Ina Pohlmann

Suchtfaktor Liebe


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lang. Wie jetzt?

      Wir sind es Leid durch andere zu leiden und uns damit vor anderen zu präsentieren. Wir tun das in unserem Kämmerlein – nichts mit Offenheit und Teilen. Introversion ist die neue Devise unserer Kinder, denn alles andere ist Out. Da sie damit groß werden, mag es ein geringeres Problem für sie darstellen. Aber was ist mit dem Rest der Welt? Nach außen hin cool und scheinbar extrovertiert durch alle möglichen modernen Medien, Sprüche und andere Hilfsmittel. Jedoch der Rest ins Innere gekehrt und alles mit sich selber klarmachen. Wollen wir das wirklich? Eine „neue“ Generation unserer Mütter und Väter nur auf Basis einer anderen Lüge?

      Jetzt übertreiben wir mal nicht – alles ist gut, Deine Erna. Nichts muss und alles kann. Dummes Geschwätz – wir sind regelrecht hineingezogen worden in diesen Sog des Netzes. Wie eine Spinne, die ihr Opfer einlullt und konserviert, um es später zu verspeisen. Wie eine Erziehung für ein neues Zeitalter – Predator und Terminator vereint im Cyberspace. Es ist die Zeit derjenigen, die von Natur aus und charakterlich einer androgynen Gesellschaft am nächsten stehen. Denen die Maschine, der Computer, der Fortschritt und dessen Umsetzung wichtiger zu sein scheint als der Mensch. Diejenigen sind jetzt am Zug, die den Menschen nicht brauchen, sich selbst genug sind, den Zugang zu anderen Wesen scheuen, meiden oder sich versagen aus Angst vor Versagen.

      Es ist die Zeit der Programmierer und Hard- und Softwareentwickler und all seiner Ableger. Jedem Extrem erliegend birgt es Gefahren, deren Überblick wir längst verloren haben.

      Sprechen wir hier von einem unaufhaltsamen Fortschritt, der in 1984 zu früh angesetzt war? Oder einer bisher selten gelebten Gewaltbereitschaft? Oder ist es eher die Computergesteuerte Kriminalität, die uns Furcht bereitet? Es erzeugt in jedem Fall neues Leid, das wir bisher nicht kannten.

      Ist gut jetzt – ein Horrorszenario, das wir dem Fortschritt verdanken? Albern, wir sind die Schöpfer des Ganzen. Haben wir doch endlich ein Forum gefunden, dass uns in unserer Bequemlichkeit unterstützt – wir müssen uns noch nicht einmal mehr bewegen, um etwas zu tun, wie z. B. eine Überweisung zu tätigen. Sogar einkaufen geht spielend vor dem Fernseher. Spielen auch. Und schreiben. Fortsetzung folgt?

      Sport mit dem Fernseher – wenn der Rest schon davor geht, warum nicht. Bald haben wir alle unser Homeoffice und brauchen zum Arbeiten nicht mal mehr vor die Türen, außer, um davor zu kehren. Die Wenigen, die dann noch gut zu Fuß sein werden, bringen uns dann die Einkäufe nach Hause. Was für eine Vision! Nie wieder herumschlagen mit anderen Menschen. Hurra.

      Die Grätsche, die es in dieser Zeit zu bewältigen gilt, ist der Übergang zwischen der alten und dieser karikierten neuen Zeit. Ob wir nun wollen oder nicht, wir müssen uns wohl oder übel damit auseinander setzen. Die ersten Anzeichen sehen wir schon in unserer depressiven Burnout-Gesellschaft, die erschreckender Weise nicht erkennt woran sie krankt.

      Danke, Frau Doktor, da haben wir aber jetzt mal wieder eine tolle Theorie aufgestellt. Das will sowieso keiner hören und wissen. Jeder versucht einigermaßen mit allem zu Recht zu kommen was ihm begegnet. Das gelingt uns ja auch. Mehr recht als schlecht. Und da komme ich einfach so daher und verpöne den gesamten Fortschritt?

      Nein, natürlich nicht. Wir sollten unsere Anpassungsfähigkeit allerdings dahingehend nutzen, dass jeder für sich versteht woran er arbeiten muss, um diesen Konsequenzen nicht hilflos ausgesetzt zu sein. Alles andere erzeugt vielseitiges Leiden. Wir sind nun mal soziale Wesen und voneinander abhängig, sonst verkümmern wir in uns selbst. Wer das ignoriert ist hoffnungslos verloren. Woran wir bisher litten ist nichts großartig anderes als unsere neuen Leiden. Nur in einem neuen Kleid.

      Machen wir doch aus Einsamkeit und der Fähigkeit sie zu leben eine Tugend, die unser Überleben in einer computerisierten und automatisierten Welt sichert. Wir soll(t)en lernen alleine sein zu können und am besten auch zu wollen, wenn nötig – das zu üben und zu lernen, was uns bisher leiden ließ. Es ist nichts Schlimmes allein zu sein. Es ist sogar manchmal sehr förderlich, um ungestört an Dingen arbeiten zu können und sich zu entwickeln. Soll nicht heißen, dass es der Zweisamkeit vorgezogen werden sollte. Vielmehr ist es eine positive Ergänzung Einsamkeit als Seins Zustand zusätzlich zu akzeptieren und zu kultivieren. Denn Einsamkeit heißt nicht zwingend alleine zu sein, sondern ausschließlich bei sich und mit sich zu sein. Es hat also mit einer neuen Grundeinstellung des Lebens zum Thema Einsam, Zweisam, Mehrsam zu tun.

