Ina Pohlmann

Suchtfaktor Liebe


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bin ich schnell In und noch viel schneller wieder Out. Das will erst einmal verkraftet sein. Wenn ich damit in der Realität nicht zu Recht komme, wie sollte ich das erst in der Anonymität des Netzes im Zeitalter der Pseudonyme? Schützt mich die Distanz wirklich, oder lasse ich mich so sehr darauf ein, dass mich alles genauso berührt und Dinge auslöst, wie im normalen Leben?

      Aber es schafft Wege aus der Isolation! Wirklich? Bin ich nicht erst dadurch fixiert isoliert, indem ich mich darauf einlasse, dass die virtuelle Welt bald gleich zu setzen ist mit meiner Realität, sie womöglich überschattet oder sie bereits oder bald sogar ersetzt? Die Hilfe, die wir uns selber geben sollten ist zu erkennen, dass alles außerhalb der menschlichen Ebene kein Ersatz sein kann für menschliche Nähe, Wärme, Liebe. Das ist das Einzige was zählt. Das ist nicht zu ersetzen.

      Ach, ganz was Neues.

      Wir suchen nach Wegen das herzustellen, was uns fehlt. Aus den Augen verlieren wir schnell, dass die Mittel dorthin nicht gleichzeitig die gewünschten Ergebnisse sind. Darin hängen zu bleiben ist fatal. Die Sucht nach Liebe bringt uns dazu viele verschiedene Fährten aufzunehmen – es sind jedoch nur Wege...und der Weg ist doch bekanntlich das Ziel.

      Aber das weiß ich doch alles.

      Also Krankheit als Weg, wie in den 70ern propagiert? Sucht ist eine Krankheit, die Leiden schafft. Alle Formen von Süchten lenken uns von der eigentlichen Sucht nach Anerkennung sprich Liebe ab. Wenn eine Sucht kurzfristig dazu dienlich ist das zu erkennen, dass wir eigentlich geliebt sein wollen, dann kann es ein Weg sein zu sich selbst und der Ausweg aus der Sucht herauszukommen. Süchte sind legitim, mittlerweile überall sichtbar und häufig unterschätzt. Der Suchtfaktor Liebe findet sich bei der meist jüngeren Generation in der moderneren Form als Essstörungen wieder. Ablenkung auf den Körper. Richtig ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber doch nicht durch die Identifikation des Problems in der Körperlichkeit. Das sind allenfalls Symptome, die vom grundlegenden Problem ablenken. Oder stoßen sie uns regelrecht darauf?

      Jetzt ist Schluss – blödsinnige Schlussfolgerungen. Jetzt ist der Fortschritt schon verantwortlich für unsere Gesundheit. Wir sind schließlich die Kinder der Neuzeit – die Zukunft. Und überhaupt – das war schon immer so, dass es Krankheiten im Zeichen der jeweiligen Zeit gab, gibt und geben wird.

      Schwieriges Erbe des Fortschritts. Das alte Erbe kaum verdaut werden wir hineingeworfen in neue Welten. Keine Erfahrungen mit dem schnellen Austausch und trotzdem damit klar kommen sollen. Jeder, der sich lieber mit dem Internet verbündet, als ein gutes Gespräch zu führen, eine gemeinsame Unternehmung zu starten, mit den Kindern zu spielen, hat bereits den Schritt ins Unbekannte gewagt und verloren. Sich selbst und die anderen.

      Wie schade, aber was soll’s? Jeder ist seines Glückes Schmied und was geht’s mich an. Genau das hat uns doch dahin gebracht – diese „was geht es mich an“-Mentalität. Was nichts anderes heißt als „was gehst Du mich eigentlich an“. Andere isolieren mich also oder geben Anlass mich isoliert zu fühlen oder mich selbst zu isolieren? Einsam zu sein? Egal wie, die Entscheidung treffe ich alleine.

      Klar, ganz allein, wenn keiner mehr mit Dir reden will, Kontakt zu Dir abbricht, Dich meidet. Ja aber wie kommt es wohl dazu – entscheide ich mich nicht selbst dafür einen Weg zu gehen und erhalte dafür von den anderen auch die Reaktion auf mein eigenes Verhalten? Und inwiefern habe ich das selbst unbewusst gesteuert, weil ich es eventuell offen nicht gekonnt hätte? Nehmen wir mal an ich brauche mehr Zeit und Ruhe für mich selbst und am besten für mich alleine. Kann ich ja schließlich ganz schwer herstellen, wenn ich mich um Gott und die Welt parallel zu kümmern habe. Schwierig ist es auch zu sagen, dass man eine Auszeit von wem oder was auch immer benötigt, sodass wir dann unbewusst die Ereignisse herbeiführen und anziehen, die uns das ermöglichen. Wir sind dafür selbst verantwortlich. Ich kann ja nicht allen Ernstes behaupten, dass ich gezwungen bin irgendwie zu sein, zu fühlen oder zu handeln.

