöffel einen Scherz erlaubte, dann würde er alle Hebel in Bewegung setzen und dafür sorgen, dass Jacob eine harte Strafe bekommt.

      Winzl war nicht begeistert, dass der Polizeichef ihn in sein Privathaus begleitete. Er mochte keine Besucher und hatte es stets erfolgreich vermieden, Fremde in sein Haus zu lassen. Sein Haus war seine Zuflucht und der einzige Rückzugspunkt, wo er seine Ruhe hatte und er seine Familie schützen konnte. Das hatten nicht nur Fremde, sondern vor allem sein Sohn zu respektieren, der ebenfalls keinen Besuch empfangen durfte. Natürlich gab es diesbezüglich immer Reibereien, Ärger und Vorwürfe, aber das war Winzl egal. Er hatte seine Prinzipien und danach hatte sich sein Sohn zu richten. Seine Frau war mit seinen Vorgaben einverstanden und hatte sich nie beschwert. Warum auch? Hier in Ruhe und Sicherheit leben zu können kam auch ihr zugute.

      Lotte Winzl öffnete die Tür und war überrascht, dass ihr Mann einen Gast mitbrachte. Sofort spürte sie, dass etwas passiert sein musste. Wortlos folgte sie ihrem Mann und dem Fremden ins Wohnzimmer, das zu Krohmers Überraschung sehr geschmackvoll eingerichtet war. Er kannte Lotte Winzl nicht persönlich und konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein Bild von ihr gesehen zu haben. Sie hielt sich aus der Öffentlichkeit heraus. Oder war es ihr Mann, der das nicht wollte?

      „Was ist los Alfred?“, fragte die elegante, schlanke Frau, die so gar nicht zu dem grobschlächtigen Mann zu passen schien. Krohmer war erschrocken. Wusste Frau Winzl noch nichts von der Entführung? Anstatt behutsam und vorsichtig mit seiner Frau umzugehen, knallte ihr Winzl die Information direkt ins Gesicht.

      „Jacob wurde entführt. Das ist Herr Krohmer von der Kriminalpolizei Mühldorf,“ sagte er und setzte sich. Er sah seine Frau nicht an, die aber auf weitere Informationen und Erklärungen wartete und ihren Mann anflehte, mit ihr zu sprechen.

      Krohmer hasste diesen Winzl. Warum behandelte er seine Frau so? Sie war die Mutter und hatte ein Recht darauf, mehr zu erfahren.

      „Ihr Mann hat heute Morgen ein Schreiben im Briefkasten gefunden. Zusammen mit dem Handy Ihres Sohnes.“ Sollte er ihr das Schreiben zeigen? Krohmer suchte den Blickkontakt zu Winzl, der sich ihm entzog. Was war los in dieser Familie? Krohmer entschied, ihr das Schreiben später zu zeigen.

      „Jacob? Aber wie...? Warum…?“, stammelte Frau Winzl.

      Da Alfred Winzl nicht reagierte, stand Krohmer auf und holte der Frau aus der angrenzenden Küche ein Glas Wasser.

      „Bitte beruhigen Sie sich. Meine Leute sind bereits dabei, nach Ihrem Sohn zu suchen. Wann haben Sie Jacob das letzte Mal gesehen? Wo wollte er hin? Mit wem war er zusammen?“

      „Jacob hat sich am Samstagabend von mir verabschiedet. Es war schon spät, trotzdem wollte er noch mit seinen Freunden raus. Wenn ich mich nicht irre, hatte er eine Reisetasche bei sich. Was er vorhatte und wohin er wollte, kann ich Ihnen nicht sagen. Junge Leute sagen ihren Eltern nicht mehr, wo sie hingehen, das kann ich verstehen. Er war die ganze Nacht unterwegs, sein Bett war unberührt.“

      „Er hatte eine Reisetasche dabei? Kam das öfter vor?“

      „Ja, ich denke, dass ich mir sicher bin. Es kam ab und zu vor, dass er mit Freunden ein paar Tage wegfuhr und da hatte er immer eine Reisetasche bei sich. Ich habe mich nie in sein Leben eingemischt und habe ihm gegönnt, dass er sich amüsierte.“

      „Er hat sich wie immer herumgetrieben und mein Geld verplempert,“ sagte Winzl wütend. „Anstatt sich um sein Studium zu kümmern, zu lernen und zu arbeiten, hat sich der saubere Herr Sohn viel lieber ein schönes Leben gemacht. Er ist 28 Jahre alt und hat bisher noch nichts geleistet. Jacob könnte mit dem Studium längst fertig sein und könnte mich in der Firma entlasten. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste und wäre für Hilfe dankbar. Andere in seinem Alter sind mit der Ausbildung fertig, sind verheiratet und haben Kinder. Aber mein Herr Sohn geht lieber raus und nimmt sich jede Frau, die nicht bei drei auf den Bäumen ist.“

      „Alfred!“, sagte Frau Winzl streng. „Jacob ist jung und ungebunden, warum sollte er sich nicht die Hörner abstoßen, bevor er ins Arbeitsleben einsteigt und sich fest bindet? Ich kann ihn gut verstehen. Ich war damals viel zu jung, hätte das Leben lieber genießen sollen. Ich war erst 18 Jahre alt, als ich meinen Mann kennenlernte. Nach wenigen Wochen haben wir geheiratet und unser Jacob wurde geboren.“

      Krohmer rechnete mit. Demnach könnte Lotte Winzl höchstens 50 Jahre alt sein. Konnte das wahr sein? Obwohl sie durchaus hübsch war, sah sie mindestens 10 Jahre älter aus.

      „Was beschwerst du dich Lotte? Du hast alles, was du dir wünschen kannst. Wir leben hier in einer Idylle in Ruhe und Sicherheit. Du brauchtest nie zu arbeiten, hattest immer Personal und konntest dir jeden Wunsch erfüllen. Und ich schufte den ganzen Tag, damit es meine Familie gut hat. Was willst du mehr?“

      „Ich sitze seit meiner Heirat in einem goldenen Käfig und kenne nichts als Leere und Einsamkeit.“

      Das hatte gesessen! Winzl starrte seine Frau an und konnte nicht glauben, was sie eben von sich gab. Er hatte das alles für sie getan. Und jetzt dieser Vorwurf!

      Krohmer war das zu viel, er brauchte dringend frische Luft. Ohne zu fragen, öffnete er die Terrassentür und trat hinaus. Sein Blick schweifte über den riesigen, gepflegten Garten, in dem es nur so von Vögeln wimmelte. Die Ehe der Winzls war unglücklich, das lag auf der Hand. Jacob war ein Lebemensch und übernahm bis dato keinerlei Verantwortung, das war ihm bereits bekannt gewesen. Er ging wieder zurück ins Wohnzimmer.

      „Haben Sie Feinde? Gibt es irgendjemanden, der Ihnen so etwas antun würde?“

      „Natürlich gibt es im Geschäftsleben immer wieder