      Ja, darf es denn wahr sein? Das kultivieren, was uns Leiden beschert? Ich soll Einsamkeit gut finden? Ich glaube es nicht.

      Es geht doch nicht um gut finden – oder (?) - eigentlich doch. Was ist denn so schlimm daran mich selbst auszuhalten und zwar alleine? Das erwarte ich doch schließlich auch von Dir, mich auszuhalten und so zu nehmen wie ich bin. Vielleicht sollte ich vorher mal ausprobieren und erfahren, was ich Dir mit mir antue oder zumindest zumute. Wenn ich dann selbst mit mir alleine glücklich sein kann, dann geht das auch woanders. Kann ich überhaupt mit jemand anderem glücklich werden, wenn ich es mit mir selbst nicht hinkriege? Gehört nicht eigentlich Einsamkeitsfähigkeit und alleine-sein-können dazu als Grundvoraussetzung und Basis einer tragfähigen Beziehung, Freundschaft, familiärer Bindung oder jeglicher sonstiger Kontakte? Ich habe im Du nämlich nicht zu suchen, was ich in mir nicht finden möchte. Das lässt uns leiden, weil wir glauben der andere sei dafür verantwortlich. Wir geben uns nicht den Freiraum den wir brauchen, um durchatmen zu können und uns unserer eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und (um) die Voraussetzungen zu schaffen sie zu befriedigen. Freiheit mit mir bedeutet auch frei sein können mit Dir. Frei von Leid. Auch frei von alten Leiden, die wir mit uns herumschleppen.

      Wie jetzt, ich soll kompletto tutti bereinigt, defragmentiert und recycelt in eine neue Verbindung eintauchen? Super, da brauche ich bei und zwischen meinen Beziehungen aber diverse Jahre, wenn nicht gar ganze Leben, um alle Traumata zu verarbeiten und mich wieder in die Lage zu versetzen mich Ballastfrei auf jemand anderen einzulassen. Ist das wirklich erstrebenswert, oder tun wir das nicht automatisch, indem wir uns zurückbesinnen auf uns selbst?

      Das, was dann aber passiert, ist, dass wir sämtliche Signale nach außen kappen. Andere spüren uns nicht mehr – genauso wenig wie wir uns selbst spüren können. Dabei könnten wir diesen Zustand hervorragend nutzen. Stattdessen leiden wir so vor uns hin, ungeliebt, dick, fett hässlich, unattraktiv, griesgrämig und vor allem einsam. Kultivieren wir Einsamkeit und Alleinsein allerdings und akzeptieren wir diesen Zustand als Notwendigkeit, können wir mehr Vorteile daraus ziehen, als uns womöglich lieb sein könnte. Denn wir bleiben im Geschäft, wir sind berührbar, wir sind da und bleiben es auch.

      Ein Weg Einsamkeit und Alleinsein kompensieren zu wollen ist das Netz, das Internet(z). Es bringt uns aber nur dann etwas, wenn wir das Netz als Mittel zum Zweck nutzen, anstatt eine Beziehung zu ihm (als durch es) aufbauen zu wollen - der Ersatz für eine wirkliche reale Verbindung. Vorsicht - das Netz ist nicht berührbar, auch wenn es uns noch so persönlich daher kommt. Es vermag uns zu berühren, wenn wir diese Verbindung zu ihm in uns herstellen. Aber es ist und bleibt ein Netzwerk, nicht mehr und nicht weniger. Genau wie alle Personen, die wir in ihm erfahren. Das Internet erfüllt die Funktion für uns, die wir in es hineingeheimnissen und damit sollten wir sehr vorsichtig sein. Wir entfernen uns damit nicht nur von uns selbst sondern auch von allen anderen.

      So ein Blödsinn, ich erschaffe mir doch dadurch erst die Kontakte, die ich ohne das Netz gar nicht erst hätte. Über große Entfernungen sogar visuell, von denen wir noch vor ein paar Jahrzehnten nur geträumt hätten. Jetzt ist aber mal wieder gut – wir sind alles mündige Wesen, die genau wissen was sie tun.

      Eben nicht – nicht alle Nutzer sind mündig. Nicht umsonst sind sie eines (Kinder-/Jugend-) Schutzes bedürftig. Auch wir sind in diesem Metier Neulinge, weil nicht damit erwachsen geworden. Zwar mündige Neulinge, jedoch genauso schutzbedürftig. Und den müssen wir uns auch noch selbst angedeihen lassen. Diese vermeintliche Nähe, die hergestellt wird, die so nicht wirklich existiert und kann uns schon ziemliche Probleme bereiten. Wie kann unser Geist das verarbeiten, unser Gefühl das verkraften, unser Verhalten sich diesbezüglich anpassen?

      Genial nach Hause zu kommen und es hat sich zwischenzeitlich jemand für mich interessiert. Vielleicht sogar jemand Neues? Im richtigen Leben ist das häufig nicht so,