      Das wird mir jetzt aber alles zu psychotheoretisch und vor allem weltfremd. Aber der Rest ist sehr nah am Menschen dran, ganz klar. Vielleicht gibt’s ja noch etwas dazwischen – zwischen den unterschiedlichen Welten. Wir streben in der Weltbevölkerung ja schließlich auch Einheit und Einigung an, oder etwa nicht? Das macht vor uns auch nicht halt.

      Jetzt wird’s auch noch politisch.

      Was früher in den Klassen geschah unter den Kindern, geschieht nun im Internet. Es wird nicht mehr geklärt auf direktem Wege sondern meist feige über alternative. Indirekte Aktionen, die uns dazu auffordern in Aktion zu treten auch wenn es nur eine defensive sein sollte. Wir erziehen uns um zu direkten Kommunikationsvermeidern. Gerade hatten wir ansatzweise gelernt miteinander umzugehen und zu kommunizieren, da wird die Ebene von direkt auf indirekt umgeschaltet. In der Mitte liegt die Kraft – auch und vor allem in der gesunden Mischung.

      Warum nicht wieder leiden auf die althergebrachte Weise? Was spricht dagegen? Dich anbrüllen, schreien, stampfen, heulen, rumzicken, verständnisloses Zeug reden. Hauptsache direkt. Es gibt so vieles, das wir tun und je nachdem auch wieder lassen könnten. Anstatt dessen packen wir das Ganze, unseren Ärger, aber auch Liebe, Leid und andere Konsequenzen, in SMSen und Mails. Indirekt. Da sind ja der althergebrachte Brief, das candlelight-dinner für die verschiedensten Anlässe, eine kleine Überraschung hier oder gar eine einzelne Blume dort völlig überflüssig geworden. Unsensibel schreibt und textet man hin und her. Jeder interpretiert seine eigene Emotion noch zusätzlich mit hinein und perfekt ist das Chaos. Ein Chaos der Mehrdeutigkeiten.

      Das Leid war früher greifbar und verständlicher, weil wir damit konfrontiert waren und es uns direkt anging. Heute gerät man schon in Panik, wie man auf diese neue Form reagieren soll. Aber das lernen wir sicher noch – bleibt uns ja auch nichts anderes übrig, wenn wir glücklich leben wollen. Miteinander.

      Wir nehmen diese neue Form einfach nicht an und bleiben „alt“. Geht, aber nur noch in meinem bestehenden Umfeld, das mich alt versteht.

      Nein, ich nehme lieber ein Stück weit diese neue Art und Weise an, ich tue das sogar aus mir selbst heraus, gezwungener Massen zwar, denn ich bin anders groß geworden – ich muss mich einfach nur neu trainieren und alles hinter mir lassen. In der Ruhe liegt die Kraft – also doch besser mit mir alleine?

      Gib mir einfach einen Grund mich schlecht zu fühlen und ich sehe schon, mit welcher Art und Weise ich damit umgehen werde. Alt oder neu oder gar nicht. Situativ und im Einzelfall – das ist ja Klasse – ich muss mich ja gar nicht mehr festlegen! Das ist es also, was uns umtreibt mit dieser neuen Art umgehen zu wollen.

      Auch hier hatten wir mühsam gelernt Verantwortung zu übernehmen und versucht das auch unseren Kindern zu vermitteln – lassen wir’s doch einfach wieder. Prima, genau mein Ding. Wir dürfen andere und uns jetzt völlig legitim aus der Distanz leiden lassen und es ist ab sofort kultiviert und legitim. Keiner nimmt mehr Anstoß daran, weil unmodern und nicht zeitgemäß. Im Herzen bleibe ich alt und das gerne – außen werde ich jung und das ohne Hyaluronsäure oder Q10.

      Wenn hier etwas maßlos ist, dann diese Übertreibungen. Als erwachsener Mensch sollte man schließlich alles (er)leben können und auch aushalten. Wir sind schließlich niemals fertig und haben das Potential zur Erweiterung und Entwicklung. Offen sein, sich selbst vertrauen, dass wir schon adäquat mit der jeweiligen Situation umzugehen wissen. Kein planen oder systematisches abarbeiten. Tolle Sache, in den Tag hinein leben, handeln und fühlen. Wie’s gerade kommt.

      Diese Trennung war früher unterschiedlichen Lebensmodellen zugeordnet – Familie und Verantwortung – Single und das Leben leben. Und das soll ich jetzt alles können und am besten korrekt gewichtet und aufgeteilt in die verschiedenen Themen und Rollen? Überforderung. Burnout. Das ist es, was uns ausbrennt und ausbremst. Die mangelnde Fähigkeit alt mit neu zu vereinen und ein gesundes Mittelmaß für sich selbst zu finden.

      Sich damit überhaupt auseinandersetzen zu müssen ist eine Frechheit. Wer nötigt mich eigentlich eine derartige Entscheidung überhaupt treffen zu wollen oder gar zu glauben es zu sollen. Es gibt doch nichts was sich gegenseitig ausschließen könnte, jedenfalls nicht so endgültig, dass ich zwangsläufig in meinen eigenen Erklärungszwang gerate. Bin ich ein verantwortungsloser